MESOPOTAMIA NEWS : JOHN BERCOW – KONSERVATIVER SPEAKER & BREXIT-GEGNER IM UNTERHAUS & SEINE SEXUELLEN BELÄSTIGUNGEN & EIN 40000 EURO SELBSTPORTRAIT IN ÖL
John Bercow. Im Jahr 1900 kam sein Großvater als 16-Jähriger ohne Eltern und Verwandte mit praktisch nichts nach London aus einem jüdischen Shtetl in Rumänien, wo sich seit dem Mittelalter wenig verändert hatte.
Die jüdische Tradition verlor trotz allem Chaos nie ihre Bedeutung in der Familie. Der junge John hatte seine Bar Mitzvah in der Finchley Reform Synagogue und lebte bis zu seiner Universitätszeit im jüdischen Viertel im Norden von London, einem Stadtteil mit einer der größten Konzentration von Juden in Europa. Er wurde der erste Jude in der Geschichte des britischen Parlaments – House of Commons –, der zum Sprecher nominiert wurde.
Auf der Universität schloss er sich dem sogenannten »Monday Club« an, einer erzkonservativen Studentengruppe, die Einwanderung und Asyl ablehnte, und wurde sehr bald zu einem der Vertreter der »Federation of Conservative Students« gewählt, die allerdings eines Tages von den Tories selbst geschlossen wurde, weil die aggressive, rechts-konservative Politik der Gruppe zu einer Blamage für die eigenen Partei geworden war.
Als Abgeordneter im Parlament veränderten sich seine politischen Ansichten, er wurde toleranter und setzte sich für gleichgeschlechtliche Heirat ein,
für die Rechte von Minderheiten und ein großzügiges Einwanderungsgesetz. Sehr zum Schock seiner erzkonservativen Kollegen und Kolleginnen begann er mit seiner geschickten Rhetorik und Überzeugungskraft die altmodische Konservative Partei, die sich von der Ideologie einer Margret Thatcher nicht lösen konnte und eine Wahl nach der anderen verlor, Schritt für Schritt zu modernisieren und gilt heute als einer der Väter des Wahlerfolgs von David Cameron.
Seine vehementesten Kritiker innerhalb der eigenen Partei führen diese Änderungen in seiner politischen Haltung auf die Ehe mit Sally Illman, einer Labour Aktivistin, zurück, die selbst in jungen Jahren eine vehemente Anhängerin der Konservativen war, sich jedoch später den Linken anschloss. Einer der Kollegen von Bercow in der konservativen Partei machte sich über ihn lustig mit der Bemerkung, dass Johns Problem die Tatsache sei, dass er Sex und die Labour Party zur gleichen Zeit entdeckt hätte.
An diesem Montag und in der kommenden Woche, wenn das Unterhaus abermals über den Brexit abstimmt, könnte es John Bercow sein, der mit prozeduralen Entscheidungen beeinflusst, wie die Würfel für die Zukunft des Landes fallen. Viele glauben, dieser Höhe-punkt seiner Karriere werde mit seinem Abschied zusammenfallen. So einige Affärchen hat er überlebt. Er ließ ein Selbstportrait in Öl für mehr als 40 000 Euro anfertigen, reichte zum Teil horrende Rechnungen für Chauffeurdienste ein und lässt sich gerne mit Tickets für Tennis- und Fußballspiele beschenken. Es blieb beim Spott der Boulevardpresse. Nicht ganz so glimpflich verlief es mit den Vorwürfen, dass er Frauen und Mitarbeiter schlecht behandelt habe. Eine Untersuchungskommission attestierte ihm im vergangenen Jahr, dass sich unter seiner Ägide im Parlament eine „Kultur der Ehrerbietung, Unterwürfigkeit, Duldung und des Schweigens” entwickelt habe, die über Jahre hinweg sexuelle Belästigungen im Parlament toleriert und sogar verdeckt hätte. Die Empörung legte sich erst nach Berichten, Bercow plane, zu seinem zehnjährigen Dienstjubiläum zurückzutreten.
Bercow, der am Samstag 56 Jahre alt geworden ist, mag sich mit dem Gedanken trösten, dass der Speaker im Ruhestand traditionell einen Sitz im Oberhaus erhält. Doch darauf kann er nicht mehr zählen, denn über eine solche „Peerage” wird in Downing Street entschieden. Und die BBC zitierte am Freitag eine Regierungsquelle mit unversöhnlichen Worten: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir wohlwollend auf jene blicken, die jahrhundertealte Verfahrensweisen hintergangen haben.”