Politisch korrekter Karneval : Alles Indianer? / Ein Kommentar von Jürgen Kaube
MESOPOTAMIA NEWS : KARNEVAL DER IDENTITÄTEN / DIE LETZTEN TAGE VON EUROPA
Zu Karneval erklärte eine Hamburger Kita das Indianer-Kostüm als unerwünscht – die Begründung: Indianer habe es nie gegeben. Muss in Zukunft auch das Dirndl den Schrank hüten?
Das berühmte „Indianerlied“ des Poeten Paul Scheerbart war sehr kurz und sehr einfach und ging so: „Murx den Europäer!/Murx ihn!/ Murx ihn! Murx ihn!/Murx ihn ab!“ Vor vierzigtausend Jahren gab es noch keine Indianer. Doch selbst wenn es sie gegeben hätte und sie den Kontinent heimgesucht hätten, wäre Anti-Europäern damals das Abmurxen nicht leichtgefallen. Denn der Europäer, den es damals durchaus schon gab, wäre trotzdem nur sehr schwer auffindbar gewesen.
In ganz Europa, so hat jetzt eine Forschungsgruppe der Universität zu Köln ausgerechnet, lebten nämlich während der frühen Jungsteinzeit überhaupt nur etwa 1500 Menschen. In ganz Europa also so viel wie heute auf Helgoland. Mitunter sollen es sogar nur achthundert Personen gewesen sein, die zwischen Euskadi – in dem damals natürlich auch noch keine Basken lebten, sondern eben Europäer – und der Schwäbischen Alb, der Dordogne und Böhmen jagten und sammelten.
Überhaupt nur fünf Regionen hatten den Kölner Schätzungen aufgrund archäologischer Fundstellen zufolge eine überlebensfähige Population von 150 oder mehr Personen: Nordspanien, Südwestfrankreich, Belgien, Teile Tschechiens und der obere Donau-Raum. Zwischen ihnen lagen Hunderte von Kilometern, außerdem waren die Europäer ständig in Bewegung, also selten zu Hause, wenn man denn die Höhlen, die sie bemalten, oder die Grabstätten, die sie anlegten, als Zuhause ansprechen will.
Der frühe Europäer war mithin sehr mobil, anpassungsfähig und umweltkundig in verschiedensten Habitaten. Fast möchte man sagen, dass er von Indianern nicht nur schwer abzumurxen gewesen wäre, sondern selbst etwas Indianerhaftes hatte. Das wiederum wirft die Frage auf, ob man wirklich, wie gerade in einem Hamburger Kindergarten geschehen, indianische Fastnachtsverkleidung als unerwünscht weil vorurteilsbeladen bezeichnen sollte.
Indianer, so die Begründung, habe es als solche nie gegeben. Der Oberbegriff sei vielmehr den Irokesen, Apachen, Cheyenne, Sioux und so weiter von ihren Kolonisatoren aufgezwungen worden. Es mache, sich als Indianer zu verkleiden, außerdem so wenig Sinn, wie sich als Europäer zu verkleiden und dafür beispielsweise eine Baskenmütze, ein Dirndl und Holzschuhe anzuziehen. Nun soll ja Fasching eigentlich nicht völkerkundlichen Sinn machen, sondern volkstümlichen Spaß.
Das mag zum Hamburger Kinderaufbewahrpersonal aber so wenig durchgedrungen sein wie in der Steinzeit die indianischen Europäer nach Norddeutschland. Folgte überdies aus dem Befund, dass es keine Indianer gibt, dann nicht auch die Inexistenz der Europäer, womöglich sogar der Hamburger? Oder ist es gerade umgekehrt, und es gibt überhaupt nur Indianer und Europäer, weil schon die ersten Europäer Indianer waren, die ersten Indianer aus Europa ausgewandert waren und die letzten Europäer, hochmobil und anpassungsfähig auch sie, vielleicht durchaus Gefallen finden an Kostümen mit Baskenmütze und Dirndl? Die sinnlose Fastnacht ist vorüber, der Karneval der Identitäten dauert an.
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