THEO VAN GOGH DIE RESULTATE VON DAVOS: MEHR INFLATION, MEHR DEGLOBALISIERUNG & DIE REICHEN WERDEN REICHER – DIE ARMEN SIGNIFIKANT ÄRMER!

Aufgaben der Weltwirtschaft : Jetzt wird’s teuer!

  • Von Patrick Bernau FAZ –  22.01.2023- Nun richtet sich der Blick in die Zukunft: Auch der Klimaschutz und mehr Unabhängigkeit von China kosten viel Geld.

Eigentlich, so könnte man denken, ist Deutschland erst mal über den Berg. Das Jahr fängt schließlich mit lauter guten Nachrichten an: Die Gasspeicher sind gut gefüllt und können dank der neuen Flüssiggasterminals in den nächsten Monaten auch wieder besser nachgefüllt werden. Die Energiepreise sinken. Trotz allen Gassparens produziert die deutsche Industrie immer noch so viel wie vor einem Jahr. Sogar die Pandemie hat so weit an Bedeutung verloren, dass Gesundheitsminister Lauterbach die Maskenpflicht im Zug aufhebt. In Deutschland haben so viele Menschen Arbeit wie noch nie. Die Inflation geht wieder leicht zurück. Und Finanzminister Christian Lindner kann verkünden, dass er sich wahrscheinlich Milliarden von Euro sparen kann, weil er den „Doppelwumms“ zur Krisenbekämpfung, für den 200 Milliarden Euro eingeplant waren, nicht vollständig braucht.

Da war es kein Wunder, dass die Bundesregierung gleich mit fünf Mann zum Weltwirtschaftsforum nach Davos gereist ist: Die unmittelbaren Katastrophen scheinen erst mal abgewendet zu sein. Auch Manager und Unternehmer fassen wieder mehr Mut und geben sich viel optimistischer als noch in vorbereitenden Umfragen zum Forum. Doch während die Stimmung in den Schweizer Bergen so hell war wie der Schnee in der Davoser Sonne, zeichneten sich hinter den Gipfeln schon die nächsten Themen ab. Und die werden für den Westen noch teuer werden. Sie können durchaus kostspieliger sein als die Krisenbekämpfung der vergangenen Jahre, schon weil sie sich so lange ziehen werden. Zwei Vorhaben sind es, die in den kommenden Jahren Kosten verursachen werden.

Die Deglobalisierung kostet Geld

Da ist erstens der Umbau der Weltwirtschaft. In der Pandemie fing er an, angesichts der strategischen Unsicherheiten rund um China hat er an Bedeutung gewonnen. Alle möglichen Unternehmen sind dabei, das Gewicht Chinas in ihrem Geschäft zu verringern. Dabei geht es nicht nur um den Verkauf, sondern auch um den Einkauf. Manche Rohstoffe sind zwar schwer zu ersetzen, aber Fabriken kann man auch anderswo aufbauen. Selbst IKEA hat sich auf den Weg gemacht, obwohl das Unternehmen nur ein Fünftel seiner Produkte aus China bezieht. Doch wenn die Produkte auch aus anderen Ländern kommen sollen, wird es teurer. Das sei „eine Versicherungsprämie gegen Risiken“, die man eben bezahlen müsse, sagt US-Handelsdiplomatin Katherine Tai ungerührt.

Der Internationale Währungsfonds warnt schon vor den Kosten. Nur wenn der Umbau sehr bedacht geschehe, lasse sich der Aufwand in Grenzen halten, warnt dessen Chefin Kristalina Georgieva. „Aber wenn wir uns benehmen wie der Elefant im Porzellanladen, dann können die Kosten auf sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen.“ Das wäre mehr als einst die große Finanzkrise – und zwar nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Weltweit ginge jedes Jahr so viel Wohlstand verloren, wie Japan und Deutschland zusammen produzieren.

 

Auch mit der Energie ist es nicht so einfach wie gedacht – Solaranlage in der Nähe von Bitterfeld. : Bild: Roger Hagmann

Dazu kommt als zweites teures Vorhaben der Klimaschutz. Die Abkehr vom CO2-Ausstoß soll sich endlich beschleunigen, so sehen es zumindest viele amtierende westliche Regierungen – und dafür sind sie auch bereit, hohe Kosten in Kauf zu nehmen.

