MESOPOTAMIA NEWS : DIE HISTORIE EINER FAMILIE VON MASSENMÖRDERN & FOLTERERN  – DIE ASSADS VON SYRIEN

13 Nov 2020 NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – Vor 50 Jahren putschte sich Hafez al-Asad in Syrien an die Macht

Das ist passiert: Am 13. November 1970 liess der damals 40-jährige Vater des heutigen Machthabers Bashar in einem unblutigen Coup seine Gegenspieler verhaften. Es war ein steiniger Weg vom Studentenführer zum Diktator gewesen, aber Geduld und Pragmatismus zeichneten den Begründer der «schiitischen Achse» aus. Die Allmacht Asads und seines von Alawiten kontrollierten Sicherheitsapparates brachte Syrien während Jahrzehnten eine zuvor unvorstellbare politische Stabilität.

Darum ist es wichtig: Im Gegensatz zu seinem Vater fiel Bashar die Macht in den Schoss. Er verspielte das Erbe, wie es die Söhne reicher Eltern häufig tun, indem er die Wirtschaft unter seiner Familie konzentrierte. Zudem gelang es ihm nicht, das politische Netzwerk des Vaters zu bewahren, das alle Religionsgruppen und alle wichtigen Geschäftsmänner umfasste. Die Folge war der Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011

 

Der Aufstieg der Asads

Vor 50 Jahren putschte sich Hafez al-Asad in Syrien an die Macht. Für den Vater des heutigen Machthabers Bashar war es ein steiniger Weg vom Studentenführer zum Diktator. Geduld und Pragmatismus zeichneten den Begründer der «schiitischen Achse» aus.

Christian Weisflog, Beirut13.11.2020, 05.30 Uhr

Als Hafez al-Asad 1930 in einem armen Bergdorf zur Welt kam, existierte Syrien, wie er es später regieren sollte, nicht. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs war das Osmanische Reich untergegangen, und Paris und London teilten den Nahen Osten unter sich auf. Der arabische Kulturraum entlang der östlichen Mittelmeerküste wurde zerstückelt. Im Süden entstand das britische Palästina, aus dem später Israel und Jordanien hervorgingen. Nördlich davon spaltete Frankreich den Rest des osmanischen Syrien entlang religiöser Grenzen auf: Libanon für die Christen, die Küstengebiete um Latakia für die Alawiten und die Berge südlich von Damaskus für die Drusen. Einen grossen Teil der früheren Provinz Aleppo schlug Paris der Türkei zu. Übrig blieb ein Rumpfsyrien.

 

Syriens Präsident Hafez al-Asad 1977 beim Gebet in der Umayyaden-Moschee in Damaskus.

David Hume Kennerly / Hulton / Getty

Frankreich bringt Bildung in Asads Dorf

Asad wird seinen westlichen Gästen später vorwurfsvolle Vorträge über die Verstümmelung Grosssyriens halten. Bereits mit 16 Jahren trat er der eben gegründeten Baath-Partei (Wiedergeburt) bei, welche die arabische Nation einen und erneuern wollte. Ihre Ideologen suchten Antworten auf existenzielle Fragen: Welche Grenzen sollte die Heimat haben? Wie können die Araber ihre rechtmässige Stellung in der Welt behaupten? Und wie lässt sich die alte Elite stürzen?

Die Macht in Syrien gehörte damals der sunnitischen Bourgeoisie in den Grossstädten, welche die Angehörigen der religiösen Minderheiten als «unvollständige Araber» geringschätzte. Die Gründer der Baath-Partei indes waren Absolventen der Pariser Eliteuniversität Sorbonne. Sie brachten subversive Ideen wie Säkularismus und Sozialismus mit in den Nahen Osten. Und diese fielen besonders bei den Minderheiten – den Alawiten, Drusen, Ismailiten und Christen – auf fruchtbaren Boden.

Kartengrundlage: © Openstreetmap, © Maptiler

NZZ / ws.

