THEO VAN GOGH: DIE BRÜSSEL EU BEREITET SICH AUF DIE EIGENE KATASTROPHE VOR / DURCH ZENTRAL DIKTATORIALE STEUERUNG
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Die EU-Kommission will künftig in Krisen mit planwirtschaftlichen Massnahmen den Binnenmarkt stabilisieren
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Die Turbulenzen der Pandemie haben in Brüssel ein weiteres legislatorisches Nachspiel. Die Kommission möchte in extremen Situationen Firmen zur Herstellung von Produkten zwingen können.
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Christoph G. Schmutz, Brüssel NEUE ZÜRCHER ZEITUNG -19.09.2022,
Der EU-Kommissar Thierry Breton will den Zusammenbruch des EU-Binnenmarkts verhindern.
Thierry Breton, der EU-Kommissar aus Frankreich, hat am Montag ein neues Notfallinstrument vorgestellt, mit dem Brüssel künftig den Zusammenbruch des Binnenmarktes in Krisensituationen verhindern will.
Grenzschliessungen verhindern
Man müsse antizipieren, sagte Breton. Darunter versteht er im Prinzip, sich auf die jüngst durchlebte Katastrophe vorzubereiten. In Brüssel blickt man mit einigem Schaudern auf die Zeit zurück, als EU-Mitgliedstaaten am Anfang der Pandemie 2020 ihre Grenzen zu schliessen begannen, Produkte nicht mehr aus dem Land liessen. Dazu kamen der Ärger wegen des Fehlens von Masken und Beatmungsgeräten sowie der holprige Start zur Impfstoffbeschaffung.
Breton sitzt zudem einmal mehr dem Irrtum auf, dass Beamte in Brüssel im Notfall am besten wissen, was zu tun ist. Das sei keinesfalls Planwirtschaft, beschwichtigte die EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Auch Breton wies entsprechende Vorwürfe am Montag vor den Medien zurück, die Initiative sei das Gegenteil von Planwirtschaft. Doch die Vorschläge sprechen eine andere Sprache.
Wenn eine Art Notfallmodus aktiviert worden ist, soll die Kommission Unternehmen zur Herausgabe gewisser Informationen zwingen können. Sodann möchte Brüssel Firmen verpflichten, «vorrangig bewertete Aufträge für krisenrelevante Produkte anzunehmen». Mit anderen Worten: Die Kommission will entscheiden können, welche Produkte ein in der EU angesiedelter Konzern herstellen muss. Das Unternehmen hat sich entweder zu fügen oder aber die «schwerwiegenden Gründe» für eine Ablehnung vorzubringen.
Die Kommission möchte mit dieser Vorlage verhindern, dass Waren, Dienstleistungen und Personen in einer künftigen Krise nicht mehr die Grenze überschreiten können und somit der gemeinsame Binnenmarkt zusammenbricht. Dazu schlägt Brüssel eine dreistufige Vorgehensweise im Krisenfall vor, die mit einem «Eventualfallmodus» beginnt, auf den der «Überwachungsmodus» und schliesslich der «Notfallmodus» folgen.
Brüssel will mehr Kompetenzen im Krisenfall
Auf der ersten Stufe sollen Kommission und Mitgliedstaaten ein Koordinierungs- und Kommunikationsnetz für eine verstärkte Vorsorge einrichten. Macht die Kommission sodann eine «Gefährdung für den Binnenmarkt» aus, kann sie den Überwachungsmodus aktivieren. Dabei würden Brüssel und Länder Lieferketten für bestimmte Waren und Dienstleistungen überwachen und strategische Reserven aufbauen, zu denken ist hier beispielsweise an Masken und Beatmungsgeräte.
Die Stufe, auf der die weitreichendsten Eingriffe wie die erwähnten Produktionsvorschriften möglich sind, muss schliesslich vom Rat der 27 Mitgliedstaaten ausgerufen werden. Im Notfallmodus gälte eine schwarze Liste von Beschränkungen, welche die Länder nicht ergreifen dürften. Zu denken ist hier etwa an eine Schliessung der Grenzen. Die Kommission würde rasch einseitige Beschränkungen der Mitgliedstaaten prüfen.
Brüssel würde sodann den Ländern empfehlen können, Waren durch den Ausbau oder die Umwidmung von Produktionslinien oder beschleunigte Genehmigungsverfahren sicherzustellen, schreibt die Kommission. Ferner würde das Gremium von Präsidentin Ursula von der Leyen auch als zentrale Einkäuferin tätig werden, so wie das bei den Impfstoffen in der Covid-19-Krise der Fall war.
Um Unternehmen aber zur Herstellung gewisser Produkte zu zwingen, wäre nochmals eine gesonderte Aktivierung nötig. Ferner sollen dann auch Prüfungen, Zulassungen und Konformitätsbewertungen schneller ausgestellt werden, um Waren zügig verfügbar zu machen. Hier ist an die Zulassung von Impfstoffen zu denken.
Brüssel möchte also in künftigen Krisen mehr Macht und mehr Handlungsspielraum haben. Ob sie das erhält, darüber beraten nun der Rat der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie das EU-Parlament. Stimmen sie den Verordnungen zu, so sollen die neuen Regeln zwanzig Tage nach ihrer Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft treten.
CDU und Grüne begrüssen die Vorschläge
Aus dem Parlament gab es zunächst Zustimmung. Sie begrüsse die Pläne, teilte Anna Cavazzini am Montag mit. Die Abgeordnete der Grünen ist Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Sie ist der Ansicht, dass die durch den russischen Krieg hervorgerufenen Verwerfungen auf dem Binnenmarkt nur durch mehr Kooperation ausgeglichen werden könnten.
Im Notfallmechanismus liege die grosse Chance, Stärken und Schwächen der Mitgliedsstaaten durch ein gemeinsames Vorgehen auszugleichen, schreibt Cavazzini. Es gebe aber noch offene Fragen, etwa wie strategische Güter und Dienstleistungen genau definiert würden.
Das Notfallinstrument sei die richtige Antwort auf die Covid-Pandemie und Russlands Angriffskrieg, lässt sich Andreas Schwab von der CDU in einer Mitteilung zitieren. Die EU müsse im Krisenmodus funktionsfähig bleiben und nationale Alleingänge wie Grenzschliessungen oder solche im Beschaffungswesen und bei Exportkontrollen vermeiden, so der binnenmarktpolitische Sprecher der grössten Fraktion im EU-Parlament, der christlich-demokratischen EVP-Parteienfamilie.
Die EU müsse bei der Lieferkettenüberwachung, den strategischen Reserven und der Priorisierung öffentlicher Aufträge «smart» sein, so Schwab. Man wolle ja den Binnenmarkt stärken, und dabei sollte die unternehmerische Freiheit nicht zu sehr eingeschränkt werden.