Sanktionen im Energiesektor Russlands Hebel, Amerikas Nadeln / Energie aus Iran und Kurdistan ?

…… und über allen holdings thront Gerhard Schröder, der als dessen Mentor seinen Steinermeier ins AA delegiert (MESOP)

Energiesanktionen gegen Moskau? Für die EU ist das keine Option, sie hängt am Gashahn. Anders sieht es mit Washington aus: Amerika kann Russlands Öl-Förderkosten in die Höhe treiben.

17.05.2014, von Thomas Gutschker – FAZ – Günther Oettinger, der EU-Energiekommissar, formuliert es so: Russland sitze, was Gaslieferungen angehe, „kurzfristig am längeren Hebel“. In dem schlichten Satz steckt eine Erkenntnis, die in Brüssel nicht neu ist, aber in einigen Mitgliedstaaten zuletzt verdrängt wurde. Sie lautet: Was auch immer die EU an Sanktionen gegen Russland verhängt, den Energiesektor sollte sie auf jeden Fall meiden. Denn wer dort straft, muss auf alternative Quellen ausweichen können – und das trifft nur auf die westlichen Mitgliedstaaten zu. Für Europa ist diese Erkenntnis wenig erbaulich. Allerdings bedeutet sie nicht, dass Russlands Energiesektor vor Sanktionen sicher ist, denn die Amerikaner bereiten gerade welche vor.

Moskau hat den Europäern ihre Abhängigkeit seit 2006 mehrfach vorgeführt. Dreimal drosselte es seine Gaslieferungen, zweimal versiegten sie sogar – immer im Streit mit der Ukraine über Gaspreise und Gasschulden. Anfang 2009 bekamen mehrere Staaten in Südosteuropa tagelang kein Gas mehr. Damals gab es in der EU den festen Willen, dass sich so eine Schmach nicht wiederholen sollte. Doch nun droht genau das: Russland will der Ukraine von Juni an Gas nur noch gegen Vorkasse liefern, Kiew lehnt das ab, eine Lösung ist nicht in Sicht. Zwar ist Sommer, die Speicher sind nach einem milden Winter halbwegs gefüllt, aber Europa muss schon wieder mit einer Demütigung rechnen.

Arbeiten an der Schubumkehr

„Wir haben als EU aus dem Lieferstopp von 2009 zu wenig gelernt. Es gibt immer noch zu viel nationalen Protektionismus und zu wenig energiepolitische Zusammenarbeit über Grenzen hinweg“, stellt der CDU-Politiker Norbert Röttgen fest, einst Umweltminister, jetzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. So ist es. Deutschland und andere Länder haben ihre Gasspeicher erweitert. Am Mittelmeer und am Atlantik sind neue Flüssiggasterminals entstanden, dieses Gas kann auf dem Weltmarkt gekauft und per Schiff transportiert werden. Allerdings fehlen transnationale Leitungen, um das Gas sinnvoll in Europa zu verteilen. Nur ein Drittel der verfügbaren Kapazitäten zur Verarbeitung von Flüssiggas wird überhaupt genutzt.

Jetzt wird händeringend an einer „Schubumkehr“ gearbeitet; das Gas soll in vorhandenen Röhren von West nach Ost fließen. Vorbild ist RWE. Der Essener Konzern liefert seit April über Polen Gas an die Ukraine. Ab Oktober soll auch von der Slowakei aus Gas Richtung Ukraine fließen, über eine Leitung mit höherer Kapazität. Umstritten ist, ob Gasprom dabei zustimmen muss.

© F.A.Z. Vergrößern Einnahmen Russlands aus Gas- und Ölexporten seit 2002

Die neuentdeckte Solidarität mit Kiew steht freilich im Gegensatz zu den beiden großen Leitungsprojekten in Europa: Nord Stream (durch die Ostsee, zwei Röhren fertig) und South Stream (durchs Schwarze Meer, erste Röhre im Bau). Russland will damit die Ukraine umgehen; beide Pipelines sollen einmal so viel Gas transportieren können wie die bestehenden Landleitungen. Dann könnte Kiew sein letztes Faustpfand gegenüber Russland verlieren: den Gastransit. Die meisten EU-Staaten nehmen das bereitwillig hin. Bulgarien und Ungarn entschieden sich schon für South Stream, als die EU noch eine Leitung namens Nabucco plante, die Russland umgangen hätte. Der Einfluss Russlands auf die Politik in Bulgarien ist riesig – darüber macht sich nun die Bundesregierung Sorgen.

Das Ölgeschäft ist die Achillesferse Moskaus

Überraschend kommt das nicht, schon gar nicht für Deutschland. Die BASF-Tochter Wintershall ist an South Stream und Nord Stream beteiligt; bei der Ostsee-Leitung außerdem noch Eon. An der Spitze des Nord-Stream-Konsortiums steht mit Gerhard Schröder sogar ein früherer Kanzler. Die Mehrheit hält in beiden Fällen der vom Kreml kontrollierte Monopolist Gasprom. Das Unternehmen arbeitet beharrlich an seinem Ziel, die gesamte Wertschöpfungskette zwischen den Gasfeldern in Westsibirien und den Verbrauchern in Europa zu beherrschen. Nun erwirbt es sogar den größten deutschen Gasspeicher. Als Abgeordnete kritisch danach fragten, antwortete die Bundesregierung, auch Gasprom müsse sich nach deutschen Gesetzen richten. Fachleute halten das für naiv. „Ein Unternehmen bekommt immer mehr Marktmacht, das bereit ist, Energie als politisches Druckmittel einzusetzen“, moniert Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.

