MESOPOTAMIA NEWS : WER ODER WAS FÖRDERT DIE POPULISTEN ? / TRUMP vs. PRINCETON

In wessen Händen liegt die Macht? In letzter Zeit scheint der amerikanische Präsident vorzulegen – und das Fed folgt. / Donald Trump, der verrückt schlaue Fuchs: Wie der US-Präsident die einst mächtigen Notenbanker ausgetrickst hat

Die Notenbanker haben jüngst viel an Unabhängigkeit eingebüsst. Doch damit nicht genug. Wie es aussieht, stützen sie wider Willen die Politik der Rechtspopulisten, von Donald Trump bis zu Matteo Salvini. Wie genau, lesen Sie in diesem Essay.-  Niall Ferguson – SUNDAY TIMES / NZZ – 6.8.2019, 05:30 Uhr

Nach der Finanzkrise gab es eine Zeit, in der allein die Notenbanker den Ton angaben. In einem Buch mit dem Titel «The Only Game in Town» (2016) warnte der Ökonom Mohamed El-Erian, mit ihren exotischen Methoden der Krisenbekämpfung – Zinsen bei null Prozent, quantitative Lockerung, Forward Guidance – würden die Zentralbanker Gefahr laufen, über das Ziel hinauszuschiessen.

 

Das war weitsichtig. Drei Jahre später sind die Männer und Frauen, die Finanzpolitik betreiben, alles andere als alleinbestimmend. Jetzt sind sie es, die manipuliert werden.

 

Kluge Strategie

Am Mittwoch erklärte der Vorsitzende des Fed, Jerome «Jay» Powell, an einer Pressekonferenz, warum er und seine Kollegen beschlossen hatten, den US-Zinssatz um ein Viertelprozent zu senken. Weil die amerikanische Wirtschaft noch mit vernünftigen 2,1 Prozent wächst und die niedrigste Arbeitslosenquote seit Dezember 1969 aufweist, brauchte die Entscheidung ein paar Erklärungen. Powells bestes Argument (abgesehen von der anhaltend niedrigen Inflation)? «Unsicherheiten der Handelspolitik», die er mindestens zwei Dutzend Mal und damit doppelt so oft ansprach wie die andere Entschuldigung («schwaches globales Wachstum»).

Im letzten Jahr hat Donald Trump das Fed wiederholt kritisiert, weil es die Zinsen erhöhen wollte, und dann, weil es sie nicht genug senkte. Seine Reaktion auf die Kürzung des Fed um ein Viertelprozent kam rasch. Schon am nächsten Tag twitterte er seine Absicht, «am 1. September auf die verbleibenden Waren und Produkte, die aus China in unser Land kommen, einen kleinen zusätzlichen Zoll von zehn Prozent zu erheben».

New York und Washington sind voll mit Kommentatoren, die in Harvard, Yale und Princeton (wo Powell studiert hat) waren und sich für weit cleverer als Trump halten. Sie kichern, wenn er sich selbst als «mental gefestigtes Genie» bezeichnet. Doch dieser Präsident ist «crazy like a fox» – bis zur letzten Woche habe ich diesen alten amerikanischen Spruch nie so recht verstanden. Sein Verhalten mag bescheuert oder einfach nur dumm erscheinen, doch in Wahrheit ist es darauf angelegt, die Typen von den Elite-Unis auszutricksen.

 

Das Fed sagt, es senke den Zinssatz wegen der Handelsunsicherheit, die Trump fast im Alleingang verursacht hat. Doch es senkt ihn nur um ein lausiges Viertelprozent. Als Reaktion droht der schlau-verrückte Fuchs für den 1. September weitere Zölle auf chinesische Waren an – zwei Wochen vor dem nächsten Treffen des Federal Open Market Committee, das den Zinssatz des Fed festlegt.

Wer also gibt hier den Ton an?

 

Der neue Ausnahmezustand

2016 schienen die Notenbanker allmächtig – die Hohepriester des politischen Establishments. Sie spielten eine führende Rolle in der Opposition der technokratischen Elite gegen alles, was populistisch war, nicht zuletzt gegen den Brexit und Trump. Heute sind die früheren Meister der Finanzen zu unglücklichen Helferlein nicht nur von Trump, sondern auch von Boris Johnson geworden, ganz zu schweigen von Matteo Salvini und Jair Bolsonaro, ihrer italienischen bzw. brasilianischen Entsprechung.

 

Die Bereitschaft von Notenbankern, zur Abwehr einer Rezession vorausschauend die Zinsen zu senken oder zumindest Zinssteigerungen und weitere «quantitative Verknappung» zu verwerfen, spiegelt eine grundlegende Verschiebung des ökonomischen Denkens wider. Nach 2008/09 nahm man an, die Krise bekämpfen zu müssen, um dann zum «Normalzustand» zurückzukehren – also die Zinsen auf ihr Niveau vor der Krise zu bringen. Doch das gegenteilige Argument – dass wir eine Jahrhundertstagnation und nicht nur einen zyklischen Durchhänger erleben – scheint im Moment die Oberhand gewonnen zu haben. Keiner glaubt jetzt mehr, dass die Zinsen wieder dort ankommen könnten, wo sie vor 2008 standen.

Gleichzeitig wurden die alten Grundsätze der Fiskalpolitik weithin aufgegeben. Inzwischen sagt sogar Olivier Blanchard, ehemaliger Chef des Weltwährungsfonds, wachsende Schulden der öffentlichen Hand seien ein geringeres Problem als früher angenommen. Eine solche Aussage hätte ich von einem hochrangigen Mitarbeiter des Peterson Institute for International Economics nicht erwartet, doch dann ist Peter Peterson – Namensgeber des Instituts und zeitlebens ein Fiskalkonservativer – im letzten Jahr gestorben.

 

Diese Veränderungen in der Währungs- und Fiskaltheorie sind ein Glück für populistische Machtinhaber. (Ich weigere mich, die beschämende Idee gutzuheissen, es handle sich dabei in Wahrheit um eine Rationalisierung der rasch schwindenden politischen Unabhängigkeit der Notenbanker). Warum auch immer – das Federal Open Market Committee ist das Komitee zur Wiederwahl Trumps geworden. Nicht weil er das Personal des Fed erfolgreich eingeschüchtert hätte – das behaupten sie dort jedenfalls. Es liegt an ihrer Einschätzung, der «natürliche Zinssatz» liege im Moment wirklich sehr, sehr niedrig.

 

Ähnliches gilt für die Bank of England. Es ist kein Geheimnis, dass Mark Carney 2016 gegen den Brexit war. Inzwischen hat seine Begeisterung nicht zugenommen. Und am Donnerstag wirkte er vorhersehbar ernst angesichts der Möglichkeit, dass ein Ausscheiden aus der EU ohne Vertrag am 31. Oktober in Grossbritannien eine Rezession auslösen könnte. Dennoch weiss er, dass die Bank die Zinsen senken muss, wenn man keinen Weg findet, die Klippe an Halloween zu umgehen. Das Pfund fällt und fällt und fällt: Das war Carneys Botschaft der letzten Woche. Und demzufolge können wir erwarten, dass der neue Schatzkanzler Sajid Javid mehr Pläne für immer neue Ausgaben verkünden wird.

Was die EZB angeht, so ist die Ernennung von Christine Lagarde als Nachfolgerin von Mario Draghi genau das, was Salvini, italienischer Innenminister (und De-facto-Ministerpräsident), braucht. Lagarde verachtet den Populismus nicht weniger als ihre amerikanischen oder britischen Kollegen. Doch wie diese versteht auch sie, dass es die Pflicht der Technokraten ist, die ökonomischen Erschütterungen abzumildern, die von den Populisten fortwährend erzeugt werden. Was also, wenn das Budgetdefizit Italiens in die Höhe schiesst? Die Technokraten wünschen sich, dass Deutschland Salvinis Beispiel folgen möge.

 

In Brasilien läuft es ähnlich. Bolsonaro sagt, er befürworte die Unabhängigkeit der Notenbank. Das hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, eine Währungsunion mit Argentinien vorzuschlagen und (um die anderen zu ermutigen) den Chef der brasilianischen Entwicklungsbank zu feuern. Letzte Woche gab die Notenbank dem Präsidenten, was Trump vom Fed verlangte: Nicht einen Viertel-, sondern einen halben Prozentpunkt.

 

Freunde: Populisten und Notenbanker

Eines muss man den Populisten lassen: Sie verstanden intuitiv, dass es verrückte (nicht im Sinn des verrückt-schlauen Fuchses) Züge trug, in der Welt nach der Krise Zinsen zu erhöhen und Haushalte auszugleichen; ausserdem verstanden sie, dass die Wähler den immer noch freier werdenden Handel und steigende Immigrantenzahlen leid waren. Es waren die Eierköpfe (darunter auch ich), die eine gesunde Währung und Sparsamkeit wünschten.

Könnte dieser Trend, dass fallende Zinsen und schmerzfreie Defizite dabei helfen, Populisten an der Macht zu halten, irgendwie gebrochen werden? Als eine mögliche Antwort fällt mir ein grosser Krieg ein – denn historisch gesehen, wurden damit Inflationserwartungen und Zinsen tendenziell nach oben getrieben. Doch auch das haben die Populisten ziemlich gründlich ausgeschlossen. Sie sahen, was aus einer anderen Gruppe von Eierköpfen – den Neokonservativen – geworden war, als sie beschlossen hatten, nach dem 11. September den Krieg als Instrument der Politik wiederzubeleben.

Auch eine Wahlüberraschung könnte den Trend brechen. Märkte scheinen eine rechte Regierung zu mögen, die sich keine monetären und fiskalischen Beschränkungen auferlegt. Das könnten sie anders sehen, wenn eine linke Regierung sich diesen Verzicht von Einschränkungen zu eigen machte. Technokratie und Demokratie unterscheiden sich insofern, als es in Letzterer immer mehr als einen gibt, der bestimmt. Und nicht alle verrückt-schlauen Füchse finden sich auf der Rechten.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Helmut Reuter.

Niall Fergusons Kolumne

  1. · Niall Ferguson zählt zu den wichtigen Historikern der Gegenwart. Standardwerke schrieb er zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg, zur Familie der Rothschilds, zur Geschichte des Geldes und zu verschiedenen geopolitischen Fragestellungen. Ferguson ist Senior Fellow am Zentrum für europäische Studien in Harvard und forscht gegenwärtig als Milbank Family Senior Fellow an der Hoover Institution in Stanford, Kalifornien.

Der obenstehende Essay ist die jüngste Kolumne, die Ferguson für die britische «Sunday Times» verfasst hat. In seinen Texten übt er sich in einer Kunst, die er meisterhaft beherrscht: die Gegenwart durch die Linse der Vergangenheit zu betrachten, um sie zugleich gegen den Strich zu bürsten. An dieser Stelle erscheint nun jede Woche seine Kolumne exklusiv im deutschsprachigen Raum. Wir danken der «Sunday Times» für die Möglichkeit des Wiederabdrucks.