MESOPOTAMIA NEWS „VOM KOMMENDEN BÜRGERKRIEG“ : POLIZEILICH ZUGELASSENER MORD?

  • Berliner Polizei vollintegriert in Verbrecher-Clans ? –

 

BERLIN, 30. Juli. FAZ – MARKUS WEHNER – Tahir Özbek sitzt am 10. Januar 2014 im Hinterzimmer des Wettcafés Expekt im Berliner Bezirk Reinickendorf beim Kartenspielen. An diesem Tag marschieren ein Dutzend Rocker der Heils Angels in das Wettbüro, vermummt und im Gänsemarsch. Der vorderste, Recep 0., gibt in fünf Sekunden acht Schüsse ab. Sechs Kugeln treffen Özbek, der Mann verblutet.

Die Polizei geht von einem Rachefeldzug aus. Denn das Mordopfer, der Polizei als Intensivstraftäter bekannt, hatte drei Monate zuvor bei einer Schlägerei vor einer Diskothek zwei Mitglieder der Hells Angels mit einem Messer verletzt. Der damalige Boss der Berliner Angels, der heute 33 Jahre alte Türke Kadir Padir, soll den Mord in Auftrag gegeben haben. Dreizehn Tage nach dem Mord wird Padir verhaftet. Zusammen mit neun weiteren An-geklagten, meist türkischer oder arabischer Herkunft und fast alle Mitglieder der Hells Angels, sitzt Padir vor einer Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin auf der Anklagebank. Der größte Rockerprozess der Hauptstadt hat vor bald vier Jahren begonnen. Es gibt einen Kronzeugen, der Zeugenschutz genießt und den Rockerboss als Auftraggeber belastet. Eigentlich sollte das Urteil im „Wettbüroprozess” gesprochen werden — doch der Prozess hat eine spektakuläre Wendung genommen.

Kurz vor dem Ende der Beweisaufnahme hat das Gericht den Verdacht geäußert, dass Berliner Polizisten von der Morddrohung gegen Özbek wussten, aber nichts unternahmen, um ihn zu schützen. In einem rechtlichen Hinweis an die Prozessbeteiligten stellte das Gericht fest, dass möglicherweise „Kräfte des Landeskriminalamts” schon seit Ende Oktober 2013 von einer drohenden Tötung Özbeks durch Personen aus dem Umfeld der Heils Angels wussten, „aber bewusst und unter billigender Inkaufnahme der Tötung zwingend gebotene polizeiliche Maßnahmen unterließen, um die potentiellen Tatbeteiligten nach einer Tat-begehung strafrechtlich zu verfolgen”.

Im Klartext: Der Polizei wird vorgeworfen, Özbek trotz klarer Hinweise nicht geschützt zu haben, um nach seiner Ermordung Padir festnehmen zu können. Es geht also nicht nur um Fahrlässigkeit, sondern um einen bedingten Vorsatz. Die Staatsanwaltschaft Berlin teilte am Montag mit, dass wegen der Einschätzung des Gerichts gegen drei Polizeibeamte des Landeskriminalamtes ermittelt werde — wegen des Verdachts des Totschlags durch Unterlassen. Die Beamten vom der Abteilung Organisierte Kriminalität waren an der Gefährdungsbewertung für Özbek beteiligt. Das Verfahren soll klären, ob sich der von der Strafkammer geäußerte Verdacht nachweisen lässt.

Neu ist der Verdacht nicht. Gerüchte darüber, dass Özbek von der Polizei wider besseres Wissen nicht gewarnt worden sei, gab es schon unmittelbar nach der Tat. Die Polizei hatte vor vier Jahren eine interne Ermittlung eingeleitet, Beamte wurden versetzt. Die Staatsanwaltschaft prüfte, ob es Fehler in der Gefährdungsbewertung gegeben hatte, nahm aber keine Ermittlungen auf. Doch im Laufe des Prozesses traten immer mehr Ungereimtheiten zutage. So war Özbek wochenlang auf einer achtstufigen Skala mit Stufe 2 („Gefährdung sehr wahrscheinlich”) bewertet worden, kurz vor dem Mord wurde die Einschätzung auf Stufe 5 („Gefährdung eher unwahrscheinlich”) geändert. Warum es zu dieser merkwürdigen Herabstufung kam, ist unklar. „Eine solche Entscheidung trifft jedenfalls kein einzelner Sachbearbeiter”, sagt Tom Schreiber, Innenpolitiker der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Auch wurde bekannt, dass Padir wenige Tage vor dem Mord in einem Telefonat einen konkreten Angriff auf Ozbek zur Sprache gebracht haben soll. Das Telefonat, das mitgeschnitten und übersetzt wurde, floss aber nicht in die Gefährderbewertung der Polizei ein.

Der Chef des Landeskriminalamtes, Christian Steiof, hatte unmittelbar nach dem Mord gesagt, man habe Özbek nicht warnen können, weil er sich im Ausland aufgehalten habe. Steiof musste im Dezember bei seiner Aussage im Prozess zugeben, dass seine Angaben falsch waren. Durch eine „Vertrauensperson” und mitgeschnittene Telefonate habe die Polizei gewusst, dass Özbek wieder in Berlin war. Mehrere Polizeibeamte, die mit dem Fall befasst waren, verweigerten im Prozess die Aussage, offenbar um sich nicht selbst zu belasten. „Das Landeskriminalamt hat in dem Prozess keine gute Figur abgegeben”, sagt Schreiber. So hätten auch „einige Gigabyte” Daten des Landeskriminalamtes zu dem Fall dem Gericht gar nicht vorgelegen. „Das ist an Schlampigkeit kaum zu überbieten.” Es scheint, dass dem Gericht aufgrund der mangelnden Kooperation des Landeskriminalamtes der Geduldsfaden gerissen ist. Bei der Frage nach der Verantwortung könnte neben Steiof die frühere Vizepräsidentin der Berliner Polizei, Margarete Koppers, unter Druck geraten. Sie ist seit einigen Monaten Berliner Generalstaatsanwältin und fordert nun „rückhaltlose Aufklärung”.

FAZ 31 Juli 2018

www.mesop.de