MESOPOTAMMIA NEWS „HOCHIDENTITÄRES ! – Israel will Gemeinden mit ausschließlich jüdischen Bewohnern ermöglichen / Von Jochen Stahnke – FAZ 23. Mai 2018
- ARABISCHE SPRACHE ZWEIT-KLASSIG – Verfassungsrechtler Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut ist die Stoßrichtung des neuen Gesetzes klar: „Dieses Gesetz verändert den Gleichheitsgrundsatz in Israel erheblich.”
JERUSALEM, 22. Mai Die Kleinstadt Kfar Vradim hatte 125 neue Grundstücke zum Kauf ausgeschrieben, der Bürgermeister wollte seine Gemeinde im Norden von Israel vergrößern. Das Interesse war groß, Wohnraum ist im ganzen Land knapp und teuer. Doch Mitte März stoppte Bürgermeister Sivan Yechiel die Ausschreibung: Es hatte sich herausgestellt, dass 58 der Grundstücke von arabisch-israelischen Familien gekauft worden waren.
Die Ausschreibung werde so lange ausgesetzt, bis er mit der Regierung übereingekommen sei, wie der jüdische Charakter von Kfar Vradim erhalten bleiben könne, sagte Yechiel.
Rassismusvorwürfe kamen auf,
die der Chef der Bürgerinitiative, die Druck auf den Bürgermeister ausgeübt hatte, von sich wies. Seine Reaktion wäre dieselbe gewesen, wenn Ultraorthodoxe den Charakter des Städtchens verändert hätten, sagte er. Es gehe um den Charakter der Gemeinde, um die Sprache, die in Kindergärten gesprochen werde. Der Fall Kfar Vradim verdeutlicht denn auch weniger ein Rassismusproblem denn ein generelles israelisches Dilemma: Israel sieht sich gleichsam als jüdischer Nationalstaat, aber auch als demokratisch. Wie geht beides zusammen, gerade in Gegenden, in denen viele Nichtjuden leben?
Bürgermeister Yechiel könnte bald Rechtssicherheit haben. Am 30. April hat die Knesset in erster Lesung ein neues Grundgesetz verabschiedet. Seit seiner Unabhängigkeit hat sich Israel keine Verfassung gegeben. Vielmehr wurde die Unabhängigkeitserklärung durch „Basic Laws” (Grundgesetze) ergänzt, die verfassungsrechtliche Fragen und Institutionen regeln. Die mehr als zehn „Grundgeset ze” sollten in eine Verfassung münden, was bis heute nicht geschehen ist—Nun z soll ein Grundgesetz die Gründung von Gemeinden für ausschließlich jüdische (oder muslimische oder christliche) Bevölkerung ermöglichen. Dieses „Nationalstaatsgesetz” will den Charakter Israels als Staat für die jüdische Bevölkerung festigen.
Über das Grundgesetz ist seit 2011 mehr oder weniger intensiv in der Knesset und ihren Ausschüssen diskutiert worden. Jetzt wurde es jedoch et erstmals in erster Lesung verabschiedet, auch wenn auch noch nicht in zweiter und dritter Lesung.
Das Nationalstaatsgesetz könnte den Charakter Israels also grundlegend verändern. Vor allem geht es in dem derzeit gültigen, eher knapp gehaltenen Text darum, den jüdischen Charakter des Staates zu festigen und das Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Volkes zu bekräftigen. Dazu wird in dem Gesetzestext ausdrücklich auch die jüdische Diaspora gezählt.Der Text setzt das Ziel, Juden aus aller Welt nach Israel zu holen, um dort „jüdische Ansiedlungen voranzutreiben”. Hinzu kommt eine weitere Passage aus dem bestehenden Hauptstadts-Grundgesetz, dass Jerusalem als Hauptstadt nie geteilt werden dürfe.
Aus dem Gesetzentwurf gestrichen wurde zuletzt eine Passage, nach der Gerichtsentscheidungen künftig unter Hinzuziehung jüdischen Zivilrechts zu treffen seien. Diesen Passus hatte insbesondere der russischstämmige Verteidigungsminister Avigdor Lieberman kritisiert, dessen Partei viele russische Einwanderer vertritt, die keine oder nicht praktizierende Juden sind. Auch Likud-Abgeordnete wie Benny Begin hatten den Passus kritisiert, der darin eine Schwächung demokratischer Verfahrensweisen erkannte. Der zuständige Knesset-Sonderausschuss ersetzte dann den Punkt vor der Abstimmung mit der Kompromissformel, in der Israel als „jüdischer Staat” beschrieben wird. Zudem wurde eine Bezugnahme auf die Unabhängigkeitserklärung gestrichen, in welcher ein Schutz der Minderheiten proklamiert ist.
Für den Abgeordneten Begin, Sohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin, garantiert das nun beschlossene Gesetz keine Gleichberechtigung aller Israelis. Auf Minderheiten geht der Gesetzestext kaum ein, wenn man von einer Passage über die Amtssprache des Landes absieht: Dort heißt es, dass künftig Hebräisch die Amtssprache Israels sei und dies nicht mehr zusammen mit dem Arabischen, das von einer zweiten Amtssprache auf eine Sprache mit Sonderstatus herabgestuft wird.
Zwar soll arabischsprachigen Israelis dadurch kein Nachteil erwachsen, wie der Sonderausschuss zuletzt ergänzt hatte. Arabischsprachige Abgeordnete verlangen dennoch, den Paragraphen zu streichen. Da sie aber einer Sitzung des Verfassungsausschusses aus Protest gegen das Blutbad in Gaza ferngeblieben sind, nahm der Ausschuss in seiner Sitzung vergangene Woche keine Änderung vor.
Für den Verfassungsrechtler Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut ist die Stoßrichtung des neuen Gesetzes klar: „Dieses Gesetz verändert den Gleichheitsgrundsatz in Israel erheblich.” Denn es diskriminiere die Nichtjuden. Außerdem, so Fuchs, „steht dort nicht mehr ein Wort dazu drin, dass Israel eine Demokratie ist”. Da es sich um ein neues Grund-gesetz handle, erwartet Fuchs, dass sich auch das Oberste Gericht zurückhalten werde, dieses Grundgesetz für verfassungswidrig zu erklären — weil es fortan ja neuer Teil der Verfassung sei. Die frühere Außenministerin und derzeitige Abgeordnete der Zionistischen Union Tzipi Livni kritisierte in der Knesset die Gesetzesvorhaben der Regierungsparteien: „Eine Regierung, die sagt, Demokratie heißt, dass die Mehrheit allein herrscht? Man sollte sie in eine Klasse für Staatsrecht schicken!”
Beobachter sehen im Vorantreiben des Gesetzes auch populistische Motive. Eingebracht hat den Gesetzentwurf der Likud-Abgeordnete und frühere Chef des Inlandsgeheimdienstes Avi Dichter zusammen mit anderen Abgeordneten, vor allem des Likud und der Siedlerpartei. Dichter gilt zwar als vergleichsweise pragmatisch. Auch er wolle sich aber für künftige Vorwahlen im zunehmend nach rechts drängenden Likud in Position zu bringen, heißt es. Für die regierungsnahe Denkfabrik Kohelet geht es bei dem Gesetz darum, die Balance zwischen dem demokratischen und dem jüdischen Charakter wiederherzustellen. „Es ist vor allem wichtig für all jene, die einen palästinensischen Staat unterstützen”, sagt ein Mitarbeiter. Das hieße indes, dass die in Israel lebenden arabischen Bürger dort ihren Platz hätten — und nicht in Orten wie Kfar Vradim.