MESOPOTAMIA NEWS : LAST ORDERS IDLIB / SYRIA !
Rebellenkämpfe in Syrien : Die letzte Bastion, die nicht fallen will
- Von Christoph Ehrhardt, Beirut – FAZ – Aktualisiert am 23.07.2019 – Der Kampf um Idlib gerät für das Regime in Damaskus zu einem Debakel. Die kampferfahrenen Rebellen wehren sich seit Wochen gegen Assads Truppen. Dieser verlegt sich nun mit Hilfe Russlands auf einen Kampf aus der Luft.
Kliniken, Märkte, Schulen – seit Wochen werden sie im Nordwesten Syriens regelmäßig von syrisch-russischen Luftangriffen getroffen. Seit mehr als zwei Monaten gehe das schon so, schreibt ein Einwohner der Provinz Idlib, der aus Angst seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Das Bombardement sei „wahnsinnig“. Mehr als zwei Dutzend Gesundheitseinrichtungen sind nach Angaben aus den UN und von Hilfsorganisationen schon zerstört worden. Am Montag wurde – wieder einmal – der Ort Maaret al Numan attackiert. Dieses Mal schlugen die Bomben an einen belebten Markt ein. Nach Angaben örtlicher Beobachter gab es mindestens 33 Tote. Wohnhäuser und Läden seien zerstört worden, berichteten Anwohner. Die Rettungsarbeiten mussten unterbrochen werden, weil die Bomber noch am Himmel waren.
Es ist ein bekanntes Muster nach dem Baschar al Assad und seine russischen Alliierten vorgehen: Luftangriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur sollen die Rebellenbrigaden von ihren militärischen Aufgaben ablenken, indem sie dazu gezwungen werden, sich stärker um die Versorgung der Bevölkerung zu kümmern. Diese soll außerdem durch den stetigen Terror aus der Luft entmutigt werden. Die Angriffe sollen den Truppen Assads zu Erfolgen auf dem Schlachtfeld verhelfen. Seit Ende April führen sie eine Offensive im Norden der Provinz Hama und in der nordwestlichen Provinz Idlib.
Doch die Militärkampagne am Boden gerät trotz der Bombardements aus der Luft zu einem verlustreichen Misserfolg für das Regime. Dessen Truppen kommen kaum voran, westliche Diplomaten sprechen von einer „Blamage“ für Damaskus. Idlib ist die letzte Bastion des bewaffneten Aufstands. Die dortigen Rebellengruppen sind schwer bewaffnet, kampferfahren und entschlossen. Nicht zuletzt, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen, denn es bliebe ihnen kaum ein Rückzugsort, sollte das Regime Idlib erobern.
Zum anderen werden die aufständischen Gruppen von radikalen Islamisten dominiert. Die stärkste Gruppe ist die Allianz „Hayat Tahrir al Scham“ (HTS), unter deren Banner auch Al-Qaida-Gruppen kämpfen. Den hartgesottenen und hochmotivierten Rebellenkämpfern steht eine Armee gegenüber, die nicht nur Eliteeinheiten in die Schlacht führt. Dass in den Verlustmeldungen Brigaden auftauchen, in denen frühere Rebellen kämpfen, deutet darauf hin, dass unter den eingesetzten Soldaten eine beträchtliche Zahl von Leuten ist, die im Rahmen sogenannter Versöhnungsabkommen Kriegsdienst für Assad verrichten. Ihre Motivation, für die Sache des einstigen Feindes zu fallen, dürfte sich in Grenzen halten.
Die Idlib-Kampagne zeige die begrenzten militärischen Möglichkeiten des Regimes eindeutig auf, sagt ein westlicher Diplomat. Es gebe Hinweise darauf, dass das russische Militär unzufrieden sei über die Kampfkraft und das taktische Vermögen der arabischen Verbündeten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die übereinstimmenden Berichte der Rebellen schlüssig, laut denen Moskau sich auch in die Operationen am Boden eingeschaltet haben soll. Schon länger heißt es, russische Militärs würden bei der Koordinierung auf dem Schlachtfeld helfen. Es gibt Videos von Kampfhandlungen, die darauf hindeuten, dass Russen an der Front aktiv sind. Ob es sich dabei um Soldaten handelt, wie Rebellen sagen, oder um russische Söldner lässt sich indes nicht abschließend bestätigen.