Auch wenn Asad gerne den westlichen Imperialismus geisselte, profitierten er und andere Alawiten indirekt von der französischen Kolonialzeit. Um das mehrheitlich sunnitische Syrien zu kontrollieren und Revolten zu unterdrücken, hatte Paris bevorzugt Alawiten und Angehörige anderer «verlässlicher» Minderheiten in seine «Spezialtruppen der Levante» rekrutiert. «Der Dienst mit den Franzosen etablierte eine alawitische Militärtradition, die entscheidend ist für den späteren Aufstieg der Glaubensgemeinschaft», schreibt der Historiker Patrick Seale in seiner Asad-Biografie.

Die Franzosen brachten aber vor allem auch Bildung in die abgelegenen Dörfer der mehrheitlich alawitischen Küstengebiete. Unter den Osmanen war dies undenkbar. Sie sahen in den Alawiten, deren Glaube entfernt mit dem schiitischen Islam verwandt ist, gottlose Ketzer. Nun aber konnte Asad als eines der ersten Kinder in seinem Dorf eine Primarschule und später ein Gymnasium in Latakia besuchen, wo er zu den Klassenbesten gehörte.

Der körperlich robust gebaute Asad war aber nicht nur ein guter Schüler. Er bewies als junger Parteiaktivist schnell seine Führungsqualitäten auf der Strasse und wurde mit 21 Jahren zum Präsidenten der syrischen Studentenunion gewählt. Er und seine Mitstreiter verteilten Flugblätter, schrieben Slogans an Hauswände, lieferten sich Scharmützel mit der Polizei und rivalisierenden Parteigängern, wie den islamistischen Muslimbrüdern. «Die Brüder hatten sich Asad ausgesucht und versuchten ihn mehrmals zu verprügeln», schreibt Seale. Einmal hätten sie ihn alleine erwischt und ein Messer in den Rücken gestochen.

 

Die Köpfe der Asad-Dynastie: Der frühere Präsident Hafez al-Asad, sein jüngerer Sohn und Nachfolger Bashar sowie sein verstorbener älterer Bruder Basil.

Hassan Ammar / AP

Geheimes Militärkomitee ebnet den Weg zur Macht

Asad wollte eigentlich Medizin studieren, doch dafür fehlte seinen Eltern, angesehenen Bauern im Dorf Kurdaha, das Geld. Asad trat daher in die Militärakademie ein, um Kampfpilot zu werden. Da auch viele andere junge Männer aus unterprivilegierten Schichten und Minderheiten diesen Weg gingen, wurde die Armee zur Brutstätte für Revolutionäre, die gegen die herrschende Klasse der sunnitischen Unternehmerfamilien und Grossgrundbesitzer aufbegehrten. Von der Unabhängigkeit bis zur Machtübernahme durch Hafez al-Asad 1970 erlebte Syrien sechzehn Militärcoups, von denen neun erfolgreich verliefen.

Der Aufstieg der Alawiten begann 1963 mit einem von Baath-Offizieren angeführten Putsch, an dem auch Asad beteiligt war. Drei Jahre zuvor hatte der junge Luftwaffenoffizier mit vier Kameraden ohne das Wissen der Baath-Führung ein geheimes Militärkomitee gegründet. Drei von ihnen waren Alawiten, zwei Ismailiten, eine ebenfalls mit den Schiiten verwandte Glaubensrichtung. Auf dem Weg an die Macht schalteten sie zunächst alle ihre Gegner und dann sich gegenseitig aus.

Asads Vorbild war der ägyptische Staatschef Gamal Abdel Nasser. Dieser stürzte 1952 mit seinen Freien Offizieren die Monarchie, ging auf Konfrontation zu den westlichen Grossmächten und näherte sich der Sowjetunion an. Vor allem die Verstaatlichung des Suez-Kanals 1956 gegen britische und französische Interessen machte Nasser in der ganzen arabischen Welt zum Helden. Die Hoffnungen in Nasser waren so gross, dass Syrien zwei Jahre später eine Union mit Ägypten einging.

