MESOPOTAMIA NEWS : Urteil zum Anschlag in Beirut : Wer ermordete Rafik Hariri?

  • Von Rainer Hermann – FAZ – 18.08.2020- Der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri am 14. Februar 2005, Minuten bevor er in Beirut durch eine Bombe getötet wurde. Bild: AP  – Vor fünfzehn Jahren wurde der vormalige libanesische Ministerpräsident Rafik Hariri durch eine Bombe getötet. Die Täter blieben bisher unbehelligt. Nun spricht das UN-Tribunal seine Urteile.

Schon vor dem Urteil zog Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah die Verteidigungslinie. Er erwarte „ungerechte Urteile“, sagte der Generalsekretär der libanesischen, von Iran gelenkten Schiitenmiliz. Die Richtersprüche seien für ihn gleichwohl irrelevant, so Nasrallah weiter, denn die vier Angeklagten seien unschuldig.

Vor allem aber wird keiner der Angeklagten anwesend sein, wenn an diesem Dienstag das UN-Sondertribunal für den Libanon in Den Haag seine Urteile verkündet. Den vier libanesischen Hizbullah-Mitgliedern wird die Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafik Hariri zur Last gelegt. Schon früher hatte Nasrallah erklärt, „auch in dreihundert Jahren“ würden die Vereinten Nationen die Angeklagten nicht zu fassen bekommen. Er hatte sich auch stets einem Verfahren zur Aufklärung des Anschlags in Beirut im Jahr 2005 widersetzt. Die Verhandlungen in Den Haag fanden daher in Abwesenheit der Angeklagten statt. Egal wie die Urteile ausfallen – sie werden ihre Strafen nicht in einem Gefängnis verbüßen müssen. Ein fünfter Angeklagter, Mustafa Badreddin, war am 13. Mai 2016 in Damaskus getötet worden, mutmaßlich als Folge eines Konflikts innerhalb der Hizbullah.

Ursprünglich war die Urteilsverkündung für den 7. August vorgesehen. Nach der verheerenden Explosion im Beiruter Hafen drei Tage zuvor verschob das von den Vereinten Nationen initiierte Gericht den Termin. Somit kommt nun an diesem Dienstag ein Verfahren über einen Anschlag zum Abschluss, der vor mehr als 15 Jahren stattgefunden und im Libanon damals große Aufwallungen hervorgerufen hatte. Massenproteste und Druck aus dem Ausland führten dazu, dass Syrien sich zwei Monate später schrittweise aus dem Libanon zurückziehen musste, den das Regime in Damaskus bis dahin wie einen Vasallenstaat geführt hatte, vor allem über seine Geheimdienste.

Das Verhältnis zwischen Hariri und Assad war eisig

Am 14. Februar 2005 hatte in Beirut eine gewaltige Detonation den ehemaligen Ministerpräsidenten Hariri und 22 weitere Personen getötet. Hinter dem Attentat wurden früh das syrische Regime und die Hizbullah vermutet. Denn das Verhältnis zwischen dem syrischen Machthaber Baschar al Assad und Hariri, der sich immer wieder den Vorgaben des Regimes in Damaskus entzogen hatte, war eisig gewesen, und Hariri hatte sich international dafür starkgemacht, dass fünfzehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs auch die Hizbullah ihre Waffen abgeben solle.

Zwei Monate nach dem Anschlag setzte der UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Ermittlungskommission ein; die Leitung wurde dem Berliner Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis übertragen. Aber es sollte fast neun Jahre dauern, bis im Januar 2014 in Den Haag schließlich die Anhörungen des UN-Sondertribunals begannen.

Schon die Einsetzung des Tribunals hatte sich über Jahre hingezogen. Zunächst war der Libanon nicht zu einer Aufklärung des Anschlags bereit. Der UN-Sicherheitsrat beschloss daher am 30. Mai 2007 mit der Resolution 1757 die Einsetzung eines unabhängigen Sondertribunals. Es wurde zwei Jahre später gegründet. Am 16. Januar 2011 nahmen die fünf Richter unter dem Vorsitz des Australiers David Re ihre Arbeit auf. Am 30. Juni 2011 wurde die Anklageschrift veröffentlicht und die Haftbefehle ausgestellt, die indes folgenlos blieben. Drei Jahre danach begann endlich die Vernehmung von Zeugen.

