MESOPOTAMIA NEWS : MACRON DER EUROPÄER / MACRONS DOPPELSPIEL – LIBYENTripolis bricht mit Paris

Die libysche Einheitsregierung ist entrüstet über Frankreichs Unterstützung für General Haftar und hat die Sicherheitszusammenarbeit gekündigt. Aber Präsident Macron spielt sein Doppelspiel weiter. –  Ulrich Schmid, Jerusalem 19.4.2019, 20:19 Uhr – NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Fayez al-Sarraj, Emmanuel Macron und General Khalifa Haftar (v.l.n.r.) bei einem Treffen in Frankreich im Juli 2017.

In Libyen wird an allen Fronten gekämpft, an der diplomatischen ebenso wie an der militärischen. Die Einheitsregierung von Ministerpräsident Sarraj hat es nicht nur mit dem Warlord des Ostens, General Haftar, zu tun, sondern auch mit Frankreich. Angesichts der Tatsache, dass Paris weiterhin den «Kriegsverbrecher» Khalifa Haftar unterstütze, beende Libyen die Sicherheitszusammenarbeit mit Frankreich, gab der Innenminister Fathi Bashagha bekannt. Von dieser Massnahme betroffen seien sämtliche bilateralen Übereinkünfte, auch Trainingsprogramme.

Klandestine Missionen

In Paris gab man sich «schockiert» und wies die Kritik aus Tripolis als «völlig unbegründet» zurück. Frankreich unterstütze die libysche Einheitsregierung, sagte ein Sprecher, ebenso die Mediation der Uno für eine politische Lösung des Konflikts. Der einzige legitime Gesprächspartner Präsident Macrons sei Ministerpräsident Sarraj. Mit dieser Stellungnahme strapazierte Paris die Wahrheit beträchtlich. Macron unterhält seit Jahren vorzügliche Kontakte zu Haftar. Ende Juli 2017 lud er den mächtigen General und den machtlosen Sarraj auf ein Schloss bei Paris und versuchte, die beiden ungleichen Kontrahenten zur Zusammenarbeit zu bringen – ohne Erfolg, aber sehr zum Ärger der Italiener, die sich angesichts ihrer Kolonialgeschichte als zuständig in libyschen Angelegenheiten empfinden. Die französische Regierung hat offiziell nie zugegeben, dass sie Haftar unterstützt. Doch als im Juli 2016 drei französische Soldaten in Libyen ums Leben kamen, weil Islamisten ihren Helikopter abschossen, räumte Präsident Hollande ein, sie hätten sich auf einer «gefährlichen Aufklärungsmission» befunden. Wem der klandestine Sukkurs zugutekam, war bald klar: Haftar. Sarraj protestierte bereits damals.

Dass sich die internationale Gemeinschaft bis heute nicht entschliessen kann, wie sie mit Haftar umgehen soll, muss für Sarraj frustrierend sein. Nicht, dass er selber demokratische Legitimität hätte. Er ist von der Uno geschickt worden, die Regierung in Tobruk lehnte seine Einsetzung ebenso ab wie die in Tripolis. Doch dass sich die Uno heute nicht entschliessen kann, ihrem Schützling den Rücken zu stärken, ist schäbig und muss Sarraj zwangsläufig zum Schluss führen, dass viele Länder ganz einfach abwarten wollen, wohin das Kriegsglück sich neigt, um dann gänzlich unbelastet auf den Sieger zuzugehen und mit ihm über die Ausbeutung der Erdölvorräte und den Wiederaufbau der Infrastruktur zu schachern. Haftar ist ein möglicher Sieger, er kontrolliert die libysche Erdölproduktion bereits jetzt. In einem Interview mit dem britischen Sender BBC beklagte sich Sarraj bitterlich über das «Schweigen der internationalen Gemeinschaft». Der Uno-Sicherheitsrat zeigte sich am Donnerstag ausserstande, eine von Grossbritannien eingebrachte Resolution zu verabschieden, die eine sofortige Waffenruhe verlangt. Russland und die USA verweigerten die Zustimmung. Die Russen liessen nicht einmal zu, dass Haftars Name genannt werde, sagte Sarraj in dem Interview. Wenn die Spaltung der internationalen Gemeinschaft weitergehe, könne das zur Wiederholung der Ereignisse von 2011 führen, als Libyen von der Welt «im Stich gelassen» worden sei.

Aufrüstung über die Bande

Die Weltgemeinschaft interessierte sich während der Arabellion am Rande schon auch für Libyen. Doch sie beschränkte sich auf Nato-Bombardemente zugunsten der Feinde Ghadhafis, denen es daraufhin gelang, den langjährigen Diktator zu stürzen. Danach versäumte es der Westen allerdings, kräftige Wiederaufbauhilfe zu leisten. Im jahrelangen, bis heute andauernden libyschen Chaos versickerte der westliche Helferwille zusehends. Mit Ingrimm mussten Sarraj und seine Unterstützer in der Uno indes feststellen, dass Frankreich in den letzten Jahren Waffen in grossem Stil an die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudiarabien und Ägypten verkauft hat. Dies sind die wichtigsten Bundesgenossen Haftars. Und seine Generäle machen kein Hehl daraus, dass sie trotz dem offiziellen Uno-Waffenembargo über Dritte französisches Kriegsgerät en masse erstanden haben. Die französische Politik hat also höchstwahrscheinlich den Mann, der den «einzig legitimen Gesprächspartner» Macrons militärisch angreift, auf indirektem Weg mit Waffen versorgt.

Frankreichs Goodwill für Haftar hat etliche Wurzeln. Man hält ihn, erstens, für relativ säkular, säkularer jedenfalls als die Milizen in Tripolis, denen der machtlose Sarraj ausgeliefert ist. Das stimmt ein Stück weit, berücksichtigt aber nicht, dass sich in der «Nationalarmee» Haftars auch Stammeskrieger und Madchalisten befinden, quietistische, obrigkeitsgläubige Salafisten, denen jeder Säkularismus fremd ist. In Paris sagen etliche Politiker, zweitens, dass ein starker Mann in Libyen viel eher als die islamistischen Milizen in Tripolis in der Lage sein wird, den Migranten- und Flüchtlingsstrom aus Afrika und Syrien nach Europa zu stoppen. Frankreich unterstützt, drittens, in der Sahelzone die fragilen Regime in Burkina Faso, Tschad, Mali, Mauretanien und Niger, die sich allesamt von Islamisten bedroht sehen. Das Instrument dafür ist die «Opération Barkhane», laut Paris der «Grundpfeiler der Terrorbekämpfung in der Sahelzone». Die Waffen der Jihadisten kommen auch durch Libyen. Haftar ist als ein Partner in der «Opération Barkhane» denkbar, die islamistischen Gruppen in Tripolis sind es nicht. Auf Sarraj wäre ganz gewiss noch mehr Verlass als auf Haftar. Aber Sarraj ist ein Regent ohne eigene Machtbasis und damit längerfristig vermutlich keine Option.

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