© F.A.Z. Vergrößern Europas Leitungen zum russischen Erdgas

Deutschland und die EU fallen also aus, wenn es um Sanktionen geht, die auf die russische Energiewirtschaft zielen. Trotzdem sollte sich Moskau nicht in Sicherheit wiegen. Seine Achillesferse ist das Ölgeschäft. Da können die Abnehmer nicht so leicht erpresst werden. Schließlich fließt nur ein kleiner Teil des Öls über Leitungen (nach Europa), der größte Teil wird frei auf dem Weltmarkt verkauft – bei Gas ist es genau andersherum. Russland kann zwar die Ölproduktion drosseln, aber es schadet sich dann zuerst selbst. Denn die Einnahmen sind fest verplant. Der Staatshaushalt finanziert sich zu mehr als 40 Prozent aus Öleinnahmen, während die Gaserlöse nur knapp zehn Prozent beisteuern.

Kein Land könnte größere Lieferausfälle ausgleichen

Noch etwas kommt hinzu: Im Ölsektor ist Russland stark von amerikanischen Spezialfirmen abhängig. Sie verfügen über Gerät und Wissen, um vor der Küste oder in tiefgefrorenen Böden nach Öl zu bohren. Sie können Bohrlöcher „versorgen“, wie es heißt, also fachmännisch abdichten und effizient ausbeuten. Ohne diese Hilfe von außen könnten die Russen viele Vorräte entweder nicht erschließen, oder ihnen liefen die Kosten davon. Schon heute müssen für die Produktion eines Barrels Öl (159 Liter) 25 bis 40 Dollar aufgewendet werden, dreimal so viel wie in Saudi-Arabien. Auf dem Markt wird das Barrel derzeit für 110 Dollar verkauft. Das ist etwa der Preis, der bei der Berechnung des russischen Staatshaushalts zugrunde gelegt wurde. Sinkt die Marge, muss Moskau entweder Schulden machen – was gerade sehr teuer wäre – oder weniger Geld für soziale Wohltaten und Rüstungsgüter ausgeben.

© F.A.Z. Vergrößern Die baltischen Staaten und Finnland decken 100 Prozent ihres Erdgasbedarfs mit russischem Erdgas

An diesem Punkt könnte eine wirksame Sanktionsstrategie ansetzen. Im amerikanischen Außenministerium wird derzeit überlegt, das Russland-Geschäft der großen Bohrloch-Dienstleister einzuschränken. Es geht um texanische Konzerne, die Weltmarktführer Schlumberger, Halliburton und Baker Hughes. Die amerikanische Regierung könnte dafür sorgen, dass sie sich Schritt für Schritt aus Russland zurückziehen. Das wären Nadelstiche, die Moskau schmerzen würden.

Allerdings birgt ein solcher Plan auch Risiken. Russland würde versuchen, seine Produktionskosten über einen höheren Preis wieder hereinzubekommen. Es könnte zum Beispiel weniger Öl auf den Markt bringen. Momentan gibt es kein Land, das größere Ausfälle ausgleichen kann, also stiegen die Preise. Das würde dann die Weltwirtschaft insgesamt belasten. Einige Fachleute halten deshalb wenig davon, Energie als politisches Druckmittel einzusetzen.

Manche Experten warnen noch aus einem anderen Grund vor Energiesanktionen: Die Lieferströme könnten sich langfristig verschieben, weg von Europa. Auch Russen tragen dieses Szenario gerne vor. Ein Topmanager von Gasprom träumte mal laut von dem Tag, an dem er morgens aufwache und je nach Preis entscheide, ob er das Gas nach Westen oder Osten fließen lasse. Dieser Tag liegt freilich in weiter Ferne, denn bislang laufen alle Gasleitungen nach Westen.

© F.A.Z. Vergrößern Russlands Pläne für Gasleitungen Richtung Osten

Immerhin wollen China und Russland in der neuen Woche einen ersten Schritt tun, um das zu ändern. Der russische Präsident Putin wird mit Glanz und Gloria vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Peking empfangen. Gekrönt werden soll der Staatsbesuch mit dem Vertrag über eine Pipeline von Ostsibirien nach Nordchina. Sie soll ab 2018 etwa so viel Gas transportieren können wie die Ostsee-Pipeline heute.

Zwanzig Jahre lang ist über dieses mehr als zwanzig Milliarden Dollar teure Vorhaben verhandelt worden, während der Ukraine-Krise wurde plötzlich der Durchbruch gemeldet. Moskau vermarktet den Deal als Teil der Eurasien-Strategie von Präsident Putin. Doch was bisher darüber durchgesickert ist, wirkt nicht wie ein Triumph für Russland. Die Chinesen haben sich nämlich in den Preisverhandlungen durchgesetzt; sie bezahlen ein Viertel weniger für ihr Erdgas als die Europäer und werden obendrein an russischen Gasfeldern beteiligt. Europa kann also gelassen zusehen, wenn Putin und Xi Jinping auf ihren Energiepakt anstoßen: Russland wird nicht stärker, wenn es sich nach Osten wendet.