MESOPOTAMIA NEWS INTERVIEW : «Je mehr Politiker erkennen, dass die Genderei Wählerstimmen kostet, desto besser»

Marc Felix Serrao, Berlin 8.3.2019, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Walter Krämer, ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Technischen Universität Dortmund und Vorsitzender des Vereins Deutsche Sprache.

Hundert deutsche Intellektuelle haben eine Petition mit dem Titel «Schluss mit dem Gender-Unfug!» gestartet. Im Interview erklärt der Initiator Walter Krämer vom Verein Deutsche Sprache, warum er für die Gleichberechtigung von Mann und Frau und gegen Sternchen in Wörtern ist.

Was haben Sie gegen Gleichberechtigung, Professor Krämer?

Überhaupt nichts. An meinem Lehrstuhl haben wir fast Parität. Das ist im deutschen Uni-Betrieb selten.

Sie haben mit Ihrem Verein Deutsche Sprache gerade eine Petition gestartet: «Schluss mit dem Gender-Unfug!»

Das hat mit Gleichberechtigung nichts zu tun. Viele, die unseren Aufruf unterzeichnet haben, sind Frauen. Die fühlen sich verhohnepipelt durch die Anstrengungen ihrer feministischen Geschlechtsgenossinnen.

Sie werfen den Anhängern der Gender-Sprache vier Irrtümer vor. Welche sind das?

Der erste Irrtum besteht in der Annahme, dass zwischen dem natürlichen und dem sogenannten grammatischen Geschlecht ein Zusammenhang bestehe. Es war historisch gesehen ein Riesenfehler, «Genus» als «grammatikalisches Geschlecht» zu übersetzen. Das Genus ist ein Mittel, um Substantive in Klassen zu ordnen. Mit Geschlecht hat das nicht das Geringste zu tun. Gleiches gilt für den Begriff «Geschlechtswort» für Artikel. Das ist dumm und irreführend. Und es ist einer der Gründe für das aktuelle Übel.

Haben Sie ein Beispiel?

In der Klasse, in der sich der Mann befindet, befindet sich auch der Mensch. Und in der Klasse, zu der die Frau gehört, auch die Dumpfbacke und die Lichtgestalt des deutschen Fussballs alias Franz Beckenbauer. Es gibt Hauptwörter mit dem Artikel «der», die Frauen mitmeinen, und es gibt welche mit «die», die Männer mitmeinen.

Welches sind die anderen Irrtümer?

Der nächste Irrtum liegt in der Behauptung, man könne Gender-Sprache konsequent durchhalten. Beispiel «Bürgermeister». Für die Befürworter reicht es nicht, eine Bürgermeisterin zu haben. Es braucht auch einen Bürgerinnen- und Bürgermeister und eine Bürgerinnen- und Bürgermeisterin. Jedes Mal, wenn in zusammengesetzten Wörtern ein weiteres Substantiv vorkommt, muss es angepasst werden. Das ist der Gipfel der Lächerlichkeit.

«Angela Merkel hätte keinen Tag früher Regierungschefin werden können, wenn im Grundgesetz das Wort ‹Kanzlerin› gestanden hätte. Da steht aber nur zwanzigmal ‹Kanzler›. Ihren Aufstieg hat das in keiner Weise behindert.»

Ist das nicht eine Frage der Gewohnheit?

Sprache soll effizient sein. Wenn sich die Länge eines Textes verdoppelt, handelt es sich um eine überflüssige und kommunikationshemmende Änderung. Stellen Sie sich vor, Sie sehen abends im Fernsehen Werbung, und dann kommt der Hinweis: «Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin oder Ihren Apotheker oder Ihre Apothekerin.» Natürlich ist mit dem Arzt auch die Ärztin gemeint. In meinem Bekanntenkreis sind die meisten Mediziner Frauen. Und wenn deutsche Kinder, die heute zwölf Jahre alt sind, den Begriff «Bundeskanzler» hören, denken sie auch an eine Frau. Die kennen es gar nicht, dass dieses Amt auch ein Mann ausüben kann. Ob mit einem Wort ein Mann oder eine Frau gemeint ist, entscheidet nicht die Obrigkeit, sondern die soziale Wirklichkeit. Angela Merkel hätte keinen Tag früher Regierungschefin werden können, wenn im Grundgesetz das Wort «Kanzlerin» gestanden hätte. Da steht aber nur zwanzigmal «Kanzler». Ihren Aufstieg hat das in keiner Weise behindert.

Vielleicht hätte es mit einem anderen Sprachgebrauch schon früher eine Kanzlerin gegeben.

Fragen Sie einfach mal ein paar Leute, ob dieser Aspekt bei den wirklich wichtigen Entscheidungen irgendeine Rolle spielt. Sie werden immer ein Nein hören.

Das ist rückblickend schwierig. Welches sind die anderen beiden Irrtümer, die Sie ausgemacht haben?

Wir weisen darauf hin, dass viele Gender-Sprachgebilde einfach lächerlich und inkonsequent sind. Nehmen Sie den alten Radfahrer und den neuen Radfahrenden. Ein Radfahrer ist jemand, der ab und zu Rad fährt. Er kann auch schlafen, essen und ins Kino gehen. Der Radfahrende ist jemand, der immerzu Rad fährt. Wie kann ein Radfahrender ins Kino gehen? Oder die Luftpiratin. Die steht mittlerweile sogar im Duden. Ein Karnevalswitz!