Am teuersten wird es, wenn jede Region ihre Energiewende auch noch komplett zu Hause umsetzen will. Die USA stecken Hunderte von Milliarden Dollar in ihre Klimaschutzprogramme des so genannten „Inflation Reduction Act“. Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt in Davos bei den versammelten Managern der Welt um Investitionen in die deutsche Wasserstoff-Wirtschaft. „Der Staat sorgt für einen lukrativen Preis für die Industrie“, sagt er – mit anderen Worten: Er subventioniert.

Tatsächlich sind sich die Regierungen in diesen Tagen bemerkenswert einig, dass es in den nächsten Jahren milliardenschwere Subventionen braucht – und die Unternehmen stehen jederzeit bereit, noch mehr Geld zu erbitten.

Auch Europa will viel Geld verteilen

So läuft die Diskussion in Davos dieser Tage: Europäische Regierungen kritisieren die USA für ihre Milliarden – aber nicht dafür, dass es dieses Programm an sich gibt, sondern nur dafür, dass europäische Unternehmen so wenig davon profitieren sollen. Verhandlungen beginnen, ob die USA die Regeln ein bisschen anpassen. „Wenn euch unser Programm nicht gefällt, dann macht euer eigenes“, so sagen es viele Vertreter der Vereinigten Staaten. Auf diesem Ohr hören auch viele europäische Politiker gut.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt ihre Pläne vor: Die EU-Kommission will in nächster Zeit nicht mehr so genau hingucken, wenn Mitgliedstaaten an ihre Unternehmen viel Geld verteilen. Bisher hat die EU solche Subventionen streng kontrolliert – aber diese Kontrollen sollen deutlich laxer werden. Schon bekommen die ärmeren europäischen Staaten Angst vor einem Subventionswettlauf, in dem sie nicht mithalten könnten. Die Antwort liefert von der Leyen in ihrem Plan gleich mit: Auch die EU selbst will in Zukunft mehr Geld in die Hand nehmen, um es an Unternehmen auszuschütten.

Jeder dieser Pläne wird von den Davoser Managern mit großem Applaus bedacht. Doch die Wünsche gehen noch weiter. Intel zum Beispiel schickt sich gerade an, in Magdeburg eine neue Chipfabrik zu bauen. Die Idee: Künftig sollen nicht mehr 80 Prozent aller technisch fortgeschrittenen Chips weltweit aus Asien kommen. Dafür waren sowieso kräftige Staatsbeihilfen vorgesehen. Zuletzt sind die Planungen ein bisschen ins Ruckeln gekommen, denn das ganze Vorhaben wird teurer als geplant. „Die Energiekosten sind in Europa ganz anders als im Rest der Welt“, klagt Intels Produktionschef Keyvan Esfarjani im Gespräch mit der F.A.S.

Ob er mehr Hilfe von der Regierung brauche oder die Staaten die Energiekosten subventionieren sollen? „Alles würde helfen“, sagt Esfarjani. „Es geht darum, wie konkurrenzfähig die Region langfristig ist.“ Und falls die Regierung kein zusätzliches Geld gibt? „Darüber denken wir gerade nicht nach“, sagt Esfarjani und vergleicht das Verhältnis zwischen seiner Firma und Deutschland mit einer Hochzeit. „Wir haben gerade geheiratet, wir sind sehr glücklich, jetzt wollen wir nicht schon wieder an eine Scheidung denken.“

„Deutschland braucht keine eigene Produktion von Solarpanels“

Da warnt so mancher Ökonom. „Eigentlich halte ich Industriepolitik nicht für Teufelszeug“, sagt zum Beispiel der angesehene Wirtschaftswissenschaftler Richard Baldwin, der in Genf lehrt, „solange sie gut überlegt ist.“ Doch er warnt: In diesem Fall drohten Probleme. Eine ganze Branche wie die Chipindustrie neu aufzubauen, dafür müsse man die Branche jahrelang fördern. Dazu hätten die meisten Regierungen nicht den Atem, und dann gehe oft das ganze Geld verloren.

