Rückkehr nach Fallujah – Al-Qaida gewinnt im Nahen Osten wieder an Einfluß

Kommentar von Thomas von der Osten-Sacken / jungle world

9.1.2014 – Ein Sturz des syrischen Diktators, so heißt es seit über zwei Jahren, würde vor allem al-Qaida und andere Jihadisten stärken. Erstarkt sind sie inzwischen längst, obwohl oder sogar weil Bashar al-Assad in Syrien weiter die Macht hat. Doch gilt er im Westen noch immer als Stabilitätsfaktor, obwohl Syrien inzwischen aus Ruinenlandschaften besteht und sein Regime sich nur noch dank der Unterstützung des Iran, Russlands und der Hizbollah hält. Auch der verheerende Bürgerkrieg, nicht nur in Syrien selbst, vor dem so eindringlich gewarnt worden war, ist seit langem blutige Realität, nicht etwa, weil es zu einer westlichen Intervention gekommen wäre, sondern weit eher, weil diese ausgeblieben ist.

Nun weht zum ersten Mal seit fast zehn Jahren wieder die Fahne von al-Qaida über den Dächern Fallujahs im Irak, der »Islamische Staat im Irak und der Levante« (Isil) hat kürzlich ein Kalifat ausgerufen, das Teile Ostysriens und des Westirak umfassen soll. Bislang wenig erfolgreich kämpft die irakische Armee gegen eine Offensive dieser al-Qaida-Gruppe in der Provinz Anbar.

Im ganzen Nahen Osten war al-Qaida, bis es zum Bürgerkrieg in Syrien kam, militärisch und ideologisch geschwächt. Dass die Jihadisten in Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen wieder an Einfluss gewonnen haben, liegt nicht daran, dass sie beliebt oder besonders stark sind, sondern weit eher an der Schwäche oder Unbeliebtheit ihrer Gegner. Wenn nämlich heute, anders als 2007, Bewohner und Milizen Anbars nicht an der Seite der Regierungstruppen gegen den Isil kämpfen wollen, dann vor allem, weil der irakische Ministerpräsident Nouri al-Maliki seit dem Abzug der US-Truppen konsequent die Konfessionalisierung vorangetrieben hat. Seine Regierung, so die auf Demonstrationen geäußerte Kritik, vertrete einseitig die Interessen der Schiiten, zudem übe der Iran zu großen Einfluss auf den Irak aus.

Sollte der Isil auch nur für kurze Zeit im sunnitischen Dreieck die Oberhand gewinnen, wäre dies auch ein Triumph über die USA, die damals einen beeindruckenden Sieg über die Jihadisten im Irak errungen hatten. Das US-Außenministerium beobachtet die Entwicklung zwar »besorgt«, will aber keinesfalls mit eigenen Truppen eingreifen, bestenfalls werden die USA mehr Waffen an Maliki liefern. Dabei garantiert dessen Politik für den Irak so wenig Stabilität wie Assads Politik in Syrien, beide können nur an der Macht bleiben, wenn sie die Konfessionalisierung vorantreiben.

Erfreulicherweise fanden am Freitag voriger Woche überall in Syrien Proteste gegen den Isil statt, in einigen Orten kam es zu heftigen Gefechten. Verschiedene Organisationen und Aktivisten riefen sogar eine »zweite syrische Revolution« gegen den Isil aus. Sie scheinen verstanden zu haben, dass sie auf sich alleine gestellt nur eine Perspektive haben, wenn sie das Regime und al-Qaida zugleich bekämpfen. Damit erteilen sie auch der Idee eine klare Absage, es gelte, sich im Nahen Osten mit einer Seite gegen die andere zu verbünden. Nur dominiert diese Denkweise in der westlichen Außenpolitik, weshalb man mit Assad verhandeln will, den Iran als Partner umgarnt und Malikis Regierung kritiklos stützt. Das kommt nicht nur einem Verrat an der syrischen Opposition gleich, sondern ist auch taktisch dumm, schließlich wird al-Qaida so alles andere als geschwächt.