 Der Explosionskrater in Beirut am 14. Februar 2005 : Bild: AP

Vorausgegangen waren die Arbeiten des deutschen Oberstaatsanwalts Mehlis. Im Oktober und im Dezember 2005 legte er zwei Berichte vor. Mehlis kam zu dem Ergebnis, dass der Anschlag „ohne Zustimmung ranghoher syrischer Sicherheitskräfte und ohne die Mitwisserschaft ihrer Partner in den libanesischen Diensten“ nicht möglich gewesen sei. Auf seine Empfehlung wurden drei libanesische Geheimdienstgeneräle und der Chef der Präsidialgarde verhaftet. Wegen eines fragwürdigen Zeugen mussten sie jedoch wieder freigelassen werden. Als Mehlis mit seinem Wunsch nicht durchdrang, Assad persönlich zu befragen, und als ihm die Vereinten Nationen erklärten, er müsse seine Arbeit außerhalb des Libanons fortsetzen, da sie seine Sicherheit nicht mehr gewährleisten könnten, legte er im Dezember 2005 sein Amt nieder. Zu seinem Nachfolger wurde der Belgier Serge Brammertz berufen.

Im April 2007 hatte Assad UN-Generalsekretär Ban Ki-moon davor gewarnt, dass die Einrichtung eines internationalen Tribunals den Libanon in einen neuen Bürgerkrieg stürzen würde. Das geht aus Dokumenten hervor, die der Zeitung „Le Monde“ zugespielt wurden, und es wurde als Eingeständnis Assads ausgelegt, dass die Hizbullah den Anschlag verübt habe. Danach wurde jedoch Brammertz unterstellt, mit Rücksicht auf die Spannungen im Libanon seine Ermittlungen nicht energisch genug voranzutreiben. Im Januar 2008 trat Brammertz als Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag die Nachfolge von Carla del Ponte an.

Metadaten von Mobiltelefonen systematisch erfasst

Im Prozess gegen die fünf Angeklagten brachten die Indizienbeweise den Durchbruch, die der junge libanesische Polizist Wissam Eid zusammengetragen hat. Der 1976 geborene Eid hatte Informatik studiert. Noch zu der Zeit, als Brammertz in Beirut arbeitete, hatte er vorgeschlagen, systematisch die Metadaten von allen Handytelefonaten und Textnachrichten in der Zeit von Oktober 2004 an, als Hariri als Ministerpräsident zurückgetreten war, bis zum Tag des Anschlags zu erfassen, um daraus Muster abzuleiten. Er identifizierte 63 Mobilfunknummern, die untereinander in Beziehung standen und unmittelbar nach dem Anschlag ausgeschaltet und danach nie mehr benutzt wurden. Ein erstes Attentat überlebte Eid am 5. September 2006; bei einem weiteren wurde er am 25. Januar 2008 getötet.

Seine Vorarbeit ermöglichte es aber den UN-Ermittlern, fünf zusammenhängende Netzwerke zu identifizieren, von denen sich eine Gruppe als Planungs- und Koordinationszentrum erwies. Sie unterstand Mustafa Badreddin, einem der Führer der Hizbullah.

Die Ermittler konnten die Bewegungen der einzelnen Personen nachvollziehen und auch die Hierarchie unter ihnen. So gingen die Befehle der Planungsgruppe um Badreddin jeweils an die Führer der vier anderen Gruppen, und dort wiederum in der Befehlskette nach unten. Zwischen diesen Gruppen fand keine Kommunikation statt. Eine der Gruppen verfolgte die Bewegungen Hariris vom 20. Oktober an. Eine weitere kaufte in Tripoli den Pick-up, mit dem der Anschlag durchgeführt wurde. Die Mitglieder der vierten Gruppe führten den Anschlag aus.

Kurz vor dem Anschlag telefonierte Badreddin mit Imad Mughniyah, dem militärischen Führer der Hizbullah, der drei Jahre später in Damaskus ermordet wurde und dessen Aufgaben Badreddin daraufhin übernahm. Unter den 63 benutzten Telefonen konnten schließlich fünf Personen namentlich identifiziert werden.

Wie auch immer die Urteile ausfallen: Die Hizbullah ist bereits kompromittiert, ihr Ruf als Organisation, die den „Widerstand gegen Israel“ zum Ziel habe, ist schwer beschädigt. Nasrallah bezeichnet daher das Sondertribunal als „amerikanisch-israelische Verschwörung“. Entscheidend ist nun, wie er auf die Urteile reagieren wird. In der Vergangenheit hatte Nasrallah im Zusammenhang mit den Ermittlungen wiederholt seine Minister aus der Regierung abgezogen und so den Libanon lahmgelegt.