MESOPOTAMIA NEWS HINTERGRUND ” Deutscher Dschihadist Lemke : Im Geheimdienst des IS

Von Alexander Haneke – 05.02.2019- FAZ – Kurdische Milizen haben einen ranghohen deutschen IS-Mann festgenommen. Martin Lemke soll als Geheimdienstmitarbeiter beim „Islamischen Staat“ gewesen sein. Die deutsche Justiz muss sich aber gedulden.

Die Nachricht dürfte für einige interessierte Reaktionen in den deutschen Sicherheitsbehörden gesorgt haben. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten Ende vergangener Woche von der syrisch-irakischen Grenze, der deutsche Dschihadist Martin Lemke sei von der kurdisch geführten Miliz Syrische Demokratische Kräfte (SDF) festgenommen worden. Bestätigt hatten das zwei der Ehefrauen Lemkes, die mit ihrem Mann in das Dorf Baghus an der irakischen Grenze geflohen waren, wo sie sich den kurdischen Kämpfern ergeben hatten.Eine der beiden, die 19 Jahre alte Leonora M. aus Sangerhausen, erwies sich gegenüber den Reportern als durchaus redselig,

während sie in schwarzem Schleier, aber mit freiem Gesicht und Baby auf dem Arm vor einem Geländewagen wartete und erzählte, dass sie mit 15 Jahren aus der sachsen-anhaltischen Provinz ins Herrschaftsgebiet des „Islamischen Staats“ (IS) gereist war. Die Frauen waren mit den Kindern in dem Überprüfungszentrum der SDF von Lemke getrennt worden, der nun offenbar in einem Gefängnis der Miliz sitzt.

Heimatländer sind bei Auslieferung zurückhaltend

Allein seit Anfang Dezember sind nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte 36.000 Menschen aus den letzten vom IS gehaltenen Gebieten geflohen, darunter 3200 Kämpfer. Hunderte Dschihadisten aus westlichen Ländern, die einst in der Hochphase des IS nach Ausrufung des „Kalifats“ im Sommer 2014 in die Bürgerkriegsgebiete gezogen waren, sollen inzwischen von kurdischen und irakischen Truppen festgesetzt worden sein, viele davon mit Frauen und Kindern.

Die Kurden sind grundsätzlich bereit, die Kämpfer in ihre europäischen Heimatländer auszuliefern, doch dort ist man in vielen Fällen zurückhaltend. Im Westen ist die Lust offenbar nicht allzu groß, radikalisierte und teils traumatisierte Islamisten zurück ins Land zu lassen, gerade wenn die Beweise für eine Haftstrafe in der Heimat nicht immer ausreichen. Im Auswärtigen Amt in Berlin heißt es dazu nur, man habe Kenntnis von Fällen deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nordsyrien in Gewahrsam befinden sollen, doch sei eine konsularische Betreuung derzeit faktisch nicht möglich. Für einen Auslieferungsantrag, an wen auch immer der im Fall der kurdischen Milizen gestellt werden müsste, sei das Bundesjustizministerium zuständig.

Vor allem mit den Dschihadistinnen hat man auch in Deutschland noch keinen rechten Umgang gefunden. Einer eher experimentellen Gesetzesauslegung des Generalbundesanwalts, der auch die Tätigkeit der Gattinnen von IS-Kämpfern als strafbare Unterstützung der Terrororganisation werten wollte, folgte der Bundesgerichtshof im vergangenen Jahr nicht. Den Kämpfern Kinder zu schenken, ihnen den Haushalt zu machen und so den „Islamischen Staat“ zu unterstützen reichte den Richtern allein nicht für eine Strafe. Anders wäre das allerdings, wenn weitere Tätigkeiten hinzukommen.

Im Fall von Martin Lemke dürfte die Beweislage klar genug sein. Ob die Berichte über dessen Gefangennahme zuträfen, will man beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe noch nicht kommentieren. Doch seien die Ermittler vorbereitet, falls Lemke tatsächlich zurück nach Deutschland käme. Anders als seine beiden Frauen den AFP-Reportern berichteten, war Lemke nämlich im „Islamischen Staat“ keineswegs nur als Techniker tätig. Die deutschen Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass der junge Mann aus Sachsen-Anhalt einer der ranghöchsten Deutschen in der Hierarchie des IS war und – zumindest zwischenzeitlich – eine wichtige Position innerhalb des Geheimdienstes des selbsternannten „Kalifats“ innehatte.

