MESOPOTAMIA NEWS : NARZISSTISCHE KULTFIGUREN – CARLA RACKETE

Warum der Kult um die Sea-Watch-Kapitänin problematisch ist  / Reich, weiss und Frau – Von Mateja Meded / DIE WELT 1 Juli 2017

Wer 2 Wochen lang mit einer Gruppe Migranten auf dem Mittelmeer unterwegs  und auch weiss, daß dies die letzte Fahrt der Sea-Watch sein wird – der oder die kann in dieser Zeit auch  problemlos Rotterdam erreichen. Allerdings mit sehr viel weniger Medien!

Unemotional in der Frage, wie man mit Carola Rackete umgehen soll, ist nur der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Der hat in seinen Büchern nachgeguckt, wo private Flüchtlingsretter anlegen dürfen, nämlich nirgends. Die meisten anderen Europäer regen sich auf. Den einen, wie Italiens Innenminister Matteo Salvini, kann keine Gefängnisstrafe zu hoch sein.

Darüber kann man lange streiten und man tut das seit dem Wochenende auch schon. Es fällt allerdings etwas anderes auf, über das noch zu wenig gesprochen wurde: Überall prangt das Gesicht von Carola Rackete, in den Zeitungen, im Fernsehen, im Internet. Von einem auf den anderen Tag ist sie weltberühmt geworden. Spendenaktionen, versehen mit ihrem Konterfei, gehen in kürzester Zeit durch die Decke.

Wen sieht man aber nicht, wer hat weder Gesicht noch Stimme? Die 42 Geflüchteten, die in Lampedusa von Bord gingen. Wo werden ihre Gesichter abgebildet, wo die von denen, die ertrunken sind, wo die von denen, die in libyschen Lagern gefoltert wurden? Offenbar reicht nicht mal Salvinis Menschenverachtung, damit er gegen sie wettert. Sie sind moralisch-politische Verfügungsmasse, unsichtbar.

 

Einige perfide Verschwörungstheoretiker versteigen sich sogar zu der Idee, die Hilfsorganisation Sea-Watch würde sich von der Aufregung zynisch einen auch monetären Gewinn versprechen beziehungsweise von vornherein darauf kalkulieren. Aber eben auch die Verteidiger von Rackete stilisieren sie zur neuen Jeanne d’Arc, zur schönen, weißen Ikone, halb Seeräuberin, halb Heilige, eine fleischgewordene Freiheitsstatue, die die Müden, die Armen, die geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, wie es auf der Plakette auf New Yorks Ellis Island steht, allesamt aufnimmt. Auch wenn man die Rettung an sich begrüßt, ist diese Stegreifikonografie, die uralten Mustern folgt, bedenklich.

Liegt es an der mangelnden Diversität in den Redaktionen und/oder an einem immer noch zu wenig ausgeprägten Interesse an mindestens unterschwellig rassistischen Machtstrukturen? In der Dramaturgie von Hollywood heißt das Prinzip „White Savior“ – der weiße Retter, die weiße Retterin. Wir kennen es aus unzähligen Filmen, zum Beispiel „Avatar“ oder „The Last Samurai“. Diese Geschichten folgen einer einfachen Struktur und werden immer von weißen Menschen geschrieben und inszeniert. Kurz zusammengefasst: Eine weiße Person rettet jemanden oder eine Gruppe, die einer Minderheit angehört.

 

In unserer Geschichte ist die Hauptfigur Carola Rackete, denn wenn man ihren Namen googelt, bekommt man nicht nur ein Gesicht, sondern auch sämtliche Informationen über ihre Bildung, außerdem Interviews. Die Geschichte auf dem Boot wird uns praktisch ausschließlich aus ihrer Perspektive erzählt. Sie macht das souverän und sensibel. Dennoch geht damit unmerklich eine Entmündigung der Menschen einher, die meist Migranten genannt werden. Für die Zuschauer der medialen Sea-Watch-Geschichte werden sie nicht als Individuen eingeführt. Ihre Stimmen werden nicht gehört. Sie sind eine homogenisierte Masse, über die das EU-Parlament mit den Mitgliederstaaten diskutiert, und zwar darüber, wer wo hinkommt.

 

Das ist ein wesentliches Element bei White-Savior-Geschichten: Marginalisierte Menschen werden aus der Perspektive einer weißen Person erzählt, die mit diesen Menschen interagiert. Der nächste Punkt in der Dramaturgie verlangt, dass die People of Color (PoC) nur durch eine Heldentat der weißen Figur gerettet werden können. Weil Carola Rackete das Schiff sicher in den Hafen gebracht und dafür einen Teil ihrer Freiheit eingebüßt hat, kann der/die/das andere nun sicher auf dem Festland sein. Was immer dazu führt, dass die „Geretteten“ ewig dankbar sein müssen, weil sie sich nicht von alleine retten können, wie in „Blind Side – Die große Chance“ wenn (die weiße) Sandra Bullock in der Rolle der Leigh Anne den armen (schwarzen) Michael rettet.

 

Unsere Narrative der Sea-Watch-Geschichte sind vergleichbar mit einem dramaturgisch schwachen White-Savior-Hollywoodfilm. Und zwar unabhängig davon, ob man Rackete als Heldin oder Schurkin sieht; alle Konzentration ruht auf ihr, sie wird als einzig autonom Handelnde wahrgenommen.

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