MESOPOTAMIA NEWS : ISRAEL POLITIK UNTER DONALD TRUMPS SCHIRM

Europas Israel-Politik: Raus aus der Zuschauerrolle

Es mag in Europa nicht populär sein, Donald Trump oder Benjamin Netanjahu zu unterstützen. Doch im Nahostkonflikt sollten die Europäer jetzt genau das tun.

Eine Analyse von Alan Posener 31. August 2020, 10:27 Uhr

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) hat Europa kalt erwischt. Nun gilt es, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die Außenpolitik der Europäischen Union muss endlich der tektonischen Verschiebung der Macht- und Bündnisverhältnisse im Mittleren und Nahen Osten Rechnung tragen, damit Europa vom Zuschauer zum Akteur in der Region wird.

Eben erst hatte man es sich in jener Dauerempörung bequem gemacht, die seit jeher die deutsche und europäische Haltung gegenüber der Regierung Benjamin Netanjahus auszeichnet. Bei seinem ersten Besuch in Israel seit anderthalb Jahren verurteilte Außenminister Heiko Maas Anfang Juni die angeblich geplante Annexion von Teilen Judäas und Samarias als “Rechtsbruch”. Einen Monat später organisierte der SPD-Mann Maas eine Videokonferenz mit seinen französischen, ägyptischen und jordanischen Kollegen. (Der Hohe Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, dessen Einfluss in Berlin und Paris im umgekehrten Verhältnis zur Großartigkeit seines Titels steht, war nicht eingeladen.) Sie seien sich einig, dass eine Annexion “ernste Konsequenzen für die Sicherheit und Stabilität der Region haben und ein großes Hindernis für die Bemühungen um die Herbeiführung eines umfassenden und gerechten Friedens darstellen würde”, so die vier Außenminister. Ja, sie “könnte auch Folgen für das Verhältnis zu Israel haben”.

Während sich Maas also bemühte, in der arabischen Welt eine diplomatische Front gegen Netanjahu zu organisieren und vage Drohungen Richtung Jerusalem ausstieß, die, zugegeben, niemand ernst nahm, am allerwenigsten die Jordanier und Ägypter, waren israelische und arabische Unterhändler dabei, die Details der Abmachung zwischen den VAE und Israel festzuklopfen. Einen Monat später war es so weit. Maas erklärte am 14. August: “Ich habe eben mit dem israelischen Außenminister Gabi Aschkenasi telefoniert und ihm zu diesem historischen Schritt gratuliert. Die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten ist ein wichtiger Beitrag zum Frieden in der Region.”

Euphemismus des Monats

In der Tat. Wobei der Ausdruck “Normalisierung” als Euphemismus des Monats gelten darf. Wenn die Beziehungen bisher nicht “normal” waren, so deshalb, weil die VAE wie die Mehrheit der arabischen und muslimischen Staaten formal an der Fiktion festhielt, der jüdische Staat werde eines Tages verschwinden, während sie gleichzeitig – wie die Saudis – seit geraumer Zeit sicherheitspolitisch mit Israel kooperieren. Maas ließ es sich allerdings nicht nehmen, zwei Drittel der Erklärung den angeblichen Annexionsplänen zu widmen und zu erklären: “Gemeinsam mit unseren Partnern in Europa und der Region haben wir uns in den letzten Monaten intensiv gegen eine Annexion und für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen eingesetzt.”

Genau. Maas war mit Lobbyarbeit zugunsten der Palästinenserführung beschäftigt. Währenddessen gaben immer mehr arabische Führer zu erkennen, dass sie keine Lust hatten, weiterhin als diplomatische, militärische und wirtschaftliche Geiseln der korrupten Cliquen in Ramallah und Gaza zu fungieren. Das wurde deutlich, als Donald Trump im Januar dieses Jahres seinen Friedensplan bekannt gab. Anwesend im Weißen Haus waren neben Netanjahu auch die Botschafter der Golfstaaten Oman, Bahrain und der VAE. Ägypten und Saudi-Arabien lobten die “Bemühungen” der Trump-Regierung. Und obwohl “die Palästinenser” – sprich die in Gaza herrschenden Ableger der Muslimbrüder und die Fatah-Regierung in Ramallah – den Trump-Deal sofort ablehnten, gelang es keiner dieser Gruppen, nennenswerte Demonstrationen gegen Washington und Jerusalem zu organisieren.

