THEO VAN GOGH FACTS: Israel-Boykott-Skandal beim Pop-Kultur-Festival: Mehrere Acts canceln Teilnahme
Das Berliner Pop-Kultur-Festival macht eigentlich fast alles richtig. Doch auch in diesem Jahr wird es boykottiert – wegen Fördermitteln der Botschaft Israels. Stefan Hochgesand, 23.8.2022 – BERLINER ZEITUNG
Fantastisch leuchtende Blumentiere, Seeanemonen, gleiten durch die Unterwasserwelten auf den Werbepostern zur diesjährigen, achten Ausgabe des Berliner Festivals namens Pop-Kultur, das vom 24. bis zum 26. August in Berlin stattfindet.
Ein Tauchgang unter die Oberfläche des ohnehin immer Sichtbaren. Die Werbe-Visuals passen trefflich zu dem, wofür Pop-Kultur steht: Während bei den großen kommerziellen Musikfestivals des Landes oft die immer selben weißen Herrenbands gebucht werden, gibt Pop-Kultur stets auch denjenigen eine große Bühne, denen gemeinhin zu wenig Beachtung geschenkt wird.
Queere und (post-)migrantische Acts, insbesondere aus der afrikanischen Diaspora stehen diesmal verstärkt im Fokus des Pop-Kultur Festivals. Menschen mit und ohne Behinderung begegnen einander auf Augenhöhe. Das Festival-Areal ist rollstuhltauglich. Einige der Konzerte und Panels werden live in die Gebärdensprache übersetzt. Pop-Kultur will all das richtig machen, woran andere Festivals scheitern.
Dennoch nehmen einige Leute Anstoß am Pop-Kultur-Festival. Zu den Förderern des Festival zählt seit einigen Jahren – und so auch dieses Jahr – die israelische Botschaft. Aus Perspektive der israelkritischen BDS-Bewegung („Boycott, Divestment and Sanctions“), die einen eigenen Online-Auftritt hat und den dazu gehörenden Twitter-Kanal BoycottPKBerlin betreibt, mache das Festival somit gemeinsame Sache mit der Politik der israelischen Regierung, der BDS und zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen inner- und außerhalb Israels „Apartheid“ gegenüber Palästinensern vorwerfen.
Zwar bezogen sich die in vorherigen Jahren vergleichsweise niedrigen – man möchte fast sagen symbolischen – dreistelligen Fördersummen der israelischen Botschaft stets nur auf vereinzelte Projekte, etwa Reisekostenzuschüsse für israelische Teilnehmende. Doch für die BDS-Aktiven reichte das, um zu einem Boykott des Festivals aufzurufen. 2017 gelang ihnen ein entsprechender Scoop, indem sie unter andrem den schottischen HipHop-Act Young Fathers zur Festival-Absage bewegten.
Auf Anfrage der Berliner Zeitung hin teilte die Presse-Abteilung von Pop-Kultur am Dienstagnachmittag mit, dass die Auftragsarbeit „BĘÃTFÓØT feat. Kunty Klub“ 5000 Euro Projektzuschuss von der Kulturabteilung der Botschaft von Israel erhalte.
Lafawndah sagte ihre Teilnahme ab und kritisiert Zensur in Deutschland
Nachdem es im Vorfeld lange still blieb, was den Boykott des Pop-Kultur-Festivals angeht, brodelt nun doch etwas hoch: Die Pariser Experimental-Pop-Musikerin Lafawndah und der Act Trustfall haben ihre Nicht-Teilnahme zwei Tage vor Festivalbeginn via Instagram bekannt gegeben. Als jemand, die „gegen alle Formen von Rassismus, Bigotterie und Diskriminierung – einschließlich Antisemitismus, Islamophobie, Anti-Schwarzen Rassismus und Hass auf LGBTQ+“ stehe, habe sie beschlossen, sich dem Protest derer anzuschließen, die ihre Teilnahme an dem Festival bereits abgesagt hatten, schreib Lafawndah auf Instagram. Sie schließe sich der Einschätzung von Amnesty International, Btselem und anderer zivilgesellschaftlicher Organisationen an, dass Israel Palästinenser systematisch unterdrücke. Das Pop-Kultur-Festival trage durch die Kooperation mit Israel zur Beschönigung dessen bei.
Lafawndah kritisierte auch den Umstand, dass das Festival die Kooperation mit Israel auf seiner Website vor drei Wochen verborgen habe – wohl, um einer erwartbaren Absage manch anderer Beitragender zu entgehen. Die Künstlerin bezog sich in ihrem Post unter anderem auf die BDS-Resolution des Bundestages, die eine „Atmosphäre der Zensur und Unterdrückung“ erzeugt habe sowie die „Initiative Weltoffenheit“ zahlreicher deutscher Kulturinstitutionen, die sich gegen die Effekte jener Resolution gestellt hatten. Sie hoffe, ihre Entscheidung, ihre Teilnahme abzusagen, würde in diesem Kontext verstanden.
Weitere Acts folgten und die BDS-Aktivistinnen applaudieren
Einen Tag vor dem Start des Festivals folgte nun auch die in Saudi-Arabien geborene Londonerin Alewya, die bei Pop-Kultur Trap und Dub und Afrobeats durch den Klangmixer hätte jagen wollen. BDS applaudiert ihnen jetzt schon. Und womöglich ist das erst der Anfang. Verlierer des Boykotts sind in jedem Fall die vielen spannenden Acts des Festivals, die wie leuchtende Seeanemonen unter Wasser gleiten – nun aber sicherlich weniger Beachtung finden werden als die politische Debatte. Das Festival will Diskurs rund um Pop, man merkt es an den Panels. Aber so hatten sie sich das wahrscheinlich nicht vorgestellt.
Was man am (vom Berliner Musicboard initiierten und staatlich subventionierten) Festival tatsächlich bemängeln kann: dass es mit nahezu hundert Veranstaltungen in nur drei Tagen viel zu dicht programmiert ist und somit zuverlässig eine nervös stimmende FOMO (fear of missing out) auslöst: Während am Eröffnungsmittwoch ab 21.40 Uhr im Palais die erste pakistanische Grammy-Gewinnerin Arooj Aftab einen Klangcocktail aus Jazz und hinduistischer Klassik kredenzt, könnte man zeitgleich nebenan in der Alten Kantine auch den sphärischen Synthie-Träumereien der Lettin Sign Libra lauschen. Typischer Pop-Kultur-Effekt: Man würde am liebsten auf mindestens zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen.