MESOPOTAMIA NEWS : „WAHLEN SIND KEINE VOLKSZÄHLUNGEN“ (THOMAS HOBBES)
Geschlechterquote im Parlament – Böser männlicher Blick / Von Jürgen Kaube (FAZ)
Sind Gleichberechtigte auch Gleichgestellte? Mit dem neuen Wahlrecht Brandenburgs erhalten die Anhänger der Geschlechterparität Rückenwind. Ihre Argumente führen in etliche Dilemmata.
Ist demnächst mit solchen Stellenanzeigen zu rechnen: „Der CDU-Kreisverband Freudenstadt sucht für den Bundestagswahlkreis Calw eine junge, alleinerziehende Frau ohne Abitur mit Migrationshintergrund, die unternehmerisch tätig aber konfessionslos ist, zwecks Übernahme einer Kandidatur zum 20. Deutschen Bundestag“?
Die Änderung des Landtagswahlrechts in Brandenburg, wo soeben eine gesetzliche Geschlechterquote für Listenplätze beschlossen wurde, könnte darauf hinauslaufen.
Jedenfalls dann, wenn man einige Argumente weiterdenkt, die dafür vorgetragen wurden. Für die Bundesebene haben Politiker eine solche Quote als „logisch“ (Angela Merkel) oder „logisch und notwendig“ (Andrea Nahles) bezeichnet. Appelle, die Volksvertretungen jünger, weiblicher und herkunftsdiverser zu machen, sind allenthalben zu hören. Maßnahmen, es wahlrechtlich zu erzwingen, sind allerdings von anderer Qualität.
Die Logik, die dabei in Anspruch genommen wird, ist eine doppelte, eine juristische und eine soziologische. Zum einen berufen sich die Anhänger der Geschlechterparität sowie die Staatsrechtler, die das Vorhaben unterstützen, auf den Artikel 3 des Grundgesetzes. Wenn Frauen und Männer gleichberechtigt sind, so das Argument, und wenn aus Gleichberechtigung Gleichstellung folgt, weil der Staat nach Absatz 2 dieses Artikels verpflichtet ist, auf die Beseitigung von entsprechenden Nachteilen hinzuwirken, dann zeigen Frauenanteile von deutlich weniger als fünfzig Prozent in den deutschen Parlamenten für sie einen Steuerungsbedarf an.
Ein maßstabsverkleinerter Staatskörper
Der Abstand zur Parität beträgt im Bundestag, in dem derzeit knapp 31 Prozent Frauen sitzen, 135 Abgeordnete. In Brandenburg hingegen müssten nur neun Sitze umbesetzt werden. Man sieht, dass nicht nur die Geschlechterverteilung fragwürdig sein kann, sondern dass auch die Größe eines Parlaments beeinflusst, wie wahrscheinlich drastische oder zufällige Ungleichverteilungen sind. Parlamente, so hieß es schon vor fast vierhundert Jahren in England, sollten maßstabsverkleinert den Staatskörper abbilden.
Im Absatz 3 desselben Grundgesetzartikels steht, niemand dürfe wegen seines Glaubens oder seiner Herkunft benachteiligt werden. So gesehen wäre auch eine stark unterproportionale Besetzung der Parlamente mit Muslimen, konfessionslosen Personen oder Migranten ein Anlass für Gleichstellung. Dem kommt die soziologische Deutung der repräsentativen Demokratie entgegen. In Parlamenten sprechen danach Abgeordnete für das Volk, vertreten es gegenüber der Exekutive. Eine solche Vertretung erscheint unvollständig, wenn sich unter den Abgeordneten große Gruppen der Bevölkerung gar nicht oder zu auffällig geringen Anteilen finden. Ein Bundestag, in dem nur Siebzigjährige säßen, nur Katholiken oder nur Apotheker, würde den Verdacht auf sich ziehen, nicht für das ganze Volk zu sprechen.
Inwiefern handelt es sich hierbei um ein soziologisches Verständnis von Repräsentation? Zunächst, weil der Satz, Abgeordnete seien dem ganzen Volk verpflichtet, also auch denen, die sie nicht gewählt haben, keine empirische Aussage ist. Der komplementäre Satz wiederum, Abgeordnete seien einzig ihrem Gewissen unterworfen, stellt nur eine Abwehrformel gegen Fraktionszwang und Weisungen durch die Wählerschaft dar. Abgeordnete begehen keinen Rechtsbruch, wenn sie sich nicht an das halten, was andere – das Kanzleramt, die Partei, die Wähler – von ihnen erwarten.
Wir wählen Programme, nicht Personen
Den parlamentarischen Normalfall beschreibt der Satz hingegen nicht. Denn selbstverständlich herrscht oft durchaus Fraktionszwang, repräsentierten die Mandatsträger vor allem den Willen ihrer politischen Gruppe und sind nicht ständig nur ihrem Gewissen, sondern auch Ralph Brinkhaus unterworfen. Wir wählen per Zweitstimme Programme, nicht Personen. Für die Abgeordneten, die für diese Programme stehen, dürfte es dann überdies mitunter eine Rolle spielen, welchen beruflichen, familiären, ökonomischen oder religiösen Hintergrund sie haben.
Diese Vermutung geht mit der Forderung nach einer Geschlechterquote einher. Allerdings scheint sie das Geschlecht für ein besonders wirkmächtiges Merkmal zu halten. Am deutlichsten hat es die an der Universität Kassel lehrende Juristin Silke Laskowski ausgedrückt, die als Sachverständige am neuen Brandenburger Wahlrecht mitgewirkt hat: Bestünden Parlamente überwiegend aus männlichen Abgeordneten, überwiege in ihnen der „männliche Blick“ (ihre Anführungszeichen). Deswegen komme es zu so vielen gesetzlichen Regelungen zu Lasten von Frauen, die vom Bundesverfassungsgericht später wegen Diskriminierung wieder kassiert würden.
Ob es empirische Belege für diese Behauptung gibt, steht dahin. Sie wäre nicht nur damit abzugleichen, dass auf der Ebene von Ministern, Fraktions- und Parteivorsitzenden eine männliche Dominanz im Bund weniger leicht zu belegen ist. Der These, mehr Frauen führten zu besseren Gesetzen für Frauen, steht aber noch eine andere Empirie im Wege. Jüngst hat die Bundesjustizministerin, Katarina Barley (SPD), diese These in ihrer utopischen Vorstellung bekräftigt, ein geschlechtergerechter Haushalt ließe sich leichter verabschieden, wäre der Bundestag auch nur einen Tag lang zu hundert Prozent weiblich besetzt. Was aber, wenn die gute Fee diesen Wunsch erfüllen würde, indem sie Barley vierhundert Mitabgeordnete der Gesinnung von Alice Weidel oder Nicole Höchst (beide AfD) schenkte? Das Geschlecht allein bestimmt den Blick wohl nicht.
Zwei Landwirte sind auch nicht viel
Analog unterschätzen auch Vorstellungen, ein migrantischer, alleinerziehender, unternehmerischer oder unakademischer „Blick“ brächte bestimmte wünschenswerte politische Ergebnisse hervor, das Eigengewicht der Zugehörigkeit zu Parteien sowie der Dynamik politischer Verhandlungsprozesse. Eine der ältesten Einsichten der Parteiensoziologie war der Befund, dass die Funktionäre von Arbeiterparteien keine Arbeiter mehr sind, sondern Angestellte. Wer „als Mann“ oder „als Frau“ gewählt würde, fänden sich entsprechend häufig in einer Lage, in der das gar nicht mehr informativ und jedenfalls keine Schlüssel für das politische Entscheiden wäre.
Das Dilemma soziologischer Erwartungen an wahrhafte Repräsentation ist also ein zweifaches. Zum einen muss unterstellt werden, Frauen sprächen eher für Frauen, und es sei überdies klar, was das ist: „für Frauen sprechen“. Zum anderen macht sich ausgerechnet die Forderung, Parlamente müssten die Bevölkerung „spiegeln“, gegen eine soziale Wirklichkeit blind, die sich gar nicht spiegeln lässt. Die erfundene Suchanzeige der nordwürttembergischen CDU deutet es nur an. Würde ein männlicher Migrant sich um den Sitz einer Frau mittleren Alters bewerben, welche Quote sollte dann mit welcher Begründung dringlicher sein? Dass im Bundestag überwiegend Beamte sowie Angestellte im öffentlichen Dienst, Juristen, Akademiker und Verheiratete sitzen, sei nur notiert. Drei Hausfrauen beziehungsweise Hausmänner und nur zwei landwirtschaftlich Berufstätige sind beispielsweise auch nicht viel.
Ein Mittelweg zwischen Oktroi und Laissez-faire
Aber Wahlen sind keine Volkszählungen. Thomas Hobbes formuliert das einst so: Indem es ein Parlament wähle, löse sich das Volk im selben Moment auf. Und zur Mitteilung ihrer Interessen haben die Wähler eben nur das ausdrucksschwache Mittel der Zweitstimme. Was aber hinderte die Kanzlerin und Vorsitzende der CDU denn und was die Vorsitzende der SPD, in ihren Parteien durchzusetzen, was sie für logisch halten? Dass sie es nicht durchsetzen können? Womöglich ist das französische Paritätsgesetz ein kluger Mittelweg zwischen Oktroi und Laissez-faire. Es weist Parteien, die von ihm abweichen, weniger Mittel zu, zeigt also Verständnis für jene Schwierigkeit, ohne auf Anreize zu verzichten, sie zu überwinden und den guten Willen zu überprüfen. In Frankreich sind vierzig Prozent der nationalen Abgeordneten weiblich, nur wenig mehr mithin als in Brandenburg.
Ob die Forderung nach einer Frauenquote hierzulande verfassungsrechtlich durchsetzbar ist, wird überprüft werden. Immerhin sorgt auch das bisherige Wahlrecht über Direktmandate und Landeslisten dafür, dass alle Regionen parlamentarisch nach ihrer Bevölkerungszahl repräsentiert sind. Auch hier wird also nicht nur nach Fähigkeit aufgestellt, sind nicht die Chancen aller gleich. Wer das nicht anstößig, sondern repräsentationsgerecht findet, könnte auch gegenüber einer Geschlechterquote gelassen sein. Dass Wahlkreisabgeordnete besonders intensiv lokale Interessen verfolgen, ist ein stabiles, mit vielen Anekdoten belegtes Vorurteil. Nachweisen lässt es sich nicht. Wenn es aber in puncto Repräsentation nicht viel bedeutet, woher die Abgeordneten kommen, gilt dasselbe für das Geschlecht. Eine Gleichstellung, die auf substantielle Annahmen über Frau und Mann verzichten würde, wäre insofern geeignet, diesen Unterschied zu trivialisieren. Die Parteien hätten in der Hand, diese Trivialisierung vorzunehmen.