MESOPOTAMIA NEWS ROJAVA REVISITED : DIE DESPOTIE DER PKK/PYD IN SYRIEN – DIE MÄR VON DER BASISDEMOKRATIE DER PYD/PKK

Von Joseph Croitoru  (FAZ) 6 April 2018

Ist das, was die Kurden in Nord-Syrien betreiben, eine Alternative zu Kapitalismus, Nationalismus, islamischem Fundamentalismus und Patriarchat? Jeder Jubel darüber wäre verfrüht.

Noch zu Jahresbeginn hatte die kurdische „Partei der Demokratischen Union” (PYD) allen Grund, sich ihrer Kontrolle über die nördlichen Gebiete Syriens sicher zu sein. Die türkische Militäroperation „Schutzschild Euphrat” hatte 2016/2017 zwar die angestrebte territoriale Kontinuität zwischen Kobane — dem mittleren „Kanton” der drei nordsyrischen autonomen Verwaltungsbezirke — und dem westlich davon gelegenen Bezirk Afrin verhindert. Aber am Fortbestehen ihres Herrschaftssystems, das von der PYD 2013 als basisdemokratisches Experiment aus der Taufe gehoben worden war und seit Ende 2016 als „Demokratische Föderation Nordsyrien” firmiert, änderte der türkische Vorstoß kaum etwas. Es war ja auch vor einigen Monaten nicht vorauszusehen, dass die türkische Armee so schnell und massiv in das benachbarte Gebiet Afrin einmarschieren würde.

So schien zum Jahreswechsel denn auch einem der wichtigsten Architekten des PYD-Selbstverwaltungsprojekts, dem 1970 im nordsyrischen Hassaka geborenen kurdischen Politiker Aldar Khalil, die Zeit reif für eine Zwischenbilanz. Sein auf Arabisch verfasstes Buch „Blätter der Volksrevolution in Rojava” ist kaum zufäl lig in der im äußersten Nordosten Syriens gelegenen Stadt Al-Malikiya verlegt worden. Dort nämlich wurde im März 2016 der nordsyrische regionale Verbund erstmals zu einer Föderation erklärt, damals noch unter der Bezeichnung „Demokratische Föderation Nordsyrien — Rojava”.

Auf letzteren Begriff, der im Kurdischen „Westen” bedeutet und den die sich seit 2005 offiziell „Union der Gesellschaften Kurdistans” (KCK) nennende PKK als Synonym für „Westkurdistan” eingeführt hatte, wurde später verzichtet. Damit sollte wohl eventueller Kritik vorgebeugt werden, die Kurden würden die Vorherrschaft in diesem Gebiet allein für sich beanspruchen.  Das sehen rivalisierende kurdische Parteien anders: Sie, wie etwa die im kurdischen Autonomiegebiet in Nordirak regierende „Demokratische Partei Kurdistans”, vertreten die Version, dass die PYD direkt durch die PKK und ihren militärischen Arm HPG lanciert worden sei.

Die von Öcalan in seinen Gefängnisschriften entwickelten basisdemokratischen Ideen indes seien, wie Khalil betont, in das Selbstverwaltungsprojekt für Nordsyrien, das in seinen Grundzügen angeblich schon 2007 bestand, eingeflossen. Dass dieses, wie Öcalan es vorsieht, freiheitlich-egalitäre System autonomer, untereinander kommunizierender Gemeinschaften unabhängig von ethnischen, religiösen oder geschlechtlichen Unterschieden für alle offen sei, wurde von der PYD von Anfang an propagiert. In der Praxis sieht es allerdings anders aus als in der Theorie.

Wie aus einer Untersuchung der NGO „International Crisis Group” vom Mai 2017 hervorgeht, haben in der Autonomieverwaltung Nordsyriens nur Funktionäre das Sagen, die im Rückzugsgebiet der PKK/KCK im nordirakischen Qandil-Gebirge politisch und militärisch von ihr ausgebildet wurden — selbst wenn sie in der formalen Hierarchie weiter unten rangieren.

Ihnen haben die kurdischen PYD-Mitglieder ebenso zu gehorchen wie die Vertreter nichtkurdischer Volksgruppen, die seit der Ausdehnung der PYD-Autonomie auf Gebiete, in denen kaum Kurden leben, Verwaltungsaufgaben übernehmen dürfen.

Der kurdische Hegemonialanspruch wird von der YPG, der bewaffneten Miliz der Partei, durchgesetzt. Gemeinsam mit dem eigenen Polizei- und Justizapparat sorgt sie dafür, dass jeder ernsthafte Widerstand sofort im Keim erstickt wird. Mit welch brutalen Methoden dies geschieht, kann auf dem Portal der Initiative „Kurdwatch” nachgelesen werden, die über mehrere Jahre die Menschenrechtsverletzungen in Nordsyrien dokumentierte, ehe sie mangels weiterer Finanzierung im September 2016 ihre Arbeit einstellen musste. Auch für den Erfurter kurdischen Politikwissenschaftler Ferhad Ibrahim Seyder, der im vergangenen Jahr eine Studie über die Kurden in Syrien veröffentlicht hat, lässt sich die schnelle Etablierung der PYD als hegemoniale Macht nur durch den konsequenten Einsatz von Einschüchterung und Gewalt erklären. Ihren totalitären Anspruch, so Seyder gegenüber dieser Zeitung, habe die PKK auch im Gewand der PYD nicht aufgegeben.

