THEO VAN GOGH : DIE DRUSCHBA SPD! – Russland und die SPD : Als in Hannover ein Privatjet aus Moskau landete
Reinhard Bingener, Hannover -Aktualisiert am 20.12.2022-15:55 – Kurz nach dem Anschlag auf Nawalnyj landete nach F.A.Z.-Recherchen eine russische Delegation in Hannover. Dort wurde sie von Ministerpräsident Stephan Weil empfangen.
Der Sommer 2020 war für Planespotter keine gute Zeit. Am Himmel gab es weniger Flugzeuge zu beobachten als sonst, die Zahl der Flugbewegungen war aufgrund der Pandemie eingeschränkt. Am 15. September 2020 hatte ein Planespotter jedoch Glück: Er bekam am Flughafen Hannover die Landung einer Embraer Legacy mit der Nummer RA-02858 vor die Linse. Der Privatjet mit Außenlackierung in den russischen Nationalfarben Weiß-Blau-Rot war am VIP-Terminal des Moskauer Flughafens gestartet. An Bord saß eine ranghohe Delegation in diskreter Mission nach Niedersachsen.
Reinhard Bingener FAZ – Zwei Tage später trafen die Passagiere des Privatjets in der Hannoveraner Staatskanzlei auf Ministerpräsident Stephan Weil. Die russische Seite wurde unter anderen vertreten durch Minister Sergej Tscherjomin, in der Moskauer Regionalregierung für internationale Beziehungen zuständig, und Dmitrij Subow, den Vorstandsvorsitzenden des russischen Pharmakonzerns Binnopharm.
Aus der Staatskanzlei gibt es nur allgemeine Angaben
Im öffentlichen Terminkalender der Landesregierung wurde das Treffen nicht aufgeführt. Das sei nicht ungewöhnlich, schreibt die Staatskanzlei auf F.A.Z.-Anfrage und hüllt sich über den Inhalt des 70-minütigen Gesprächs weitgehend in Schweigen. Allgemein heißt es, „neben der Pandemie“ sei es um „Themen“ im Verhältnis zwischen Niedersachsen und Russland gegangen. Die diplomatischen Beziehungen Niedersachsens zu anderen Staaten seien „grundsätzlich vertraulich“.
Die Reise führt zurück in das komplizierte deutsch-russische Verhältnis zu dieser Zeit. Der SPD-Politiker Stephan Weil gehörte in der Pandemie neben Markus Söder und den ostdeutschen Regierungschefs zur Riege derjenigen Ministerpräsidenten, die zeitweilig mit einem Import des russischen Impfstoffs Sputnik V liebäugelten.
Weil liebäugelte mit russischem Impfstoff Sputnik V
Besonders weit wagten sich der CSU-Politiker Söder und Weils Parteifreundin Manuela Schwesig vor, obwohl der russische Vektor-Impfstoff noch keine Zulassung der Europäischen Arzneimittelbehörde hatte – und auch niemals erhielt. Denn Russland präsentierte zwar vielversprechende Daten zu Sputnik V und setzte den Impfstoff auch als Mittel seiner Außenpolitik ein. Statistiker verwiesen jedoch mehrfach auf Auffälligkeiten der Daten zu Sputnik und vermuteten dort Manipulationen.
In Russland wurde Sputnik hingegen Mitte August 2020 noch vor Beginn der dritten Studienphase zugelassen, also wenige Wochen vor dem Moskauer Besuch in der Niedersächsischen Staatskanzlei. Das russische Pharmaunternehmen Binnopharm zählte zu den vier Produzenten des Impfstoffs. Die Staatskanzlei teilt mit, dass bei dem Termin mit dem Binnopharm-Chef nicht über einen Import von Sputnik V gesprochen worden sei, für den Ministerpräsident Weil sich einige Monate später offen zeigte.
Einen Pharma-Bezug hatte die Reise dennoch, denn während ihres Aufenthalts besuchte die Delegation auch das Göttinger Unternehmen Sartorius, das nach Aussage eines Firmensprechers mit Binnopharm bei der Impfstoffproduktion kooperierte.
Die Landesregierung antwortet auf Anfrage, dass der damalige russische Honorarkonsul in Hannover, Heino Wiese, in der Anbahnung der Delegationsreise aus Moskau keine Rolle gespielt habe. Der ehemalige niedersächsische SPD-Landesgeschäftsführer und Bundestagsabgeordnete ist ein langjähriger Vertrauter von Gerhard Schröder und gilt mit der von ihm gegründeten Beratungsfirma Wiese Consult als Schlüsselfigur der sozialdemokratischen Moskau-Connection. Auch Ministerpräsident Weil hat Russland-Veranstaltungen seines langjährigen Bekannten Heino Wiese mehrfach durch seine Präsenz aufgewertet.
Und wieder taucht Honorarkonsul Heino Wiese auf
F.A.Z-Recherchen zufolge hat sich Wiese einen Monat nach der Landung des Privatjets mit der damaligen niedersächsischen Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) im Oktober 2020 zum Mittagessen getroffen. Das Ministerium bestätigt, dass es kurz nach dem Treffen einen Mailverkehr zwischen der Wiese Consult und dem Ministerium gegeben habe, in dem es unter anderem um Corona ging. Reimann, mittlerweile Chefin des AOK-Bundesverbands, lässt jedoch ausrichten, dass sie mit Wiese nicht über Russland oder Impfstoffe gesprochen habe. Das Treffen mit Wiese sei ein „privates Mittagessen“ gewesen.
