MESOPOTAMIA NEWS „MEINUNGSTAUMEL“ : UMFRAGEN – DIE DEUTSCHEN LIEBEN AM MEISTEN IHRE FLÜCHTLINGE & IHRE POLITIKER – „ALLES IN DERRIDA’S BUTTER AUFGELÖST“

Von Leander Steinkopf – FAZ  – 22 Sept 2018

Man hätte in letzter Zeit den Eindruck gewinn können, dass es rumort der deutschen Gesellschaft : Aber am vergangenen Montag wurde klar: Es ist alles in Butter!

Da hat der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integrati­on und Migration das diesjährige In­tegrationsbarometer präsentiert, eine Studie über die Einstellung von Deutschlands Bewohnern zur Migration. „Flüchtlingskrise ist für die Deutschen gar keine Krise”, ti­telte daraufhin die „Huffington Post”.

Und auch die Kommentato­rin des Deutschlandfunks meinte, dass es langsam mal gut sei mit dem Thema. Zuwanderung sei Normali­tät, nicht Problem, „die meisten in unserem Land haben dies längst er­kannt”. Auch das sonstige Medien­echo folgte dem Tenor der Presse­mitteilung: Es mag zwar überra­schen, aber nun ist alles gut. Die Minderheit ist überstimmt, sie möge verstummen. Ein Problem wird ausgeblendet.

Es ist doch wohl keine allzu ver­stiegene Naivität, kein übermäßig le­bensfremder Vernunftoptimismus, zu glauben, dass man Probleme am besten angehen kann, wenn man sich mit ihnen eingehend auseinan­dersetzt – anstatt darüber hinwegzu­lächeln. Aber vor der Wahl stehend, ob Weichspüler oder Wirklichkeit, entscheiden sich die Autoren der Studie für die Variante „Frühlings­duft”. Es wird alles blumig parfü­miert, was in irgendeiner Weise nach Konflikt riechen kannte.

Bezüglich der Frage, ob Flüchtlin­ge die Kriminalität in Deutschland erhöhen, sei das Meinungsbild “nicht eindeutig”. Die Bevölkerung sei in dieser Frage „unentschieden”, gerade so, als wäre die Bevölkerung ein Monolith, der sich in die eine oder die andere Richtung neigt. Wenn man Bevölkerung hingegen als Ansammlung von Individuen mit jeweils ganz eigenen Einstellun­gen betrachtet, gibt es keinen Grund, das Ergebnis als „nicht ein­deutig” zu bezeichnen. Auch Unent­schiedenheit ist aus den Daten nicht abzulesen, denn jeder einzelne Be­fragte hat sich durchaus entschie­den. Und so zeigen die Daten eben eine große Meinungsverschieden­heit, die die Bevölkerung ziemlich genau in der Mitte teilt – und das hinsichtlich einer Aussage, die ei­gentlich nicht per Meinungsmes­sung, sondern per Kriminalstatistik zu klären wäre.

Bei der Frage, ob Lehrerinnen im Unterricht ein Kopftuch erlaubt sein soll, ist die Mehrheit nicht „zu­rückhaltend”, wie der Bericht es be­nennt, ebenso wenig ist sie „skep­tisch”, also zweifelnd, nein, sie ist dagegen. Auch wenn es wünschens­wert wäre, dass Umfragen auch mal Zurückhaltung und Skepsis messen, Tugenden der Vernunft, statt jedem Befragten eindeutige Meinungen ab­zupressen.

Gar nicht erst berichtet werden jene Ergebnisse aus dem Fragen-komplex Flüchtlinge, die vermut­lich die tiefste Spaltung gezeigt hät­ten. Die Statements „Die aufgenom­menen Flüchtlinge erhöhen die Ge­fahr terroristischer Anschläge” und “Falls Flüchtlinge länger in Deutsch­land leben, sollten sie ihre kulturel­len Lebensweisen aufgeben” finden sich zwar im Fragebogen, aber im Bericht werden sie nicht beziffert.

Geht es hier um Erkenntnisge­winn oder um die Freude an einer guten Nachricht? Das Integrations­barometer ist eine aufwendige Stu­die, die mit ihren fast ro 000 Befrag­ten erlauben würde, tief hineinzu­zoomen, Ursachenforschung zu be­treiben, Handlungsempfehlungen zu geben, die nicht schon vor der Auswertung feststanden. Der soge­nannte Sachverständigenrat könnte die Welt besser machen, aber er zieht vor, alles gut zu finden.

Leander Steinkopf