MESOPOTAMIA NEWS „STRATEGIE“ : ERDOGAN PLANT DEN VOLLEN DURCHMARSCH 2019
Der Geist von Yenikapi – Erdogans islamisch-nationalistische Allianz / Von Michael Martens
FAZ – ATHEN, 13. März. Für die Türkei wird 2019 ein Superwahljahr. Bleibt es bei den regulären Terminen, werden zunächst im März 2019 Lokalwahlen stattfinden, bei denen die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan in ihren Hochburgen Istanbul und Ankara die Macht verteidigen sowie einen neuerlichen Versuch unternehmen will, endlich auch in Izmir, der drittgrößten Stadt des Landes, die bisher eine uneinnehmbare Festung der Opposition war, den Bürgermeister zu stellen. Später im Jahr sollen dann parallel Parlaments- und Präsidentenwahlen stattfinden.
Mit einem Sieg bei der Wahl zum Staatsoberhaupt will Erdogan sein im April 2017 per Referendum gebilligtes Präsidialsystem, das ihm ohne nennenswerte Kontrollen und verfassungsmäßige Gegengewichte die alleinige Macht verspricht, in vollem Ausmaß nutzen. Ein Erfolg würde den im Juli 2016 ausgerufenen Ausnahmezustand in der Türkei zum Normalzustand machen.
Besonders wichtig ist Erdogan dabei, schon in der ersten Wahlrunde mindestens 50 Prozent und eine Stimme zu erhalten, um nicht in den Stichentscheid gehen zu müssen. Eine zweite Runde würde schließlich bedeuten, dass es einen sichtbaren Gegenkandidaten gäbe, hinter dem sich am Ende noch eine breitere Koalition von Unzufriedenen sammeln könnte, mit nicht vorauszusehenden Folgen. Dieses Risiko will Erdogan nicht eingehen —„Keine Experimente”, lautet das Motto. ‘ Doch das Verfassungsreferendum hat gezeigt, dass Erdogan, obwohl er sich seit Jahren auf die geballte Macht Dutzender ihm ergebener Fernsehsender, Internet-portale und Zeitungen stützen kann, zwar der mit Abstand beliebteste Politiker der Türkei ist, es jedoch eine durchaus nennenswerte Opposition gegen ihn gibt. Zwar stimmten 51,4 Prozent der Türken 2017 der Abschaffung des herkömmlichen Parlamentarismus in ihrem Land zu, aber immerhin 48,6 Prozent waren dagegen. Und ausgerechnet in Istanbul, Erdogans Geburtsstadt, in der er als Bürgermeister seinen politischen Aufstieg begann, kreuzte sogar eine Mehrheit der Wähler das „Nein” an. Auch in der Haupt stadt Ankara missbilligten mehr als die Hälfte der Abstimmenden Erdogans Pläne. Der unmittelbare Erfolg in der Präsidentenwahl gilt deshalb — trotz des Ausnahmezustands, der Verhaftung vieler Regierungsgegner, der partiellen Zerschlagung der vor allem von Kurden gewählten Oppositionspartei HDP und des Verbots kritischer Medien — keinesfalls als ausgemachte Sache.
Um 2019 nichts dem Zufall zu überlassen, sucht Erdogan deshalb ein Bündnis mit der chauvinistischen „Partei der Nationalistischen Bewegung” (MHP) sowie einer kleinen nationalistischen Partei. Am Dienstag hat das türkische Parlament eine Gesetzesänderung gebilligt, die Vorwahlkoalitionen erlaubt. Mit den Nationalisten huckepack, so Erdogans Kalkül, werden er und die AKP die fehlenden Prozentpunkte zur absoluten Mehrheit einfahren. Damit manifestiert sich der seit längerem zu beobachtende Prozess einer Annäherung des politischen Islams der AKP an den türkischen Nationalismus nun auch parteipolitisch. Die nationalistisch-islamische Allianz, die zu einer Fusion des politischen Islams mit dem säkularen Nationalismus führen soll, den die AKP einst bekämpfte, ist offenbar auf Dauer angelegt. So hat es zumindest MHP-Chef Devlet Bahceli in den vergangenen Wochen immer wieder deutlich gemacht.
Aus Bahcelis Sicht ist die Allianz eine Frage des Überlebens. Seit er sich auf die Seite Erdogans geschlagen und im vergangenen Jahr auch für dessen Referendum geworben hat, sind der MHP so viele Anhänger verlorengegangen, dass der Sprung der Partei über die extrem hohe Zehnprozenthürde zum Einzug in das Parlament äußerst ungewiss ist. Viele einsti ge MHP-Stammwähler sind, enttäuscht über Bahcelis Pakt mit Erdogan, zur neugegründeten Iyi-Partei („Die gute Partei”) abgewandert. Sie wird von der ehemaligen MHP-Dissidentin Meral Aksener geführt. Nicht nur im Vergleich zu Bahceli, dessen Charisma gegen null tendiert, ist die Nationalistin Aksener eine begabte Rednerin mit starker Ausstrahlung.
Angesichts dieser Konkurrenz und der konstant schlechten Umfrageergebnisse entschloss sich Bahceli vor gut zwei Monaten zur Flucht nach vorn respektive in die endgültige politische Selbstaufgabe: Anfang Januar kündigte er an, dass die MHP für die kommende Präsidentenwahl keinen eigenen Bewerber nominieren, sondern Erdogan unterstützen werde. Prompt wurde er daraufhin von diesem zu Beratungen in den Präsidentenpalast eingeladen. Nach ihrem Gespräch verkündeten die beiden Politiker die Gründung einer gemeinsamen Wahlallianz, für deren Zusammengehen man die gesetzlichen Details schaffen werde. Nach der nun verabschiedeten Regelung treten die Parteien zwar getrennt voneinander an, erscheinen also beide auf dem Wahlzettel, doch werden ihre Stimmen später zusammengezählt. Selbst wenn die MHP also wie erwartet deutlich weniger als zehn Prozent der Wählerstimmen erhalten sollte, könnte sie als Bestandteil der Allianz mit der AKP also wieder ins Parlament einziehen, keine Stimme ginge verloren.
Laut Bahceli steht das Bündnis aus AKP und MHP für den „Geist von Yenikapi”. Das ist der Name eines Istanbuler Stadtteils, in dem die AKP sich durch Erdaufschüttungen im Marmarameer ein Parteitagsgelände geschaffen hat. Bald nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hatte Erdogan hier eine Großkundgebung abgehalten, zu der er auch Bahceli, nicht aber die prokurdische HDP eingeladen hatte. Die Yenikapi-Kundgebung, angeblich von drei Millionen Menschen besucht, nahm die Entwicklung vorweg, welche die Türkei seither genommen hat: Sie war aggressiv, nationalistisch und ausgrenzend. Auch deshalb ist die Beschwörung des Geistes von Yenikapi als Beschreibung der neuen Allianz durchaus treffend.