Aldar Khalil will in seinem mehr als dreihundert Seiten starken Buch über die Geschichte der syrischen Kurden aufklären, wobei er die organisationseigene ethno-geographische Bezeichnung der Region als „Rojava” systematisch auch auf die Vergangenheit projiziert. Der Autor verspricht zwar eine Chronik der kurdischen Nationalbewegung im Land, die sich ge-gen die Unterdrückung der Kurden durch das arabisch-alawitische Regime Hafiz al Assads und seines Sohnes Baschar auflehnt. Tatsächlich beschränkt sich aber die Darstellung auf die Geschichte der PKK in Syrien, die dort in die Entstehung der PYD mündete Khalil gehörte 2003 zu deren Gründern und hat auch 2012 die von ihr dominierte Parteienkoalition „Bewe-gung für eine demokratische Gesellschaft” (TEV-DEM) mitbegründet, die das „Rojava”-Gebiet nominell regiert und deren Exekutivkomitee er vorsitzt.

Das nordsyrische Autonomieprojekt ist aus Khalils Sicht eine reine Erfolgsgeschichte. So unterscheidet sich sein Buch im Ton nicht grundsätzlich von all jenen, meistens von linksgerichteten westlichen Autoren stammenden Publikationen, die das „Rojava”-Experiment als die freiheitliche Alternative schlechthin zu Kapitalismus, Nationalismus, Chauvinismus, islamischem Fundamentalismus und auch zum Patriarchat bejubeln.

Khalils Bericht ist allerdings der erste seiner Art, der von einem prominenten Mitgestalter der nordsyrischen Räte-Föderation vorgelegt wurde. Er ist teilweise autobiographisch angelegt, was nicht zuletzt auch der besseren Lesbarkeit dienen und somit die Verbreitung der PKK/KCK-Ideologie vom Kampf für die eigens ausgerufene basisdemokratische „Volksrevolution” fördern soll. Da sowohl die PKK als auch ihr Spross PYD sich die Gleichberechtigung der Frau auf die Fahnen geschrieben haben, passt es zum Narrativ der Partei, wenn Khalil bekennt, dass ihn 1987 als jungen Mann der heldenhafte Tod der jesi-dischen Kurdin mit dem Nom de Guerre „Berivan”, einer der ersten Märtyrerinnen der Organisation, stark inspiriert habe -wie selbstredend auch die Unterweisung durch PICK-Chef Abdullah Öcalan in einer der politischen Akademien der Partei im Libanon im Jahr 1991. Besonders beeindruckt, schreibt Khalil, habe ihn damals die Fähigkeit des „Kommandanten” zur Selbstkritik und sein „freier Geist”. Allerdings soll dem Autor zufolge Öcalan, der seit 1999 in einem türkischen Gefängnis eine lebenslange Freiheitstrafe verbüßt, der Gründung der PYD lediglich Impulse gegeben, sie selbst aber nicht initiiert haben. Vielmehr gehe die Partei auf eine Initiative syrischer Kurden zurück, und an ihrer Gründungsversammlung habe, wie Khalil behauptet, lediglich ein Kader aus der PKK-Zentrale als „Gast” teilgenommen.

In ähnlicher Form klaffen auch das kommunizierte Selbstbild der PYD als Fördererin von Pluralismus und die von ihr praktizierte Kulturpolitik auseinander. Khalil rühmt in seinem Buch das heutige „Rojava” -Gebiet als „großes und lebendiges Zentrum der Künste”. Ihre „menschliche Botschaft” künde von der Revolution, die mit dem Blut Tausender Märtyrer – darunter auch Kulturschaffende -, verwirklicht worden sei. Dieses geistige Aufblühen ver-dankt sich aus Khalils Sicht den vielen Kulturzentren, die mittlerweile in jeder Stadt in Rojava zu finden seien. Ihre Kulturhäuser, die der Indoktrinierung der Bevölkerung dienen, verbucht die PYD für sich ebenso als wichtiges Verdienst wie die Einführung des Kurdischunterrichts an den Schulen.

Auch wenn die Durchsetzung des Sprachunterrichts selbst von Kurden, die der PYD kritisch gegenüberstehen, generell gutgeheißen wird, stößt diese bildungspolitische Maßnahme auch auf Skepsis -so auch bei Ferhad Seyder: Man bringe den Kindern schon im frühen Alter die Lehren des „großen Philosophen” Öcalan bei, der selbst nicht auf Kurdisch schreibe. Außerdem würden Schriftsteller, so Seyder, wie der in Deutschland lebende Jan Dost, der als Kritiker des PYD-Regimes bekannt ist, in Nordsyrien nicht geduldet.

Diese Einstellung der PYD zur Kultur kam bereits Anfang 2012 in der Stadt Afrin zum Vorschein. Als dort das „Zentrum für kurdische Kunst und Kultur” mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die eigenen Märtyrer eröffnet wurde, nutzte Badran Jia Kurd, damals führendes Mitglied der regierenden Koalition TEVDEM, den Anlass, um in seiner Ansprache die Zuhörer auf die Treue zu Öcalan einzuschwören. Es folgten Reden von Vertretern der Jugend- und Frauenorganisationen der PYD und der parteieigenen “Stiftung für die kurdische Sprache”, die schon kurz darauf damit beginnen sollte, sämtliche Schulen der Region nach PKK- und YPG-Märtyrern umzubenennen. Das Programm zur Eröffnung des Afriner Kultur-zentrums rundeten lokale Barden mit „revolutionären” Liedern ab, mehrere Gruppen führten kurdische Volkstänze auf. Mitte Februar, kurz vor dem Einmarsch der Türken in Afrin, konnten Aktivisten des Zentrums noch mit einer öffentlichen Erklärung gegen den Feldzug der türkischen „Faschisten” und deren „unmenschliche Verbrechen” protestieren. Seitdem herrscht Funkstille.

JOSEPH CROITORU