Es gibt keine Frauen, die Flugzeuge entführen?

Natürlich gibt es die. Aber sie werden vom Begriff «Luftpirat» mitgemeint. Da sind wir wieder beim Genus. «Pirat» meint beide Geschlechter.

Und der letzte Irrtum?

Dass die Genderitis die Lage von Frauen verbessere. Die verbessert sich, indem man Frauen für die gleiche Arbeit das gleiche Geld zahlt, indem man Zugangschancen zu Berufen verbessert, so wie es im Arztberuf schon gelungen ist. Das sind die Mittel, auf die es ankommt. Keine orwellsche Manipulation der Sprache.

Die Kritik an Ihrer Petition fällt mitunter heftig aus. Die «taz» titelte: «Oh, fuck off».

Das hat mich gefreut. Es gibt doch das schöne Sprichwort: Getroffene Hunde bellen.

Der Autor nennt die Initiatoren «kleinbürgerliche Würstchen». Wie würden Sie Ihre hundert Erstunterzeichner charakterisieren?

Das ist die Crème de la Crème des Kulturbetriebs. Dieter Nuhr ist mit Abstand der zungenfertigste Kabarettist des Landes. Wir haben die drei besten deutschen Lyriker: Günter Kunert, Reiner Kunze und Wulf Kirsten. Da können Sie jeden Literaturwissenschafter fragen. Wir haben eine Reihe sehr renommierter Schriftstellerinnen, die den Georg-Büchner-Preis gewonnen haben, den Kleist-Preis. Im Vergleich zu diesen Leuten kann sich der Mensch von der «taz» nur verstecken. Der ist das Würstchen.

«Wenn der Oberbürgermeister von Hannover den Menschen in seiner Verwaltung vorschreibt, in amtlichen Schreiben den Genderstern zu benutzen, was ist das anderes als obrigkeitsstaatliche Bevormundung?»

Wir viele Unterstützer haben Sie mittlerweile?

Ich wollte gerade nachschauen, da war unsere Seite wieder zusammengebrochen. Der Andrang ist riesig. Nach den ersten zwei Tagen im Netz waren es neuntausend.

Es gibt auch seriöse Kritik. Der Sprachwissenschafter Thomas Niehr sagte im Deutschlandfunk über Ihre Petition: «Da wird eine Bevormundung kritisiert, und ich kann diese Bevormundung nicht erkennen.»

Wenn der Oberbürgermeister von Hannover den Menschen in seiner Verwaltung vorschreibt, in amtlichen Schreiben den Genderstern zu benutzen, was ist das anderes als obrigkeitsstaatliche Bevormundung?

Das ist eine einzelne, sozialdemokratisch regierte Stadt.

In der CSU-Stadt Augsburg gibt es eine ähnliche Zwangsbeglückung. Und in Dortmund, wo ich arbeite, wird so etwas derzeit geplant.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Ich glaube, der Grund, weshalb die Genderei so wenig Widerstand erfährt, ist das schlechte Gewissen der Männer. Frauen wurden jahrhundertelang benachteiligt, daran gibt es keinen Zweifel, auch nicht unter Männern. Deshalb laufen feministische Splittergruppen, und wenn sie noch so abwegige Forderungen erheben, überall durch offene Türen. Keiner wagt, etwas zu sagen, aus Angst, als Ewiggestriger und Frauenfeind dazustehen. So kommen unsinnigste Beschlüsse zustande. In Leipzig an der Uni gibt es nur noch Professorinnen, auch meine Männerkollegen heissen so.

Thomas Niehr meint, dass viele Menschen ein Bedürfnis danach hätten, in der Sprache nicht nur mitgemeint, sondern auch mitgenannt zu werden. Kann es nicht einen Kompromiss geben, der zwischen radikalen Forderungen und dem heutigen Amtsdeutsch liegt? Sprache verändert sich ständig.

Hier hat der Kollege Niehr tatsächlich einen Punkt. Unsere Sprache war lange männerorientiert. Denken Sie an den Begriff der Brüderlichkeit. Oder den Fachmann. Den Jedermann. Hier handelt es sich um Wörter, die ausdrücken, dass nur Männer wichtig sind.

Was soll man statt «Jedermann» sagen? «Jedermensch»?

Ich bin kein Dichter. Das müssten die Fachleute beantworten. Aber ich hätte grundsätzlich nichts dagegen, wenn das Wort «Jedermann» durch ein anderes ersetzt würde – ein Wort, bei dem klar ist, dass Frauen mitgemeint sind.

Österreich hat 2012 seine Hymne geändert. Statt «Heimat bist du grosser Söhne» und «Vaterland» heisst es jetzt: «Heimat grosser Töchter, Söhne» und «Heimatland».

Damit habe ich kein Problem. Eine Hymne ist eine Deklaration, in der eine Nation ausdrückt, was sie für richtig und schön hält. Also die Nation von heute. Ein Riesenproblem habe ich, wenn ein Gedicht von Matthias Claudius umgeschrieben wird. Nachträgliche Änderungen an literarischen Texten sind Attentate auf die Kunst.

Glauben Sie, dass Sie und Ihre Mitstreiter sich durchsetzen können?

Ich glaube, dass unser Aufruf einen gewissen präventiven Effekt haben kann. Je mehr Politiker erkennen, dass die Genderei Wählerstimmen kostet, desto besser.

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