Die Empörung über einen Plan, der dem palästinensischen Volk nicht nur einen eigenen Staat, sondern auch die großzügigste Auslandshilfe seit dem Marshallplan bescheren würde, beschränkte sich weitgehend auf Europa, zumal Deutschland. “Der US-Vorschlag wirft Fragen auf, die wir jetzt mit unseren Partnern in der EU besprechen werden”, kündigte Maas an. “Das sind unter anderem Fragen nach der Einbeziehung der Konfliktparteien in einen Verhandlungsprozess sowie nach seinem Verhältnis zu anerkannten internationalen Parametern und Rechtspositionen.” Kurz und gut: Wenn Ramallah nicht zustimmt, stimmen wir auch nicht zu.

“Wir waren an den Verhandlungen nicht beteiligt”

Ins gleiche Horn tutete der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen. Trumps Plan enthalte völkerrechtswidrige Elemente, so der CDU-Mann. Er sei “ein Rückschritt und kein Fortschritt”. Trump habe den Palästinensern ein Ultimatum präsentiert, nach dem Motto “Friss oder stirb”. Besser hätte es Mahmud Abbas auch nicht sagen können, der so viel Angst vor seinem Volk hat, dass er – 2005 für vier Jahre gewählt – lieber nicht über seine Herrschaft abstimmen lässt. So viel zu “Friss oder stirb”. Abbas sagte denn auch, der Trump-Plan werde “auf dem Müllhaufen der Geschichte landen”. Die Hisbollah legte freilich den Finger in die Wunde: “Dieser Deal wäre nicht zustande gekommen ohne die Komplizenschaft und den Verrat einiger arabischer Regimes, die geheime und offene Partner bei dieser Verschwörung sind.” Eben.

Trump und Netanjahu sind in der deutschen Öffentlichkeit derart verhasst, dass man einiges riskiert, wenn man feststellt, dieses oder jenes hätten sie schon richtig gemacht. Deshalb ist es Josep Borrell (Sie erinnern sich: der Hohe Repräsentant) hoch anzurechnen, dass er in einer Erklärung zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den VAE “die konstruktive Rolle der USA” hervorhob. In einer Mail seines Pressestabs heißt es auf meine ausdrückliche Frage hin: “Wir waren an den Verhandlungen nicht beteiligt.”

Netanjahu und Trump haben die Lage im Mittleren und Nahen Osten richtig eingeschätzt. Sie begreifen, dass für die meisten arabischen Regimes der Iran und seine Hilfstruppen eine viel größere Bedrohung darstellen als Israel. Während die Europäer immer wieder auf direkte Verhandlungen der “Konfliktparteien” setzten, obwohl sie seit Jahrzehnten nichts bringen, verstanden Trump und Netanjahu, dass die arabischen Staaten dazu gebracht werden können, mit Israel Frieden zu schließen und die Palästinenserführung unter Druck zu setzen.

Nationalismus als Vehikel des Fortschritts

Im sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg, bei dem es um nichts weniger geht als die Herrschaft über die islamische Welt, sind die Palästinenser und Palästinenserinnen für beide Seiten nur Manövriermasse. Das schiitische Regime in Teheran verheizt die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg und die Hamas in selbstmörderischen Angriffen gegen Israel. Die sunnitischen Regierungen sehen die strategischen Vorteile der Kooperation mit dem wirtschaftlich fortschrittlichsten und militärisch stärksten Akteur der Region und sind bereit, ihre seit jeher nur symbolische Unterstützung der Palästinenser dafür zu opfern. Dabei müssen einem die Palästinenser – ich meine die einfachen Männer, Frauen und Kinder, die seit 1948 Spielball fremder Interessen gewesen sind – nicht leidtun. Im Gegenteil: Befreit von der Rolle, Märtyrer des Kampfes gegen den Zionismus zu sein, können sie endlich beginnen, ein eigenes nationales Leben zu führen.

Überhaupt bildet die Wiedergeburt des Nationalismus in der arabischen Welt die beste Hoffnung für den Frieden in der Region. Nach dem Scheitern des supranationalen Panarabismus und des Islamismus entdecken die Menschen von Beirut bis Rabat im Nationalismus ein Vehikel des Fortschritts, wie vor 1914 in Europa und seitdem in vielen anderen Teilen der Welt. Gegen die Macht korrupter Clans und klerikaler Dunkelmänner bildet der Appell an die Einheit der Nation, wie 1789 in Frankreich, 1848 in Deutschland, 1912 in China oder 1994 in Südafrika eine mächtige Waffe.

Im Sudan wurde – von Europa kaum bemerkt – die islamistische Regierung von einer nationalistisch-demokratischen Revolution hinweggefegt, im Libanon protestieren Muslime und Christen gemeinsam im Namen der Nation gegen die Cliquen, die ihr Land ruiniert haben. Im Irak wehren sich immer mehr Menschen gegen die Übermacht des Iran und in den Ölstaaten des Golfs fragen sich die Herrscher, wie sie in einer postfossilen Welt von der Alimentierung der Bevölkerung zur Mobilisierung der Bürger übergehen können. Israel und der Zionismus taugen hierbei eher als Vorbild denn als Schreckgespenst.

