MESOPOTAMIA NEWS „DIE KATASTROPHE VON PRO ASYL“ : AM ENDE DIE GROSSE DEPRIVATION ALLER BETEILIGTEN
– „Wir vermessen Kinder in alle möglichen Richtungen. Aber erziehen und unterrichten wollen sie offenbar immer weniger Personen“
Einschulungsuntersuchungen Schwere Defizite bei Berlins künftigen Erstklässlern
Rund ein Drittel der Fünfjährigen hat vielfältige Störungen – auch dann, wenn sie eine Kita besucht haben. Senatorin Kolat verweist auf soziale Lage. – SUSANNE VIETH-ENTUS
Viele Kinder haben Schwierigkeiten, wenn sie eingeschult werden.Berlins Erstklässler kommen mit schwerwiegenden Defiziten in die Schule – und zwar sogar dann, wenn sie über zwei Jahre lang eine Kita besucht haben. Dies belegen die Einschulungsuntersuchungen für 31.000 Erstklässler zum Schuljahr 2017, deren Ergebnisse jetzt von der Senatsverwaltung für Gesundheit veröffentlicht wurden. Insgesamt werden bei fast 30 Prozent aller Erstklässler motorische und feinmotorische Störungen festgestellt, ein Viertel hat kaum eine Mengenvorstellung. Der Schulstart ist somit massiv erschwert. Am stärksten von den Defiziten betroffen sind arabischstämmige Kinder.
Dies betrifft besonders den Bereich der Visuomotorik, also die Auge-Hand-Koordination, die es etwa ermöglicht, etwas akkurat auszuschneiden oder Strichzeichnungen nach einer Vorlage zu vervollständigen: “Grenzwertige” oder “auffällige” Befunde gab es bei über 30 Prozent der Erstklässler. Dahinter verbergen sich folgende auf die Herkunft bezogene Zahlen: Bei den 16.400 deutschstämmigen und osteuropäischen Kinder besteht die Problemgruppe aus rund einem Drittel, bei den 2600 arabischstämmigen aus über 50 Prozent und bei den den 2400 türkischstämmigen aus 37,5 Prozent.
Auch die Ausprägung der visuellen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung ist hoch bedeutsam für den Schulerfolg: Wenn ein Kind bei den entsprechenden Übungen gut zurecht kommt, bedeutet das etwa, dass es Schlussfolgerungen aus einem Bild ziehen oder etwa Ähnlichkeiten und Unterschiede feststellen kann. Dies war im Schnitt bei 35 Prozent der Erstklässler nicht der Fall. Die Zahlen nach Herkunft ergeben folgenden Befund: “Grenzwertige” oder “auffällige” Resultate hatte ein Drittel der deutschstämmigen und osteuropäischen Kinder, fast 50 Prozent der Erstklässler arabischer Herkunft und 40 Prozent türkischer Herkunft.
Die Ursachen für spätere Probleme
Bei der Körperkoordination oder auch Grobmotorik sollen die Kinder seitlich hin- und herzuspringen. “Gewertet wird die Anzahl der Sprünge, die das Kind in 10 Sekunden schafft”, heißt es in den Erläuterungen der Gesundheitsverwaltung. Bei dieser Übung macht die Herkunft einen weniger großen Unterschiede als bei den anderen Übungen: Im Schnitt erfüllen 30 Prozent der Kinder die altersgemäßen Erwartungen nicht. Dies wiederum wirkt sich negativ auf die Feinmotorik aus, die fürs spätere Schreibenlernen so wichtig ist.
Die insgesamt besonders schwachen Ergebnisse unter den 2600 arabischstämmigen Vorschülern mit der Flüchtlingsbewegung von 2015 zu begründen, als viele traumatisierte Kinder sowie Analphabeten nach Deutschland kamen, greift zu kurz. Vergleicht man die Einschulungsergebnisse von 2007 oder 2014 mit denen von 2017, ergeben sich nämlich ähnliche Befunde: 2007 listet die Senatsstatistik nur 1000 arabischstämmigen Kinder auf, aber die Defizite bei der alles entscheidenden Visuomotorik lagen ebenfalls bei fast 50 Prozent. Ähnliches ergibt der Vergleich der Zahlen zur visuellen Wahrnehmung und Informationsverarbeitung und auch der Vergleich der mathematischen Grundfähigkeiten, dem so genannten “Mengenvorwissen”.
Es geht um die Grundlagen fürs Rechnen
Wer addieren oder subtrahieren will, braucht eine Vorstellung von Mengenverhältnissen. Normalerweise müssten die schon in den ersten Lebensjahren gebildet werden – etwa wenn Kinder untereinander Süßigkeiten aufteilen, mit Muscheln oder Murmeln spielen. Zum Bildungsprogramm der Kitas gehört mathematisches Grundlagenwissen, aber es kommt offenbar noch nicht in ausreichendem Maße an, weshalb Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) in ihr neues Qualitätspaket, das sich an Hamburg orientiert, die Vertiefung der entsprechenden Kitaförderung aufgenommen hat: Die Grundschulen klagen darüber, dass zu wenig mathematische Grundlagen bereits in der Kita gelegt werden, die Oberschulen verweisen auf die Grundschule, am Ende scheitern die Zehntklässler.
In Zahlen ausgedrückt: “Grenzwertige” oder “auffällige” Befunde zeigt ein Fünftel der deutschstämmigen Kinder und der Kinder aus westlichen Industriestaaten, ein Drittel der Kinder aus Osteuropa, 36 Prozent der türkischstämmigen und über 40 Prozent der arabischstämmigen Fünfjährigen.
Die Sache mit dem Kitabesuch
Aus der Tatsache, dass bei diesen Kindern die Förderung in der Kita kaum durchschlägt, schlussfolgert Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD), „dass der Einfluss des Kitabesuchs schwächer als der der sozialen Lage der Familie ist“. Woraufhin die Vorsitzende des Schulausschusses des Abgeordnetenhauses, Emine Demirbüken-Wegner (CDU), am Mittwoch fragte, „was falsch läuft in unserem Frühförderungssystem?“ .
Zum vollständigen Bild gehört allerdings, dass sich der Kitabesuch sehr wohl auswirkt – allerdings erst dann merklich, wenn der Kitabesuch länger als zwei Jahre dauerte: In diesem Fall sinkt der Anteil der Kinder mit “grenzwertigen” oder “auffälligen” Befunden beim Mengenvorwissen von 50 Prozent (ohne Kitabesuch) auf 23 Prozent.