THEO VAN GOGH: DIE LINKSPARTEI ENDGÜLTIG AM HISTORISCHEN ENDE !
Fremdeln mit der Linken : Gründet Wagenknecht eine neue Partei? – Von Livia Gerster und Friederike Haupt FAZ 30.10.2022- Viele in ihrer Fraktion nehmen ihr übel, dass sie sich nicht der Mehrheitsmeinung in der Partei anschließt
Sahra Wagenknecht ist die schillerndste Politikerin der Linken, bewundert, verachtet, gefürchtet – und fremd in der eigenen Partei. Einen ersten Testballon für die Gründung einer neuen Partei gab es schon.
Ist Sahra Wagenknecht eigentlich noch bei den Linken? Diese Frage stellen sich offenbar viele, denn Google vervollständigt sie nach den ersten Wörtern von selbst. Zuletzt krachte es ja auch wieder gewaltig. Wagenknecht provozierte ihre Genossen mit der These, die Grünen seien die gefährlichste Partei im Bundestag. Fraktionschef Dietmar Bartsch korrigierte sie öffentlich: Das sei immer noch die AfD. Noch schlimmer fanden es die meisten, als Wagenknecht der Bundesregierung vorwarf, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun zu brechen“. Denn das sagte sie nicht auf Youtube, sondern im Deutschen Bundestag. Und es klang so, als sei Putin das Opfer. Viele Genossen haben diese Querschüsse satt. Immer mehr reden von Trennung. Auch Wagenknecht selbst. Will sie zur Europawahl mit einer eigenen Liste oder gar einer neuen Partei antreten?
Ende August ließ Wagenknechts treuster Anhänger Dieter Dehm auf einem Fest der DKP einen ersten Testballon los. Dehm, den manche als schillernd, andere als irrlichternd bezeichnen, hatte mal viel Einfluss in der Fraktion. Inzwischen hat er sich vor allem darauf verlegt, aus dem Ruhestand heraus gegen die eigenen Leute zu wettern. „Es muss eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt“, schimpfte er und deutete hinüber auf die Parteizentrale der Linken. Das klang für manche so, als sollte Wagenknecht bei der Europawahl als Kandidatin für die DKP antreten.
„Never change a losing team“
Glücklich schien Wagenknecht nicht über diesen Vorstoß. Mit den Kommunisten von der DKP verbindet sie nicht mehr viel. Viel mehr Applaus erhält sie mittlerweile aus dem AfD-Milieu. Doch auch der scheint ihr nicht geheuer. Was also schwebt ihr vor? Die „Bild“-Zeitung schreibt schon seit Wochen über eine Wagenknecht-Partei, die laut einer Insa-Umfrage zehn bis dreißig Prozent holen und die AfD halbieren könnte. Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel erklärte prompt, sie sehe Wagenknecht als Konkurrenz.
Und dann löste sich auch noch der Parteivorstand in Nordrhein-Westfalen auf, Wagenknechts Landesverband. 13 Genossen beklagen in einem Brief die „selbstzerstörerische Streitkultur“ und „dass der Pluralismus in unserer Partei aufgekündigt“ worden sei. Das Wagenknecht-Lager fühlt sich an den Rand gedrängt.
Klassenfrage statt Gendersternchen
Tatsächlich haben sich die Machtverhältnisse in der Linken auf dem Parteitag im Juni verschoben. Das Lager um die Parteivorsitzende Janine Wissler konnte sich in allen maßgeblichen Richtungs- und Personalfragen durchsetzen. Sahra Wagenknecht war nicht einmal nach Erfurt gekommen, ganz so, als habe sie schon mit einer solchen Niederlage gerechnet. Aus der Ferne ätzte sie über den neu gewählten Parteivorstand: „Never change a losing team.“
Wagenknecht ist überzeugt, dass die Linke in ihrer jetzigen Form und Ausprägung keine Zukunft hat. Sie sieht die Partei von intoleranten Lifestyle-Linken gekapert, die übers Gendersternchen diskutieren statt über die Klassenfrage. Sie wirft der Parteiführung vor, eine Art linken Flügel der Grünen zu bilden und darüber die Arbeiterschaft zu verprellen. „Wenn die ganze Partei wäre wie die Parteiführung, wäre ich definitiv am falschen Platz. Aber die Situation ist differenzierter“, sagt sie im Gespräch. Ähnlich schreibt sie es in ihrem Buch, ähnlich erzählt sie es in den Talkshows der Republik.
