MESOPOTAMIA NEWS : MACRON’S „SCHREI NACH LIEBE“ – DEN KEINER MEHR HÖREN WILL !

Protest in Frankreich : Wilde Gesten in gelben Westen

Von Jürg Altwegg , Genf  – FAZ  10.12.2018-08:01  – Hat der Aufruhr in Frankreich einen Gesamtwillen? Die Gelbwesten fordern Macrons Rücktritt und zugleich die Einlösung seiner Wahlversprechen: Ein französisches Paradox.

Dreißig Jahre nach dem von François Furet verkündeten „Ende der Revolution“ ist sie zurück. Die „Gilets Jaunes“ tragen ihre Westen wie die Jakobiner ihre Mützen. Wie bei der Überwindung des „Ancien Régime“ singen sie die Marseillaise. Die unerwartete, weder links noch rechts einzuordnende Bewegung hat erreicht, was der linksextreme Jean-Luc Mélenchon seit Marons Wahlsieg vergeblich versuchte: das Volk auf die Straße zu treiben. 1789 hatte sich am Brotpreis entzündet, 2018 geht es um die Abgaben auf Benzin. Wie die Revolution mündet der Aufstand in Chaos und Gewalt. Das Programm nach der Erfüllung der ersten Forderungen: „Macron démission.“

Es ist die pure Lust am Königsmord.

Als „großen Abwesenden“ hatte Emmanuel Macron vor seiner Wahl den „toten König“ bezeichnet: „Die Demokratie kann sich nicht selbst genügen. Im Herzen der französischen Politik steht ein leerer Stuhl.“ Napoleon wie de Gaulle erklärte Macron mit dem Bedürfnis, dieses „Defizit“ auszufüllen. Seinen Einzug ins Elysée feierte er nicht auf der Place de la Concorde, wo die Guillotine stand und rechte Präsidenten ihre Machtübernahme zelebrieren. Auch nicht bei der Bastille, dem Platz der Linken und der Revolution. Macron inszenierte seine Krönungszeremonie vor dem Louvre. „Weder links noch rechts“ – die Spaltung geht auf 1789 zurück – und „sowohl als auch“ ist sein Programm, seinem Buch gab er den Titel „Révolution“. Die „Vertikalität“ der monarchistischen Republik versprach „Jupiter“ zu restaurieren. Jetzt wollen ihn die Gelbwesten aus den Palast vertreiben.

Robespierre als Vater des Populismus

Mit Macron schien endlich die „Republik der Mitte“ möglich zu werden. François Furet hatte sie 1988 in der Schrift „La République du Centre“ als politische Konsequenz seiner Theorie vom „Ende der Revolution“ herbeigewünscht. Furet beendete den marxistischen Katechismus der Geschichtsschreibung, die eine direkte Linie von 1789 zu 1917 und von Robespierre zu Lenin zog. Das „Ende“ verkündete er zu ihrem 200. Jahrestag 1989 – ein Jahrzehnt nachdem sich die französischen Intellektuellen vom Marxismus abgewandt hatten. Im Jahr, an dessen Ende in Berlin die Mauer fiel. Zusammen mit Furet hatte der Historiker Marcel Gauchet das Konzept für die Revolutionsfeierlichkeiten erarbeitet. Gauchet gehörte zu den Begründern der Zeitschrift „Le Débat“ für die „Demokratisierung der Intellektuellen“. Die Epoche nach Jean-Paul Sartres Imperativ des politischen Engagements hatte begonnen. Sie war drei Jahrzehnte lang von der antitotalitären Aufklärung geprägt. Mit Macron geht ihre intellektuelle Hegemonie zu Ende.