Und so gut es jeder findet, mit Lieferungen nicht von China abhängig zu sein – es mit der Ablösung zu übertreiben, das stößt bei Ökonomen auch nicht auf Begeisterung. „Deutschland braucht keine eigene Produktion von Solarpanels“, sagt Baldwin. „Das ist keine Hochtechnologie, das ist nicht strategisch wichtig.“ Falls es je zum Konflikt mit China komme, so argumentieren Ökonomen, ließe sich so eine Produktion in Europa auch innerhalb kurzer Zeit hochfahren.

Auch politisch ist noch nicht ausgemacht, ob wirklich alle Subventionsträume in Erfüllung gehen. Ursula von der Leyens Subventionsprogramm hat zwar viele Freunde, zum Beispiel in Frankreich und in Belgien, aber es hat auch Gegner, nicht zuletzt in Deutschland. Auch für Intels Bitten hat sich aus der Bundesregierung bisher niemand sonderlich offen gezeigt.

Energiewende und Entflechtung kosten auch Geld

Doch die Stimmung hat sich gedreht. „Warum geben Staaten so viel Geld aus?“, fragt Chicago-Ökonom Raghuram Rajan. „Man sagt immer: Es gibt so große Krisen, und das stimmt ja auch, aber wir haben jetzt in 20 Jahren drei Episoden als große Krisen betrachtet.“ Rajan sieht noch einen anderen Grund für wachsende Staatsausgaben: „In vielen Ländern ist der politische Konsens zerstört. Die USA konnten sich nicht entscheiden und haben einfach allen Geld gegeben.“ So mancher denkt bei diesem Satz nicht nur an die Vereinigten Staaten, sondern auch an die Energie- und Corona-Hilfspakete der Bundesregierung.

Am Ende aber sind ­Subventionen in den kommenden Jahren nur ein Teil der Geschichte. Wenn die doppelte Umstellung der globalen Wirtschaft kommt, wenn Energiewende und Entflechtung Realität werden, dann kosten sie Geld, und das muss irgendjemand zahlen. Europa hatte ja auch deshalb bisher keine Chips, weil die Produktion hier teurer war und asiatische Staaten mit ihren Fabrik-Subventionen die Chips auch für europäische Kunden verbilligten. Wenn solche Kosten nicht in den Staatshaushalten auftauchen, dann vielleicht stattdessen in den Inflationszahlen – weil die höheren Kosten dann auf die Preise aufgeschlagen werden.

Ohnehin bedeutet eine sinkende Inflation noch lange nicht, dass die Preise wieder auf ein früheres Niveau zurückkehren. Auch wenn Energie teils wieder billiger wird, ziehen andere Preise weiter an. Weil sich die Wirtschaft umstellt. Weil es an Personal fehlt und die Gewerkschaften höhere Lohnaufschläge fordern als früher. Und weil die Menschen allmählich beginnen, sich an Inflation zu gewöhnen. Zwar berichten Notenbanker immer noch davon, dass die Verbraucher dauerhaft mit den alten Inflationsraten rechneten. Doch Unternehmensmanager trauen sich nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres inzwischen eher, ihre Preise zu erhöhen, und verlassen sich darauf, dass sie das auch durchsetzen können.

Chicago-Ökonom Raghuram Rajan kann sich zum Beispiel vorstellen, dass die Inflation in diesem Jahr auf rund vier Prozent zurückgeht. Doch der Weg bis zu den zwei Prozent, die Notenbanker eigentlich erreichen wollen, der werde länger dauern. Mit dieser Haltung ist er in Davos nicht allein. Auch der Schweizer Notenbankchef Thomas Jordan warnt davor, dass es noch schwierig werde, zu den zwei Prozent zurückzukommen.

So viel ist klar: Wenn die Inflation sinkt, dann sinken die Preise nicht, dann steigen sie nur langsamer. Egal, ob in den Verbraucherpreisen oder in den Staatshaushalten: Irgendwo wird die Umstellung der Weltwirtschaft Geld kosten.