Ihre Gegenspieler finden das ungerecht. „Wir motzen doch keinen Arbeiter an, weil er nicht gendert!“, sagt die Parteivorsitzende Janine Wissler. Das sei doch absurd. Wissler bemüht sich um eine „sensible Sprache“. Sie sagt: „Man sollte Diskriminierung und Ausgrenzung nicht als Identitätsthemen abtun.“ Natürlich müsse sich die Partei fragen, warum so viele Leute sie nicht mehr wählen. Aber die erreiche man doch nicht, in dem man Großstädter und Akademikerinnen vor den Kopf stoße. Das sehen viele in der Partei so. Sie werfen Wagenknecht vor, in die Vergangenheit zu wollen. Dabei dürfe eine Linke keine Angst vor Veränderung haben, sondern müsse voranschreiten.
Doch was, wenn keiner folgt? Wagenknechts Anhänger haben ein Argument auf ihrer Seite, das keiner so leicht vom Tisch wischen kann: Die Linke hat mit ihrem Kurs keinen Erfolg, während Wagenknecht zu den beliebtesten Politikern im Land gehört. Nach der Niederlage von Erfurt berieten sich die Verlierer. Sollten sie sich abspalten und ihr eigenes Ding machen?
„Wagenknecht muss raus“
Manche frohlocken angesichts dieser Planspiele. Sie wollen Wagenknecht eh loswerden. 140 Genossen unterzeichneten einen Aufruf, in dem sie Wagenknecht vorhalten, die Partei mit ihrem „linkskonservativen Gegenprogramm“ zu spalten. Indirekt werfen sie ihr sogar eine Nähe zu „Verschwörungstheoretikern, Rechten und Rechtsextremen“ vor. Am 3. Dezember wollen sie sich in Berlin treffen und das Wagenknecht-Problem beraten: Wie sollen sie mit einer Politikerin umgehen, die der eigenen Partei immer nur schadet? Bei der Wahl in Niedersachsen, einem Landesverband, der Wagenknecht eigentlich nahesteht, weigerte sie sich, für ihre Partei zu werben. Manche verdächtigen sie, nicht einmal selbst noch die Linke zu wählen. „Wagenknecht muss raus“, sagt einer klipp und klar. Nur wie soll das gehen, ohne dass sie die Partei mit in den Abgrund zieht?
„Sahra allein wäre ein Kopf ohne Rumpf, wir ohne sie ein Rumpf ohne Kopf“, meint einer. Es ist wie in einer toxischen Beziehung. Sarah Wagenknecht und die Linke können nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Bräche die Linke auseinander, wäre das für alle ein großes Risiko. Denn auch Wagenknecht lebt ja von ihrer Rolle als Oppositionelle in der eigenen Partei. Und so geht der Streit immer weiter, hinterlässt immer tiefere Verletzungen. „Was bringt es, Gräben zuzuschütten, wenn drunter Wasser ist?“, fragt einer resigniert. „Man kann das Wagenknecht-Problem einfach nicht lösen.“
Entsprechend ist die Stimmung in der Fraktion. Viele sagen, Wagenknecht habe da noch nie richtig dazu gepasst. Einfach vom Wesen her. Sie sei nicht der soziale Typ, keine Netzwerkerin, eine Smalltalkverächterin. So reden auch Leute, die sie mögen. Es kann ja etwas Gutes sein, sich nicht anzupassen. Aber manche klagen auch, Wagenknecht provoziere dauernd. Und zwar ganz bewusst, rücksichtslos.
Gauland prunkt mit Wagenknecht-Buch
Dafür muss sie nicht mal persönlich im Bundestag sitzen. Es reicht, dass andere sie dahin tragen. Zum Beispiel Alexander Gauland von der AfD. Der hatte sich letztes Jahr mal einen besonderen Gag ausgedacht: Er saß an seinem Platz, und vor ihm auf dem Tisch prunkte Wagenknechts Buch wie eine Trophäe. Ihr Gesicht auf dem Cover, mitten in der AfD-Fraktion. Manche Linken-Abgeordnete finden: Kein Wunder, bei dem Buch. Und überhaupt, Wagenknecht tue alles, um auf Cover und in Talkshows zu kommen, und nichts für die Gemeinschaft. Wenn sie twittere oder bei Bild-TV schimpfe, spreche sie für sich. Im Bundestag aber sei das anders, da rede sie für die Fraktion.
Die Wagenknecht-Getreuen halten dagegen, es werde halt immer ein Haar in der Suppe gesucht. Rede Sahra, störe das ihre Gegner, schweige sie, störe das auch. Ihr wird vorgeworfen, dass sie in keinem Ausschuss sitzt, also mühevolle Sacharbeit scheue. Nein, sie habe anderen den Vortritt gelassen, verteidigen sie ihre Freunde. So geht es ständig: Sahra fehlt so oft in den Fraktionssitzungen? Stimmt nicht, sie schaltet sich bloß virtuell zu! Sahra versteht sich nur noch mit einer Handvoll Leute? Ja, kein Wunder, wenn alle anderen sie mobben! Sahra sitzt im hellen Licht des Fernsehstudios, während andere spätabends noch im Büro schuften? Weil euch Graumäuse nun mal niemand ins Fernsehstudio einlädt!
