MESOPOTAMIA NEWS : THE MAKING OF EMMANUEL MACRON

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Die Chronik eines friedlichen Staatsstreichs /  Das Buch „Operation Macron”: Schrieben die Medien der Milliardäre das Skript zu Emmanuel Macrons Wahlerfolg?

Jürg Altwegg – GENF, 10. Oktober “So viele Wunder und Zufälle kann es nicht geben”: Beim Lesen solcher Worte wird man hellhörig, raffinierter kann man eine Verschwörungstheorie kaum verpacken. Geschrieben hat sie ein Statistiker, den man sich als eher nüchtern vorstellt: Eric Stemmelen. Einst war er Programmdirektor des öffentlich-rechtlichen Senders „France 2″. Er kennt die Medien und den Umgang der Politiker mit ihnen. Stemmelen hat einige ökonomische Bücher geschrieben. Sein jüngstes Werk ist Ende Juni erschienen: „Operation Macron” (Editions du Cerisier).

Es handelt sich um eine Chronik der Präsidentenwahl: Die Medien, so die These des Autors, haben das Drehbuch zu Emmanuel Macrons Machtübernahme geschrieben. Sie gehören zehn Milliardären, deren TV- und Radiosender einen Marktanteil von über fünfzig Prozent erreichen. Bei den Tageszeitungen kontrollieren sie neunzig Prozent der Auflage. Eric Stemmelen spricht von einer „Oligarchie”, er stellt dem Buch ein Zitat aus Jean-Paul Sartres „Kindheit eines Chefs” voran.

Wir haben dieses Buch eher zufällig in der kommunistischen Zeitung „L’Humanite” entdeckt. Sie präsentierte Stemmelens Essay fast schon als Samisdat: Im Exil, in Belgien, musste es erscheinen, mehrere Verlage in Frankreich hätten es abgelehnt, zitiert sie den Autor. Die „Operation Macron” erscheint mit einem Vorwort des Journalisten und Regisseurs Frangois Ruffin, der mit „Merci Patron” einen phänomenal erfolgreichen Film über einen der besagten Medienmilliardäre Bernard Arnault, Mehrheitsaktionär des Luxusgüter-Konzerns LVMH, drehte und als Abgeordneter des „Unbeugsamen Frankreichs” im Parlament sitzt. Der Verlag bezeichnet das Werk als „Chronik eines friedlichen Staatsstreichs”.

Emmanuel Macron hatte die Eliteschule ENA besucht und war Banker bei Rothschild. Der einstige Staatspräsident Francgois Hollande engagierte ihn seinerzeit als Berater. Mitte Juli 2015 verließ Macron das Elysee, um ein Start-up7Unternehmen zu gründen. Am 20. August gab der Politiker Alain Juppe (Les Republicains) bekannt, dass er für die Präsidentschaft kandidieren werde. An diesem Tag saß Macron mit dem Telekom-Unternehmer Xavier Niel, Miteigentümer von „Le Monde”, und dessen Lebensgefährtin Delphine Arnault, der Tochter von Bernard Arnault , in Kalifornien bei Tisch – es sei um die Firmengründung gegangen, werden sie später den Journalisten sagen. Vier Tage später, am 24. August, veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Le Point” — es gehört Bernard Arnault — ein Interview mit dem in der Öffentlichkeit

In einem Punkt aber irrte sich Bayrou: „Die Rechnung wird nicht aufgehen. Die Franzosen werden die Operation durchschauen und erkennen, was hinter diesem Hologramm steckt.” Bayrou selbst hat sich ihm unterworfen und wurde nach der Wahl mit dem Justizministerium belohnt. Er musste es wegen einer Affäre schnell wieder abgeben — mit einem Anruf im öffentlich-rechtlichen Sender „France Inter” versuchte er noch, die anstehenden Enthüllungen zu verhindern.