Immer klarer zeichnet sich eine Blockbildung ab

Blogger und Journalisten werden vorgeschickt, um die Stimmung zu testen. Etwa der 27-jährige Mohammed Saud aus Riad, der den “unvergleichlichen Bibi” lobt und bekennt: “Wir, die junge Generation, wollen mit allen Staaten normale Beziehungen haben. Wir wissen auch, dass es vor 70 Jahren keinen palästinensischen Staat gab, während es die Juden seit 3.000 Jahren gibt. Für uns hat Jerusalem keine Bedeutung. Die heiligen Stätten des Islam sind Mekka und Medina. Wir wollen Frieden und Koexistenz.” Oder der in Syrien geborene Al-Dschasira-Fernsehjournalist Faisal al-Qassem: Den Zionismus nennt er “das erfolgreichste Projekt des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart”. Seine Twitter-Follower forderte er auf, darüber abzustimmen, wer “fortschrittlicher, höher entwickelt, demokratischer und erfolgreicher” sei, Israel oder die arabischen Regimes. 81,7 Prozent stimmten für Israel.

Da der Zionismus nichts weiter will als einen Nationalstaat für die Juden, ist er, im Gegensatz zum Universalismus der von Teheran gesteuerten Schiiten oder der Muslimbrüder, aber auch zu den neo-osmanischen Ambitionen eines Recep Tayyip Erdoğan, der ideale Partner für den neuen Nationalismus in den arabischen Staaten. Auch die Kurden und Kurdinnen werden nicht vergessen, dass Israel als einziger Staat die Ergebnisse des Unabhängigkeitsreferendums im Nordirak anerkannt hat. Die EU, die stets das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat betont und die Kurden gern in den Kampf gegen den “Islamischen Staat” schickt, denkt übrigens ebenso wenig wie die palästinensische PLO daran, die Sache der Kurden zu verfechten.

Nun, gegen einen kurdischen Staat mag es gute geopolitische Gründe geben, allen voran die Angst vor einer Verärgerung Erdoğans. Doch geopolitische Überlegungen legen auch nahe, die arabische Öffnung gegenüber Israel künftig mit voller Kraft zu fördern, statt wie bisher abseitszustehen; den Trump-Plan als Grundlage weiterer Verhandlungen zu akzeptieren, statt auf einen Politikwechsel im Weißen Haus zu setzen. Joe Biden hat selbst erklärt, dass er allenfalls rhetorisch von Trumps Ideen abrücken würde. So wird etwa die US-Botschaft in Jerusalem bleiben. Biden hat auch angekündigt, den von Trump aufgekündigten Atomdeal mit dem Iran neu zu verhandeln. Umso besser. Die Europäer sollten nicht eine Rückkehr zum alten Deal verlangen, der den Iranern und Iranerinnen Geld bot für die bloße Zusicherung, zehn Jahre lang keine Atombomben zu bauen.

Es geht nicht um Moral

Immer klarer zeichnet sich eine Blockbildung ab: Der Iran und seine Verbündeten wenden sich Russland und China zu; dagegen bilden die arabisch-sunnitischen Staaten zusammen mit Israel einen Block, der nach Westen schaut. Darunter befinden sich einige nicht sehr appetitliche Regimes, gewiss. (Und ich meine nicht die Regierung Netanjahu.) Aber es geht nicht um Moral, sondern um Macht. Europa ist nicht stark genug, eine Mittlerrolle zwischen den Blöcken einzunehmen, selbst wenn das richtig wäre, was man aus guten Gründen bestreiten kann. Allenfalls schürt das bei den Iranern und Iranerinnen die Illusion, den Westen und die arabische Welt spalten zu können, was sie wiederum – wie in Syrien oder im Jemen, im Libanon oder im Persischen Golf – zu militärischen Abenteuern verleiten könnte.

Vermutlich weiß Heiko Maas das alles. Seine Unentschiedenheit ist weniger außenpolitischer als innenpolitischer Feigheit zu verdanken. Es ist eben nicht populär, schon gar nicht unter Sozialdemokraten, Netanjahu oder gar Trump zu unterstützen. Wenn es aber den Europäern – allen voran den Deutschen – ernst ist mit dem Wunsch, den fälschlicherweise Nahostkonflikt genannten Krieg gegen Israel zu beenden, so sollten sie den jetzigen günstigen Augenblick ergreifen.