MESOPOTAMIA NEWS : THE PRACTICAL BOX AS A PRACTICAL JOKE – NUR NOCH ANTISEMITISMUSVERDACHT VERDACHT RINGSUM
Indirekter Verdacht – Antisemitismus unter Antisemitismusforschern? / Jochen Stahnke – FAZ – „Ansammlung verleumderischer Unterstellungen“: die Direktorin des ZfA, Stefanie Schüler-Springorum
Vergangene Woche ist am Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA) der TU Berlin eine Veranstaltung abgesagt worden – aus Sicherheitsgründen. Man wollte dort die Ergebnisse eines Projekts der Universität Leeds präsentieren, den sogenannten „Counter Islamophobia Kit“. Die TU nennt es eine „Methoden- und Instrumentenbox für die Auseinandersetzung mit Islamfeindschaft“. Das Projekt wurde von der Justiz-Generaldirektion der EU-Kommission gefördert, beteiligt waren acht Mitgliedstaaten und mehrere renommierte europäische Universitäten. Ende September wurde es im EU-Parlament präsentiert und stieß dort auf reges Interesse. An der TU fürchteten die Projektverantwortlichen nach Drohungen in sozialen Netzwerken dagegen um die Sicherheit von Gästen und Mitarbeitern. Warum kann man an einer Berliner Universität nicht mehr wissenschaftlich über Islamophobie und antimuslimischen Rassismus diskutieren?
Schenkt man Berichten in der deutschen Tagespresse Glauben, müsste man der TU für die Absage gratulieren und darin eine gebotene Distanzierung von Antisemitismus sehen. Aber wie kam es überhaupt zu dem Verdacht? Angefangen hatte die „taz“, die vergangene Woche kritisierte, dass auf der Veranstaltung auch Arzu Merali referieren sollte, eine Mitarbeiterin der an dem Projekt ebenfalls beteiligten „Islamic Human Rights Commission“ (IHRC). Ihrem Selbstverständnis nach widmet sich diese Londoner NGO dem Kampf gegen Islamfeindschaft und der Benachteiligung muslimischer Minderheiten in Westeuropa. Allerdings organisiert die IHRC auch den britischen Al-Quds-Tag, steht in Kontakt mit radikalen Islamisten und erklärten Feinden Israels. Es gibt also hinreichend Gründe, die IHRC eine antisemitische und antiisraelische Organisation zu nennen. Insofern war es sicher richtig vom ZfA, Arzu Merali von der Tagung auszuladen.
Der „taz“ und dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck von den Grünen genügte diese Distanzierung jedoch nicht. Die Tagung war nämlich von dem mexikanischen Soziologen und aktuellen ZfA-Fellow Luis Hernández Aguilar nach Berlin geholt worden, der als „Research Officer“ der IHRC an dem Projekt mitgearbeitet hatte. Auf ihn konzentrieren sich jetzt die Anschuldigungen von Beck, der in der „taz“ erklärte, eine „auch nur indirekte Kooperation des ZfA mit dem Londoner Al-Quds-Tag“ sei inakzeptabel. Das ZfA ist Beck nicht gefolgt. Uffa Jensen, der stellvertretende Direktor des ZfA, stellte sich demonstrativ an die Seite Aguilars und erklärte, das ZfA sei „sehr froh, mit ihm einen international ausgewiesenen Experten auf dem Gebiet der Islamfeindschaft als Fellow gewonnen zu haben“. Die Direktorin des Zentrums, Stefanie Schüler-Springorum, spricht in einer Pressemitteilung der TU von einer „Ansammlung verleumderischer Unterstellungen, die an Rufmord grenzen“.
Becks Vorwurf ist in der Tat hanebüchen. Die „Bild“-Zeitung ging jedoch sogar noch einen Schritt weiter und bezichtigte gleich das ganze Forschungsinstitut der Verharmlosung von Antisemitismus. Die Belege für diese Vorwürfe sind dürftig. Man müsste schon die ganze Bandbreite der Forschungs- und Publikationstätigkeit des ZfA daraufhin untersuchen, ob sich darin entsprechende Äußerungen finden lassen, um solch einen Verdacht zu äußern. Man müsste außerdem den Umstand berücksichtigen, dass Antisemitismus von muslimischer Seite ein relativ neuer Gegenstand der Forschung ist, die sich bekanntlich lange auf den älteren und wachsenden Antisemitismus der deutschen Mehrheitsgesellschaft konzentriert hat.
Ebenfalls relativ neu und entsprechend sozialwissenschaftlich unübersichtlich ist das Thema Islamophobie in Westeuropa – auch das ein Grund, warum ein noch relativ junger Wissenschaftler wie Aguilar überhaupt schon als international ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet Anerkennung gefunden hat. Böten denn wenigsten seine Veröffentlichungen Belege für die unterstellte Verharmlosung eines Antisemitismus von muslimischer Seite?
Aguilar promovierte 2015 an der Universität Frankfurt mit einer soziologischen Arbeit über die Deutsche Islamkonferenz. Die daraus hervorgegangene Monographie „Governing Muslims and Islam in Contemporary Germany“ widmet dem Thema des muslimischen Antisemitismus ein ganzes Kapitel. Aguilar setzt sich darin ausführlich mit dem von der Islamkonferenz mehrfach problematisierten Befund eines wachsenden Antisemitismus unter jungen Muslimen in Deutschland auseinander. Verharmlost Aguilar diesen Befund? Leugnet er ihn gar? Nein. Er differenziert, ordnet ein und plädiert für eine stärker politische und weniger religiöse Erklärung von Antisemitismus jeglicher Herkunft in der deutschen Gesellschaft. Ist darin eine persönliche Parteinahme für die muslimische Seite erkennbar? Ja, natürlich! Aber eine Pflichtvergessenheit gegenüber den überpersönlichen Standards sozialwissenschaftlicher Forschung mit Sicherheit nicht.