Lemke, von dem nur wenige Bilder im Internet kursieren, kam 1990 in Zeitz im alten Braunkohlerevier im Süden Sachsen-Anhalts zur Welt. Nach der Schule machte er eine Ausbildung zum Schweißer. Bekannte aus früheren Tagen berichteten der „Zeit“ vor einer Weile, Lemke sei ein nicht sonderlich begabter, unsicherer Typ gewesen. Die Bilder zeigen einen dünnen, etwas blassen jungen Mann, der sich später einen dürren Bart wachsen ließ. Mal habe er sich eine Bomberjacke wie die Rechtsextremen übergezogen, dann habe er in einer Art Gang mit armenisch- und arabischstämmigen Jugendlichen rumgehangen. Irgendwann kam Lemke mit dem Islam in Berührung. Er beschäftigte sich schnell intensiv mit der Religion und geriet über das Internet unter den Einfluss islamistischer Prediger. 2012 verteilte er nach Erkenntnissen der Ermittler für das salafistische „Lies!“-Projekt Ausgaben des Korans vor einem Asylbewerberwohnheim in Zeitz. Nach einem kurzen Aufenthalt in Leipzig ging er schließlich im Sommer 2014 nach Hildesheim, wo er sich im Umfeld des radikalen Predigers Ahmad Abdulaziz Abdullah A., in der Szene bekannt als Abu Walaa, auf die Ausreise zum IS vorbereitete.

Der gebürtige Iraker Abu Walaa betrieb damals in einer alten Schlecker-Filiale in Hildesheim eine private Moschee. Nach Überzeugung der Ermittler war er die zentrale Figur bei der Rekrutierung junger Dschihadisten in Deutschland und soll selbst enge Kontakte in die Führungsebenen des IS haben. Seit anderthalb Jahren schon wird ihm vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gemacht. Dass Abu Walaa offenbar viel von Lemke hielt, zeigt sich aus Ermittlungsunterlagen, die dieser Zeitung vorliegen. Er habe ihn ideologisch für besonders gefestigt und kampfbereit gehalten, so dass er ihm eine Führungsposition innerhalb der Organisation des IS verschaffen wollte, heißt es dort. Abu Walaa organisierte für Lemke, dessen erste Frau und den gemeinsamen kleinen Sohn die Ausreise in die Kampfgebiete. Seine Fürsprache ebnete dem jungen Mann offenbar den Weg in den „Amniya“ genannten Sicherheitsapparat des IS, wo er als Geheimdienstmitarbeiter vor allem für die Überwachung der aus Deutschland stammenden jungen Dschihadisten zuständig gewesen sein soll.

Mit Walkie-Talkie und Pistole

Mit Abu Walaa in Hildesheim stand „Abu Yassir al Almani“, wie er sich von nun an nannte, weiter in engem Kontakt, davon gehen die Ermittler aus. Wie eng und für beide Seiten nützlich dieser Austausch war, illustriert eine Begebenheit, die ein wohl geläuterter Dschihadist im Prozess gegen Abu Walaa aussagte. Anil O., der sich damals nach wenigen Monaten in Syrien vom IS abgewandt hatte und sich nach einer Flucht in einem IS-Gefängnis wiederfand, berichtete den Ermittlern, wie Lemke ihn im IS-Kerker aufgesucht habe, mit Walkie-Talkie und einer Pistole ausgestattet, wie es für den IS-Geheimdienst typisch ist. Er habe sich als für Deutschland zuständiger Geheimdienstmitarbeiter vorgestellt und zugesichert, bei Abu Walaa Informationen einzuholen, sagte O. gegenüber den Ermittlern. Dessen Glück war es offenbar, dass er wie Lemke aus dem Hildesheimer Kreis stammte. Noch am selben Tag sei die Folter gegen ihn eingestellt worden, berichtete Anil O. Martin Lemke habe ihm auch erzählt, dass er sich regelmäßig mit dem Geheimdienstchef des IS, al Adnani, treffe. 

Sowenig diese Angaben einzelner Zeugen überprüfbar sind, decken sie sich doch mit den Geschichten, die offenbar unter Dschihadisten über Lemke erzählt werden. So soll er sich damit gebrüstet haben, dass er Köpfe abgeschlagen habe. Andere Aussagen legen ihm zur Last, im Stadion der damaligen IS-„Hauptstadt“ Raqqa mehrere Menschen zu Tode gequält zu haben. Was davon die Geschichten junger Maulhelden sind und was Lemke wirklich nachgewiesen werden kann, wird sich freilich erst zeigen, wenn die deutsche Justiz sich mit ihm befassen kann.

Seine Drittfrau, Leonora, gab sich den Reportern gegenüber jedenfalls reuig. Sie war mit nur 15 Jahren nach Syrien aufgebrochen. Lemke, den sie aus der Szene schon kannte, hatte sie dort als weitere Ehefrau angenommen, von der ersten trennte er sich offenbar bald. Sie habe mehrfach versucht, zu fliehen, und wolle zurück nach Deutschland zu ihrer Familie, gab sie nun an. Aus den Ermittlungsunterlagen im Fall Abu Walaa ergibt sich jedoch ein weniger harmloses Bild der jungen Drittfrau. Dort finden sich mehrere Hinweise darauf, dass Leonora selbst für den Geheimdienst des IS aktiv war und an Befragungen der deutschen Dschihadisten und ihrer Familien diskret mitwirkte.

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