Vor einem Jahr veröffentlichte Gauchet einen Essay „Le nouveau monde“, der eine Anspielung auf Macrons „neue Welt“ ist. Der Historiker stellt die gleiche Frage wie der Staatspräsident: „Was passiert, wenn der König abgesetzt wird?“ Das „Ungenügen der Demokratie“ aber hat bei ihm nichts mit dem fehlenden König zu tun: „Die Souveränität des Individuums hat jene des Volkes abgelöst.“ Er plädiert für ihre Erneuerung: „Die Krisen und die Globalisierung haben eine neue Konjunktur hervorgebracht. Es gibt eine Rückkehr der Geschichte, und sie nährt das neue Interesse an Robespierre.“ Gauchet hat ihm gerade eine Biographie gewidmet.

Der Historiker unternimmt den Versuch einer Synthese und Standortbestimmung für die Gegenwart. Wie kein anderer ihrer Protagonisten verkörpert Robespierre beide Aspekte der Revolution: die Hoffnung auf Freiheit und Gleichheit mit dem Versprechen der Menschenrechte, aber genauso die politische Sackgasse, aus der sie keinen Ausweg fand und die in den Terror der Schreckensherrschaft führte. Gauchet stilisiert Robespierre zum Erfinder und „Vater des Populismus“: „Er idealisierte das Volk, in dem er ein politisches Prinzip – die Souveränität des Volkes – mit einem moralischen – dem Gebot der Tugend – verknüpfte.“

Aus der Tragödie entsteht der Terror

Robespierre verehrte Rousseau, als Zwanzigjähriger pilgerte er an dessen Sterbebett. Der Philosoph hatte die Idee von der natürlichen Gleichheit aller Menschen in die Welt gesetzt. Mit dem Begriff der Tugend meinte Rousseau die Unterordnung der Einzelinteressen unter das Gemeinwohl. Die Revolution sollte eine Gesellschaft nach Rousseaus „Gesellschaftsvertrag“ hervorbringen. Robespierre war ein brillanter Intellektueller der Aufklärung. Auf seine Initiative ging die Verleihung der Bürgerrechte an die Juden zurück. Er forderte die Befreiung der Sklaven, kämpfte gegen die Todesstrafe und für die Presse- wie Meinungsfreiheit. Er wollte das allgemeine Wahlrecht und die Beschränkung der Amtszeiten, an die sich „der Unbestechliche“ selbst hielt. Die Abschaffung der Monarchie stand nicht auf seinem Programm. Für die Enthauptung von Ludwig XVI. sprach er sich nach dessen „Flucht nach Varennes“ aus. Auf dem Thron, predigte Robespierre, müsse die „heilige Gleichheit“ den toten König ersetzen.

Natürlich kann Marcel Gauchet die Totalitarismuskritik nicht ausblenden. Furet hatte von Robespierre ein vernichtendes Porträt gezeichnet und seinen Ansatz in „Das Ende einer Illusion“ auf den Kommunismus ausgeweitet. Gauchet erklärt nun die Schreckensherrschaft keineswegs mit dem Keim des Totalitarismus, der in jeder Utopie stecke: „Nach der Hinrichtung des Königs müssen die Revolutionäre die jahrhundertealte Monarchie ersetzen und das Land gegen die fremden Armeen wie die Feinde im Innern verteidigen. Diese Situation ist eine Tragödie im klassischen Sinne, aus ihr entsteht der Terror. Es bringt nichts, das als gut oder schlecht zu beurteilen. Der Verlauf der Revolution bringt Robespierre dazu, eine Diktatur auszuüben. Aber er war ein merkwürdiger Diktator. Er kontrollierte weder die Polizei noch die Armee. Er herrschte einzig durch die Macht des Wortes. Dafür gab und gibt es in der Geschichte nichts Vergleichbares.“

„Im Mit­tel­stand ha­pert es an der Um­set­zung mo­bi­ler Lö­sun­gen“

In vie­len Un­ter­neh­men wer­den mo­bi­le Ar­beits­pro­zes­se im­mer wich­ti­ger, auch der Mit­tel­stand ist ge­for­dert. Für Sa­scha Le­kic von Samsung Deutsch­land ist der Mit­ar­bei­ter der wich­tigs­te Er­folgs­fak­tor bei der Trans­for­ma­ti­on. Mehr…

