MESOPOTAMIA NEWS : EUROPE ERECTED AGAIN AS DISNEYLAND – TURKS & CHINESE REBUILD GERMANY’S NEUSCHWANSTEIN CASTLE

NEUBAUGEBIET IN DER TÜRKEI : Über Schloss und Riegel

VON NIKLAS MAAK – FAZ 26 FEBR 2019 – Siebenhundert identische Märchenschlösser stehen in einem türkischen Tal: die Siedlung Burj al-Babas in diesem Winter. Wer sich über die Villen lustig macht, die sich in Burj al-Babas wie ein Lavastrom aus Türmchen und Erkerchen in ein türkisches Tal ergießen, sollte nur einen Blick in hiesige Neubaugebiete werfen.

In diesem Tal sieht es aus, wie es klingt, wenn eine Platte einen Sprung hat: 732 identische Villen im Neogotik-Spätrenaissance-Kompositstil walzen sich durch ein Gebirgstal in der türkischen Provinz Bolu, 175 Millionen Euro hat das Bauunternehmen hier investiert, um eine Retortenstadt zu bauen, in der es nur einen relativ exzentrischen Häusertyp gibt, eine Art Mini-Renaissanceschloss. Alle zusammen sehen aus, als wollten sie den Beweis antreten dafür, dass die Regel „Nicht jeder kann König sein“ ab sofort nicht mehr gilt. Das hier ist Neuschwanstein für alle, es sieht aus, als habe jemand beim Märchenschlossschnellbauwettbewerb den Abschaltknopf seines 3D-Druckers nicht mehr gefunden. Das Unternehmen, das hier baut, ist in Schwierigkeiten geraten und musste Gläubigerschutz beantragen. Der Immobilienmarkt in der Türkei erlebt gerade eine Krise, noch ist die Siedlung eine Geisterstadt. Immerhin sind aber 351 Villen zu Preisen zwischen vier- und fünfhunderttausend Euro verkauft worden.

In einem Jahr, in dem das Bauhaus seinen hundertsten Geburtstag feiert, sieht so ein Lavastrom aus Türmchen und Erkerchen, der sich gen Westen ergießt, auch ein wenig aus wie eine Bebilderung von Freuds Theorie des verdrängten Eigenen, das als erschreckendes Fremdes zurückkommt, wie eine rachsüchtige Armee all der von den Ideologen des Reinen, Klaren, Reduzierten, klinisch Weißen verbannten Bauteile, die hier wie die siebenhundert Zwerge aus einem Horrormärchen mit ihren grüngrauen Mützen auf die Flachdächer des Westens zumarschiert. Die Sarot-Siedlung ist alles, was das Bauhaus nicht wollte – industriell massengefertigte Schnörkel und Deko-Elemente, die vorgaukeln, dass hier Steinmetze am Werk waren, Kitsch, Dysfunktionalität, bürgerliche Renommierträume … Entsprechend hämisch fielen die ersten Kommentare aus: Vom hohen, mit „Wallpaper“-Heften und skandinavischen Mid-Century-Möbeln bestens gefütterten Betonross westlicher Geschmackssicherheit herab machten sich die ersten Kommentatoren ausgiebigst lustig über die Nöte der doofen Sarot Group, die mit ihrem „Disney-Horror“ und „Zuckerbäckerkitsch“ ordentlich auf die Nase gefallen sei.

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