Zwei ehemalige Präsidenten und drei Premierminister blieben in dieser Wahlkampagne voller Wunder und Zufälle auf der Strecke. Alain Juppe lag in allen Um-fragen stets mit zehn bis fünfzehn Punkten vor Macron. Er wurde mit zwei Kam-pagnen erledigt: Juppes Vergangenheit als Außenminister während des Genozids in Ruanda wurde aufgewärmt und intensiver als notwendig über einen infamen Feldzug gegen „Ali Juppe” in den sozialen Netzwerken berichtet. Der ehemalige Premierminister Frangois Fillon, der den Favoriten in der Vorwahl der „Republikaner” besiegte, strauchelte über seine geschenkten Anzüge. Und hätte der amtierende Präsident Hollande nicht das Handtuch geworfen, wäre Emmanuel Maron

Vier Tage später, am 24. August, veröffentlichte das Nachrichtenmagazin „Le Point” — es gehört Bernard Arnault — ein Interview mit dem in der Öffentlichkeit völlig unbekannten Emmanuel Macron, der seine wirtschaftspolitischen Vorstellungen für Frankreich erörtert. Dessen Chefredakteur ist ein Studienfreund. Zwei Tage später wurde Macron zum Wirtschafts- und Finanzminister ernannt, zu seiner „eigenen Überraschung”, er habe beim Radfahren einen Anruf bekommen.

Am Tag danach brachte „Le Monde” ein paar „ergänzende Informationen”. Sie betreffen Macrons Beziehung zu seiner Gattin. Sie enthalten in einem Satz mehrere Falschnachrichten, die zur Grundlage der Berichterstattung werden. Macron war nie der Schüler seiner Frau — er wirkte freiwillig in ihrer Theatergruppe mit. Der Altersunterschied wurde von 25 auf zwanzig Jahre reduziert. Brigitte Macron war nicht 36, als sie sich kennenlernten, sondern 39. Und Macron nicht siebzehn, sondern vierzehn. Im Falle eines sexuellen Verhältnisses hätte sich die Lehrerin strafbar gemacht. Macrons Eltern schickten ihren Sohn nach Paris, um ihn von der verheirateten Frau zu trennen.

Stemmelens Chronik verzeichnet, wie der neue Wirtschaftsminister mit Titelgeschichten und Umfragen zum politischen Heilsbringer verklärt wird. Ende August 2016 tritt er aus der Regierung zurück. Nach einer Woche Trommelfeuer in den Medien erklärt der Zentrumspolitiker und mehrfache Minister und jetzige Bürgermeister von Pau, Francois Bayrou, im Fernsehen: „Wir beobachten einen gewaltigen Versuch finanzieller Interessenvertreter, die politische Macht zu erobern. Ich bin nicht dafür, dass die Macht des Geldes die Politik unterwirft. Aber darum geht es.”

Wer verstehen will, wie Frankreich und seine Elite funktionieren, muss Eric Stemmelens Buch lesen. Es illustriert die gesellschaftlichen Verbindungen und zeigt geradezu exemplarisch, wie sich die Medien kopieren und imitieren. Diese Mimesis hat eine Dynamik ausgelöst, die Macron ins Elysee katapultierte. Inwieweit es wirklich Drehbuchautoren und Regisseur gab, wissen nur die Milliardäre. Macron war ihr „Messias”, dessen Botschaft sie in ihren Magazinen verkündeten. Sehnlichst erwartet wurde Macron aber auch von der Bevölkerung. Er verkörperte das Versprechen einer pragmatischeren, weniger ideologischen Politik.

Aber Frankreich bleibt Frankreich: Genauso irrational wie die Hoffnung, die auf den „Philosophen-Präsidenten” projiziert wurde, ist inzwischen der „revolutionäre” Hass, der ihm entgegenschlägt. Eric Stemmelen teilt und schürt ihn. Jegliche Reform — Steuer, Rentensystem, Arbeitsrecht — ist für den früheren Programmdirektor unter Chirac und Sarkozy ein Anschlag des Großkapitals auf den Sozialstaat und der Präsident dessen Handlanger und Hampelmann.

Eric Stemmelen kann die Frivolität der Medien, die sich mit Macrons Drei-Tage-Bart beschäftigen, kritisieren. Aber warum muss als Gegenbeispiel für journalistische Ernsthaftigkeit ausgerechnet eine Aktion der israelischen Armee gegen die Palästinenser herhalten? Der Autor schmälert die Aussagekraft seiner fulminanten und schlagenden Darstellung mit dem klassenkämpferischen Furor seines Stils und mit abschätzigen Bemerkungen. Die „Oligarchie der Medienmilliardäre” nennt er auch schon mal eine „Plutokratie”. Kaum weniger irritierend ist die Tatsache, dass die „Operation Macron” von den führenden Medien offensichtlich tot-geschwiegen wird.

 

JÜRG ALTWEGG FAZ  11 Oktober 2019