THEO VAN GOGH EPITAPH FÜR ETA HOFFMANN / DIE ROMANTIK MUSS DIE MACHT ERGREIFEN! ODER WIR SIND VERLOREN!

Courtesy Magnus Klaue

Heute vor 200 Jahren ist E.T.A. Hoffmann gestorben. In der F.A.Z gibt es zwei ganze Seiten über seine Kritik am Gesinnungsstrafrecht (“Wir haben den Täter, das Verbrechen suchen wir noch”). – “Der Sandmann” wird immer noch in der Oberstufe gelesen, obwohl es große Literatur ist. Darin findet sich die Darstellung der schwärmerischen Liebe des Protagonisten zu der Automatenfrau Olimpia, die nichts anderes als “Ach, ach!” sagen kann und deren vollkommene Eintönigkeit ihm unergründlich erscheint.

“Nathanael hatte rein vergessen, daß es eine Clara in der Welt gebe, die er sonst geliebt; … er lebte nur für Olimpia, bei der er täglich stundenlang saß und von seiner Liebe, von zum Leben erglühter Sympathie, von psychischer Wahlverwandtschaft fantasierte, welches alles Olimpia mit großer Andacht anhörte.

Aus dem tiefsten Grunde des Schreibpults holte Nathanael alles hervor, was er jemals geschrieben. Gedichte, Fantasien, Visionen, Romane, Erzählungen, das wurde täglich vermehrt mit allerlei ins Blaue fliegenden Sonetten, Stanzen, Kanzonen, und das alles las er der Olimpia stundenlang hintereinander vor, ohne zu ermüden. Aber auch noch nie hatte er eine solche herrliche Zuhörerin gehabt.

Sie stickte und strickte nicht, sie sah nicht durchs Fenster, sie fütterte keinen Vogel, sie spielte mit keinem Schoßhündchen, mit keiner Lieblingskatze, sie drehte keine Papierschnitzchen, oder sonst etwas in der Hand, sie durfte kein Gähnen durch einen leisen erzwungenen Husten bezwingen – kurz! – stundenlang sah sie mit starrem Blick unverwandt dem Geliebten ins Auge, ohne sich zu rücken und zu bewegen und immer glühender, immer lebendiger wurde dieser Blick. Nur wenn Nathanael endlich aufstand und ihr die Hand, auch wohl den Mund küßte, sagte sie: »Ach, Ach!« – dann aber: »Gute Nacht, mein Lieber!« – »O du herrliches, du tiefes Gemüt«, rief Nathanael auf seiner Stube: »nur von dir, von dir allein werd ich ganz verstanden.«

Er erbebte vor innerm Entzücken, wenn er bedachte, welch wunderbarer Zusammenklang sich in seinem und Olimpias Gemüt täglich mehr offenbare; denn es schien ihm, als habe Olimpia über seine Werke, über seine Dichtergabe überhaupt recht tief aus seinem Innern gesprochen, ja als habe die Stimme aus seinem Innern selbst herausgetönt.

Das mußte denn wohl auch sein; denn mehr Worte als vorhin erwähnt, sprach Olimpia niemals.”

Aus: Der Sandmann, in: Nachtstücke. Herausgegeben von dem Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier, 2. Teil, Berlin 1817