Was tun, wenn reden nicht hilft? Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: einander aus dem Weg gehen oder eben hinschmeißen. Hinschmeißen könnte nicht nur für Wagenknecht weitreichende Folgen haben, sondern auch für ihre Fraktion. Niemand glaubt, dass Wagenknecht allein ginge. Sie nähme ihre Vertrauten mit. Verlöre die Linke aber drei oder mehr Abgeordnete, belegte sie weniger als fünf Prozent der Sitze im Bundestag. Das heißt, der Status als Fraktion wäre futsch, die Linke verlöre sehr viel Geld. Manche Mitarbeiter von Abgeordneten warnen: Es träfe auch sie, die unsichtbaren Arbeiter hinter den Bundestagsmailadressen, das „Politikprekariat“, wie einer sagt. Arbeitslos wegen linker Streitsucht. Keine gute Werbung.
Wagenknecht kann nicht gut organisieren
Gegner von Wagenknecht hoffen, dass es ihr auf die Füße fiele, wenn sie ginge. Nach dem Motto: Sie lässt die Linken im Stich. Fans von Wagenknecht glauben an den Schwung des Aufbruchs. Aber vorher wäre da noch die Frage zu klären: Wie soll das gehen mit einer neuen Partei? Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung ist still und leise erschlafft, peinlich für ihre Anführerin. Die allerdings hat daraus gelernt. Sie weiß, dass Organisieren nicht ihre Stärke ist und dass sie dafür Leute braucht. Sie müssten das leisten, was in den sozialen Netzwerken die Algorithmen schaffen, nämlich Wagenknecht die Infrastruktur bieten, die sie dann ohne Mühe nutzen kann. Auf Youtube hat sie knapp sechshunderttausend Abonnenten, mehr als zwanzigmal so viele wie die Linke. An Motivation mangelt es nicht. Wagenknecht berichtet, dass sich „ganz viele“ bei ihr meldeten und fragten: „Macht ihr was Neues?“ – „Denen sage ich immer: Stellt euch das nicht so einfach vor. Das müsste sehr gut vorbereitet sein.“
Denn um eine Partei aufzubauen, muss man Rechtsfragen bedenken, Fristen einhalten, Spinner aussortieren. Und dann geht es ja erst richtig los. Kaum jemand glaubt daran, dass das bis zur Europawahl 2024 klappen könnte. Nicht mal die, die es sich wünschen würden. An der Europawahl wäre verlockend, dass da in Deutschland bisher nie schillernde Polit-Stars angetreten sind. Wagenknecht ginge nicht gegen den Kanzler oder einen Robert Habeck ins Rennen, sondern gegen Leute, von denen viele Deutsche noch nie etwas gehört haben. Aber würde die Partei in Europa kandidieren, müsste sie auch bei der Bundestagswahl ran. Berlin aufrollen, während die Chefin in Brüssel sitzt? Auch schwierig.
Manche glauben außerdem, die Bürger seien noch nicht wütend genug auf die Ampel. Einer spricht von einem „Grummeln der Lethargie“, das erst dann lauter würde, wenn am Ende des Winters genug Rechnungen ins Haus geflattert seien. Ziemlich sicher ist, dass Wagenknecht sich im Laufe dieser Wahlperiode entscheiden muss. Denn noch mal für die Linke kandidieren will sie nicht.
„Aus Spaltungen entsteht keine neue Kraft“
Den Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch nerven beide Seiten – jene, die von einer neuen Partei träumen, und jene, die Wagenknecht loswerden wollen. „Das ist Sektierertum“, sagt er. „Aus Spaltungen kann keine neue Kraft entstehen. Weder aus einer neuen Partei noch aus einer verkleinerten Partei.“ Bartsch erinnert sich noch gut daran, wie mühsam es war, die PDS in den Neunzigerjahren aufzubauen. Und auch Wissler hat diese Erfahrungen gemacht, als sie später die WASG mit aufbaute. An eine Wagenknecht-Partei scheint sie nicht wirklich zu glauben, die Gerüchte machen sie trotzdem nervös. „Natürlich ist es schädlich, mit der Gründung einer neuen Partei zu kokettieren.“
Manche im Parteivorstand hoffen deshalb, dass Wagenknecht sich zurückzieht und sich vor allem aufs Bücherschreiben verlegt. Drei Jahre im Bundestag wären dann noch zu überbrücken. Da könnte Wagenknecht ja einfach über Leiharbeit sprechen statt über Russland.
So leicht wird Wagenknecht es ihrer Partei wohl nicht machen. Sie sagt: „Theoretisch könnte ich auch privatisieren. Ich möchte weiterhin Bücher schreiben und brauche Freiräume, um zu lesen und nachzudenken. Anderseits möchte ich aber schon auch noch etwas bewegen.“