Zur „braunen Pest“ erklärt

Unter der Regentschaft Macrons rehabilitiert Gauchet Robespierre und bringt ihn in die politischen Debatten zurück – die Biographie ist ein Bestseller. Sie erschien wenige Wochen bevor die neuen Sansculotten aus der „France profonde“ auf der Bildfläche erschienen. Gelb ist eine der letzten Farben, die mit keiner politischen Identität verbunden ist. Unsäglich waren die ersten Reaktionen aus der Regierung: „Kettenraucher und Dieselfahrer“. Schnell wurden sie zur „braunen Pest“ erklärt. Diese Beschimpfungen konnten die Gewaltbereitschaft nur beflügeln. Sie führte zu Szenen wie in einem Bürgerkrieg. Die weltoffenen Gewinner der Globalisierung in den Städten gegen ihre Verlierer an den Rändern. Die aufgeklärten „Gutmenschen“ des ökologischen Umbaus gegen die Populisten, die sich der Volkserziehung verweigern. Die Partei des Fortschritts gegen die hinterwäldlerischen Nationalisten. Grün und Geld gegen Gelb und Arm. Die einen fürchten das Ende der Welt, die anderen das Ende jeden Monats. In ihrer Radikalisierung wurden die „Gilets Jaunes“ zusehends für die Verschwörungstheorien der Rechtsextremisten anfällig, die auch von linksradikalen Politikern und Intellektuellen geteilt werden. Emmanuel Todd machte „agents provocateurs“ von Macrons Polizei für den Vandalismus am Triumphbogen verantwortlich.

Michel Onfray hat sich auf die Seite der „Gilets Jaunes“ geschlagen. Sie kämpfen, sagt er, gegen die „Prekarisierung“ und jene, die das „bescheidene Volk beschmutzen“, die linksliberalen Medien „Libération“, „Le Monde“, „L’Obs“. Die verbale Gewalt vieler Intellektueller und Journalisten, die einst fanatische Anhänger von Maos „Kulturrevolution“ und Pol Pot waren, ist verstörend. Mit Sympathie reagierten zumindest in ihren Anfängen unpolitische Volksschauspieler, Komiker, Schlagersänger, populäre Stars auf die Bewegung. Brigitte Bardot posierte mit einer gelben Weste. Der Historiker Jean-Pierre Le Goff spricht von einer Revanche der „Spießer“. Die kulturelle Arroganz der Pariser Elite wird von den „Gilets Jaunes“ stärker empfunden als die soziale Ungleichheit – die in Frankreich weniger ausgeprägt ist als in den meisten europäischen Ländern.

„Le Point“ deutet die Revolte mit Nietzsche als „Ressentiment, aus dem eine große Lust zur Rache“ entstehe. Als Meisterdenker der „Gelbwesten“ nannte der „Figaro“ Rousseau und seine direkte Demokratie. Wie sehr die Politik in Frankreich noch immer als Religionsersatz zelebriert wird, zeigt auch Marcel Gauchet, der Robespierre einen „Christus der Demokratie“ nennt. Auf ihn müsse man hören, um die „illiberale Demokratie“ zu verhindern, um die „Korruption und Gleichgültigkeit der Superreichen, der globalisierten Oberklasse“ zu bekämpfen.

Als deren Marionette und „Gummipuppe“ (Onfray) wird Macron vorgeführt. Doch die Forderungen der „Gelbwesten“ entsprechen den Versprechen, die er im Wahlkampf machte: weniger Bürokratie, weniger Steuer und Abgaben für alle, weniger Staatsdefizit und Sozialstaat. Tocqueville, der die demokratische Leidenschaft aus dem Geist der Égalité beschrieb, hat auch gezeigt, wie der König mit seinem Nachgeben das Aufkommen der Revolution begünstigte. Der Überwindung einer „alten Welt“ hat sich der gewählte Monarch verschrieben. Gegenwärtig ist Macron in Gefahr, zu ihrem Gorbatschow zu werden.

www.mesop.de