Das Schlachtfeld im Nordwesten ist für Assads Streitkräfte ebenso schwierig wie bedeutsam. An den entscheidenden Fronten kontrollieren die Rebellen Anhöhen, von denen sie aus gut befestigten Stellungen auf die Truppen des Regimes feuern können. Etwa auf der langgestreckten Ghab-Ebene, die Assad gerne als Pufferzone kontrollieren würde. Denn die Rebellen bedrohen durch ihre Präsenz im Nordwesten das Kernland der Alawiten, der Bevölkerungsgruppe des Assad-Clans. Auch die russische Luftwaffenbasis von Hmeimim gerät unter Rebellenbeschuss. Und auf Seiten der Rebellen, die sich über die Jahre in Kleinkriegen und Machtkämpfen gegenseitig schwächten, scheint dieser Tage die Zusammenarbeit gut zu funktionieren. Fotos zeugen von einem bedeutenden Treffen im Juni, bei dem die wichtigen Kommandeure zusammenkamen.
Die Führungsrolle von HTS-Anführer Abu Muhammad al Dshaulani ist unangefochten. Zugleich haben sich die Gruppen auf eine klare Arbeitsteilung geeinigt. „Die Aufgaben sind klar umrissen“, erklärt ein früherer Rebellenkämpfer, der gut unter den bewaffneten Gruppen vernetzt ist und namentlich nicht genannt werden will. Nach seinen Worten gibt es Gruppen, die für die Lenkraketen zuständig sind, andere für die schweren Waffen. Wiederum andere – in der Regel dschihadistische Gruppen – sind mit gefährlichen Guerrillaangriffen hinter den feindlichen Linien beauftragt. Der wichtigste Grund für die großen Schwierigkeiten des Regimes im Nordwesten ist die Waffenhilfe aus der Türkei.
Die Türkei treibt den Preis hoch
Von oppositionsnahen syrischen Beobachtern heißt es übereinstimmend, dass die Unterstützung Ankaras nicht nur die Ausrüstung aufwerte, sondern auch die Moral der Kämpfer deutlich gebessert habe. Ankara habe unter anderem effektive Anti-Panzer-Raketen an die engsten Verbündeten unter den syrischen Rebellenbrigaden geliefert sowie Grad-Raketen mit einer Reichweite von mehr als dreißig Kilometern. Türkische Offiziere würden den Verbündeten mit taktischen Ratschlägen zur Seite stehen, heißt es von Gewährsleuten aus den Reihen der Assad-Gegner. „Die Türken sorgen dafür, dass das Kräfteverhältnis auf dem Schlachtfeld ausgeglichen ist“, erklärt der frühere Rebell. Wenn die andere Seite die Konfrontation eskalieren lasse, komme mehr Hilfe aus Ankara. „Die Rebellen wissen jetzt, dass sie eine echte Erfolgschance haben und nicht ihr Leben für nichts und wieder nichts opfern“, sagt er.
Es hatte Gerüchte gegeben, Ankara und Moskau könnten einen Handel abschließen und die Türken könnten ihre arabischen Brüder in Idlib im Stich lassen. Doch danach sieht es nicht mehr aus. „Die Türkei hat das abschreckende Potential der Rebellengruppen in Idlib erkannt und macht es sich zunutze“, sagt Sam Heller von der International Crisis Group, der sich seit Jahren intensiv mit Idlib beschäftigt. „Ankara macht Russland deutlich, dass eine militärische Lösung für die Provinz zumindest eine extrem teure Angelegenheit wird.“ Derzeit scheint weder Ankara noch Moskau daran gelegen zu sein, sich über die Gegnerschaft im Syrien-Krieg zu entzweien. Das umstrittene Geschäft mit den russischen S-400-Luftabwehrbatterien kam trotzdem zustande. „Für Russland könnte eine strategische Partnerschaft mit der Türkei wertvoller als alles sein, was noch an politischem Kapital in Syrien zu holen ist“, vermutet Sam Heller
Quelle: FAZ.NET