Der Vorgang belegt, dass Wiese neben seinem bekannten Drähten zu Ministerpräsident Weil über weitere direkte Gesprächskanäle auf Ministerebene verfügte. Der Kontakt zur Gesundheitsministerin war wichtig für Wiese, denn dieser Bereich hat neben dem Russland-Geschäft große Bedeutung für die Wiese Consult. Als „Managing Partner“ der Wiese Consult waren zeitweilig auch die beiden vormaligen Abteilungsleiter Franz Knieps und Ulrich Tilly aus dem Bundesgesundheitsministerin tätig, die als einflussreiches rotes Küchenkabinett der früheren Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) galten.
Die Zulassung von Sputnik war nicht das einzige Ereignis, mit dem Russland im Spätsommer 2020 Schlagzeilen machte. Am 19. August wurde Oppositionsführer Alexej Nawalnyj Opfer eines Giftanschlags und verlor auf einem Inlandsflug das Bewusstsein. Zahlreiche Anhaltspunkte sprechen dafür, dass der Anschlag durch ein Team des russischen Geheimdienstes FSB ausgeführt wurde. Nawalnyj wurde wenige Tage später nach Deutschland ausgeflogen und lag zur Behandlung in der Berliner Charité, als Weil die Moskauer Delegation bei sich empfing.
Keine Überlegungen, auf Empfang zu verzichten
Die Staatskanzlei teilt mit, es habe keine Überlegungen gegeben, auf den Empfang zu verzichten. Ministerpräsident Weil sei damals noch für „einen durchaus auch kritischen Dialog“ mit Moskau eingetreten. Am 7. September hatte Weil als SPD-Landesvorsitzender einen Text unter dem Titel „Sanktionen sind Sackgassen“ veröffentlicht, in dem er den Anschlag auf Nawalnyj zwar als „widerlich“ bezeichnet, in der Hauptsache aber vor Sanktionen gegen Russland und einem Stopp von Nord Stream 2 warnt. Denn „in der internationalen Politik geht es nie um Demokratie und Menschenrechte“, zitierte Weil damals den SPD-Granden Egon Bahr.
Neben Sputnik und Nawalnyj gibt es noch einen dritten Kontext der damaligen Reise. Weil setzte sich nach der Landtagswahl 2017 nämlich trotz aller Warnzeichen für eine weitere Vertiefung der Beziehungen zu Russland ein. Dies geschah auf zwei Ebenen: Parteiintern bekämpfte Weil den russlandkritischeren Kurs des neuen Außenministers Heiko Maas, den die SPD-Führung um Andrea Nahles und Olaf Scholz Anfang 2018 an die Stelle des russlandfreundlichen Sigmar Gabriel gesetzt hatte.
Als Ministerpräsident versuchte Weil eine Zusammenarbeit zwischen dem Land Niedersachsen und der Region Moskau zu etablieren. Die Staatskanzlei teilt dazu mit, dass Stephan Weil sich über dieses Vorhaben am 4. Dezember 2018 in Moskau mit Oberbürgermeister Sergej Sobjanin ausgetauscht habe. Das „Ergebnis der verwaltungsmäßigen Prüfung“ sei jedoch negativ gewesen. Die angedachte Kooperation mit Moskau habe nicht einmal „die Ebene des Kabinetts“ erreicht, weil „schon zuvor auf Arbeitsebene eine vertiefte Zusammenarbeit nicht für sinnvoll erachtet worden war“.
Der F.A.Z. liegen Dokumente vor, die Einblick in den Diskussionsverlauf bieten. Demnach verschickte die Staatskanzlei nach einem weiteren Gespräch mit der russischen Seite schon am 10. April 2019 vertraulich den Entwurf für eine „Gemeinsame Erklärung“ zur Zusammenarbeit mit Moskau an die niedersächsischen Ministerien. Auf dem Dokument bäumt sich oben links schon stolz das Niedersachsen-Ross in die Höhe. Nur für das Logo der Stadt Moskau oben rechts steht noch ein Platzhalter. Das Papier spricht von einer „Ausweitung der Zusammenarbeit“ in allen Bereichen und legt fest, dass die Koordinierung auf niedersächsischer Seite durch die SPD-geführte Staatskanzlei erfolgen soll.
Gescheitert ist das Projekt dann nicht, weil in irgendeiner Behörde ein paar Beamte widersprachen. Die Sache wurde politisch verhindert. Die damals mitregierende CDU sprach sich gegen eine vertiefte Zusammenarbeit mit Russland aus, weil sie dies für ein falsches außenpolitisches Signal hielt. Der Ministerpräsident sei dem Koalitionspartner damals mit seinem Moskau-Projekt andauernd in den Ohren gelegen, heißt es. Durch den russischen Überfall auf die Ukraine wurde diese Form der niedersächsischen Nebenaußenpolitik dann obsolet.