MESOPOTAMIA NEWS : VERFASSUNGSSCHUTZ REPORT sieht „Entgrenzung der bürgerlichen Mitte!“

Alles Staatsfeinde? Laut Verfassungsschutz haben Extremisten keinen prägenden Einfluss auf die deutschen Corona-Demos

Viele Politiker und Medien beschreiben die Proteste gegen die staatlichen Anti-Pandemie-Massnahmen in den düstersten Farben. Deutschlands Inlandgeheimdienst sieht die Lage differenzierter.

Marc Felix Serrao, Berlin 06.08.2020, 16.57 Uhr  NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Am vergangenen Wochenende protestierten in Berlin Zehntausende gegen die deutsche Corona-Politik.

Extremisten haben auf die Protestszene gegen die staatlichen Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie derzeit keinen prägenden Einfluss. Dies erfuhr die NZZ aus dem Umfeld des deutschen Inlandgeheimdienstes. Zwar beteiligten sich führende Personen vom rechten Rand des politischen Spektrums an den Demos. Diesen sei es bisher aber nicht gelungen, nennenswerten Einfluss zu nehmen. Diese Einschätzung der Verfassungsschützer ist bemerkenswert. Führende Politiker verschiedener Parteien und etliche Medien haben die Proteste in den vergangenen Monaten wiederholt als extremistisch charakterisiert.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hatte der «Welt am Sonntag» schon im Mai gesagt, dass Extremisten, besonders vom rechten Rand, die Corona-Demos zu instrumentalisieren versuchten. Es bestehe die Gefahr, dass sich diese «mit ihren Feindbildern und staatszersetzenden Zielen» an die Spitze der Szene stellen könnten. Zugleich betonte er, dass die Proteste zurzeit mehrheitlich von «verfassungstreuen Bürgern» durchgeführt würden. Daran habe sich nichts geändert, hört man nun aus Haldenwangs Behörde.

«Entgrenzung der bürgerlichen Mitte»

Zu den radikalen Köpfen, die versuchten, sich bei den Protesten in Szene zu setzen, zählen nach Beobachtung der Verfassungsschützer unter anderem der NPD-Politiker Udo Voigt, der selbsternannte «Volkslehrer» Nikolai Nerling und der Publizist Jürgen Elsässer. Diese «üblichen Verdächtigen» stellten sich in den sozialen Netzwerken geschickt als prägende Figuren dar. Das seien sie aber nicht. Als Beleg verweist der Geheimdienst auf die Redner der jüngsten Demonstration am Samstag in Berlin. Von denen habe man zwar hier und da Verschwörungstheoretisches gehört. Extremistische Positionen habe aber keiner vertreten.

Wahr ist: Die Menschen, die auf dieser und anderen Demos bisher zusammengefunden haben, sind schwer auf einen Nenner zu bringen. Da sind Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und Antisemiten. Und dann sind da Menschen, die auf den ersten Blick keine radikalen Ansichten vertreten und von sich sagen, dass sie sich einfach nur um den Erhalt ihrer Grundrechte sorgten.

Die Frage ist, warum Letztere offenbar keine Hemmung haben, mit Ersteren gemeinsam auf die Strasse zu gehen. Bei Deutschlands Inlandgeheimdienst spricht man diesbezüglich von einer «Entgrenzung der bürgerlichen Mitte». Die Verfassungsschützer beobachten diese Entwicklung mit Sorge. Warum die Entgrenzung stattfindet, können sie aber nicht sagen. Auch sonst sind ihre Erkenntnisse überschaubar. Wie viele Menschen gehören zu dieser eklektischen Szene? Wie viele Extremisten sind es? Beides wisse man nicht, heisst es. Man beobachte das Ganze aber aufmerksam und erstatte der Regierung regelmässig Bericht, je nach Lage mal im Wochenrhythmus, mal täglich.

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