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Der globale Schuldenboom verdeckt eine große Gefahr

Stand: 17:20 Uhr | Lesedauer: 3 Minuten 8 Sept 2019 Von Holger Zschäpitz  – 

Willkommen in der Welt der Negativzinsen

Das versteht keiner mehr: Sämtliche deutsche Staatsanleihen rentieren derzeit im Minus. Selbst für 30-jährige Bundesanleihen zahlen Anleger drauf. Die rekordniedrigen Zinsen verführen Unternehmen weltweit dazu, neue Schulden aufzunehmen. Fast hat es den Eindruck, als gäbe es Geld geschenkt. Doch die Strategie ist höchst riskant, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt.

Es sind Bedingungen, denen kann selbst das reichste Unternehmen der Welt nicht widerstehen. Apple hat in dieser Woche eigene Anleihen im Wert von sieben Milliarden Dollar verkauft. Da spielt es keine Rolle, dass der Handyhersteller aus Cupertino mehr als 200 Milliarden Dollar auf der hohen Kante hat. Die Zinsen waren einfach zu günstig, um sich diese Chance entgehen zu lassen.

Apple muss für seine 30-jährigen Schuldtitel weniger als drei Prozent zahlen.

Auch der Medienkonzern Walt Disney, der Getränkemulti Coca-Cola, der Baumaschinenhersteller Deere und der Industrieriese 3M folgten den Verlockungen der Finanzmärkte und verkauften neue Anleihen. Binnen 30 Stunden haben US-Unternehmen in insgesamt 49 Bond-Emissionen Schulden in Höhe von 74 Milliarden Dollar verkauft. Ein neuer Rekord, wie die Finanzagentur Bloomberg berechnet hat.

Und das ist längst nicht nur ein amerikanisches Phänomen. Weltweit machen Firmen neue Schulden, da es noch nie so günstig war wie jetzt. In Europa wurde bei den Emissionen in dieser Woche die Marke von einer Billion Euro überschritten, zwei Wochen früher als im Rekordjahr 2017. Unter den Bond-Emittenten finden sich auch deutsche Konzerne wie Continental, Lufthansa, ThyssenKrupp, Deutsche Telekom, Hochtief oder E.on. Fast hat es den Eindruck, als gäbe es Geld geschenkt.

Und tatsächlich konnte Continental den Zeichnern der 500 Millionen Euro schweren Anleihe, die bis 2023 läuft, einen Kupon von null Prozent anbieten. Der Autozulieferer bekam das Geld damit quasi umsonst. Die Anleger störte auch nicht, dass Conti mit einem Rating von BBB+ nur drei Stufen über Schrottqualität notiert. In Zeiten von Minuszinsen scheint der Anlagedruck der Investoren so groß, dass Conti mit einer Null davonkommt.

Ein Viertel aller Anleihen weist negative Renditen auf. Auch viele Unternehmen bekommen inzwischen fürs Schuldenmachen Geld. „Sehr einfache Finanzierungsbedingungen locken die Kreditnehmer an den Markt“, sagt Viktor Hjort, Leiter Kreditstrategie bei BNP Paribas. In Europa müssen die Firmen rund ein Prozent Zinsen zahlen, in Übersee sind die Sätze auf das Rekordtief von 2,87 Prozent gefallen. Vor zehn Jahren waren Kredite für die Konzerne noch dreimal so teuer.

Grund für den Schuldenboom ist die Hausse an den Anleihemärkten. In den vergangenen Wochen waren vor allem die Renditen für Staatsanleihen kräftig gefallen. In Deutschland rentieren sämtliche Bundesanleihen mit negativen Zinsen. Davon profitieren die Firmen sogar überdurchschnittlich. Viele Investoren schichten auf der Jagd nach positiven Zinsen ihr Geld von Staatsanleihen in Schuldtitel von Unternehmen, sogenannte Corporate Bonds, um. Anzeige

Wer damit rechnet, dass aus dem Schuldenboom ein neuer Konjunkturboom erwachsen könnte, dürfte enttäuscht werden. Denn die meisten Firmen nutzen das Geld nicht dafür, neue Investitionen anzustoßen. Vielmehr wird das Geld verwendet, um teurere Altanleihen abzulösen oder aber das Geld für Aktienrückkäufe zu nutzen.

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Für Apple ist die Kreditaufnahme nicht zuletzt deshalb rentabel, weil die Gewinnrendite bei rund 5,6 Prozent liegt. Wenn der Handyriese also eigene Aktien mit dem Geld aus den Anleihen zurückkauft, für die er weniger als drei Prozent zahlen muss, treibt das automatisch die Gewinne, ohne dass ein iPhone mehr verkauft werden muss. Bilanzoptimierung, Financial Engineering, heißt das im Jargon.

Doch die Strategie ist nicht ohne Risiko. Der Verkauf von Schulden führt dazu, dass die Unternehmen in Zukunft mit einem größeren Hebel operieren. Jede Konjunktur- und Gewinnschwankung fällt damit kräftiger aus. Und auch wenn es das Geld ohne Zins quasi zum Nulltarif gibt: Die Schulden müssen eines Tages zurückgezahlt oder durch den Verkauf neuer Anleihen refinanziert werden. Und die Bedingungen der Märkte können sich schnell verdüstern, wie die Finanzkrise 2009 gezeigt hat. Damals mussten selbst Weltkonzerne wie Daimler plötzlich acht Prozent Zinsen zahlen.