MESOPOTAMIA NEWS : Queer-Bewegung – Die neuen Bodybuilder
- Von Thomas Thiel – FAZ – 20.11.2020-14:06 – Feindliche Übernahme: Auch die Finanzbranche hat das ehemals subversive „Queer“-Label für sich entdeckt. Bild: Deutsche Bank / Liz Ligon
Der Körper als Grenze? Die Queer-Bewegung will mehr und zielt darauf, das Ich unabhängig vom Leib umzuprogrammieren. Doch die neuen Luftsprünge sind virtuelle Kopfgeburten.
Den Verächtern des Körpers schrieb Friedrich Nietzsche nur einen Satz: Sie mögen Ernst machen mit ihren Forderungen – und schweigen.
Wer seine natürliche Basis abstreitet, kann nun einmal weder denken noch reden. Von Nietzsche stammt auch die Einsicht in die ursprüngliche Dividualität der Person, das Vorhandensein femininer Anteile bei Männern und umgekehrt, die von der sozialen Trennung in zwei Geschlechter überdeckt wird. Es war das Anliegen der zweiten Frauenbewegung (und ist es bis heute), diese Rollen aufzubrechen. Der im Netz zur Massenbewegung gewordene Gender- und Queerfeminismus will mehr: Er will das eigene Ich unabhängig vom Körper flexibel umprogrammieren oder, wie es in Wirtschaft, Werbung und Kunst heißt, sich jederzeit neu erfinden.
Weil das Geschlecht damit jederzeit durch einen Sprechakt umdefiniert werden kann, ist die Zahl der Queer- und Transpersonen, die von der amtlichen Statistik in bisher geringfügiger Menge als „divers“ erfasst wird, eine unberechenbare Größe, die, wie der Erfolg neuer Sprachregelungen klarmacht, starken Einfluss auf die Gesellschaft nimmt. Das Sternchen repräsentiert seither eine wachsende Vielfalt von Wesenheiten, die nicht mehr nur vom Widerstand gegen die Trennung in weibliche und männliche Rollen, sondern vom Widerstand gegen den Körper überhaupt zusammengehalten wird.
F.A.Z. Plus Artikel: Die neuen Bodybuilder: die Queer-Bewegung als Produkt der Digitalökonomie