Die Vereinigte Arabische Republik (VAR) scheiterte jedoch nach kurzer Zeit, weil Nasser seine syrischen Partner zu Untertanen degradierte. Er dezimierte das syrische Offizierskorps, entmachtete die Parteien und leitete sozialistische Reformen ein – unter anderem verstaatlichte er die Banken. Damit brachte er in Syrien sowohl die konservativen Kräfte als auch die linken arabischen Nationalisten gegen sich auf. 1961 beendeten konservative sunnitische Offiziere aus Damaskus das Bündnis mit Ägypten. Nur zwei Jahre später stürzte Asads Militärkomitee gemeinsam mit überzeugten Nasseristen wiederum die «Sezessionisten», wobei Asad die Aufgabe zukam, den Luftwaffenstützpunkt Dumair östlich von Damaskus unter seine Kontrolle zu bringen.

Wenige Wochen vor dem Coup in Damaskus hatte der irakische Ableger der Baath im Februar 1963 bereits die Macht in Bagdad übernommen. Die Idee einer panarabischen Union zwischen Syrien, Irak und Ägypten wurde ernsthaft diskutiert, es gab sogar einen Verfassungsentwurf. Asad und seine Baath-Offiziere wünschten sich jedoch eine arabische Föderation mit Ägypten auf Augenhöhe. Weil dies für den machtbewussten Nasser nicht infrage kam, lancierte der ägyptische Präsident eine Propagandakampagne gegen die Baath. Das war das Ende der panarabischen Illusionen in Damaskus: Asads Militärkomitee säuberte die Reihen der Armee von Nasseristen und zwang ihre proägyptischen Minister zum Rücktritt.

 

Hafez al-Asad führte nach seiner Machtergreifung 1970 Syrien drei Jahrzehnte lang mit taktischem Gespür und rücksichtsloser Härte.

Imago

Die Armee wird zur Partei

Für die Baath-Offiziere schien nun klar, dass sie die Armee komplett kontrollieren müssen, um ihr Regime zu stabilisieren. Die Streitkräfte sollten nicht mehr ein Abbild der Parteienlandschaft sein, in der verschiedene Fraktionen miteinander rivalisieren, sondern ein alleiniges Instrument im Dienste einer Partei: der Baath. Im Auftrag des Militärkomitees errichtete der erst 33-jährige Luftwaffenkommandant Asad eine hierarchische Parteistruktur innerhalb der Armee und sorgte dafür, dass Schlüsselstellen mit Loyalisten besetzt werden.

Während er sich im Hintergrund geduldig um die strategische Personalpolitik kümmerte, überliess Asad die Regierungsposten anderen Mitgliedern des Militärkomitees. Der Alawit Mohammed Umran wurde stellvertretender Regierungschef, Salah Jadid – ebenfalls ein Alawit – stieg zum Generalstabschef auf. Die Rolle des Staatsführers wurde dem Sunniten Amin al-Hafiz übertragen, der bald als Syriens starker Mann galt. Asad sagte jedoch später: «Er konnte keinen Soldaten ohne unsere Erlaubnis transferieren.»

Doch kaum dass die Baath an der Macht war und ihre Rivalen eliminiert hatte, taten sich Risse zwischen der Partei und ihrem militärischem Flügel sowie innerhalb des Militärkomitees auf. Umran war nicht einverstanden mit der Brutalität, mit der Hafiz, Jadid und Asad 1964 einen bewaffneten Aufstand der vom lokalen Unternehmertum unterstützten Muslimbrüder in der Stadt Hama – einer konservativen sunnitischen Hochburg – niederschlugen. Umran wandte sich deshalb an Michel Aflak, den Gründervater und langjährigen Generalsekretär der Baath, und verriet ihm die geheimen Strukturen des Militärkomitees. Um gegen das Militärkomitee vorzugehen, verbündete sich die zivile Parteielite mit General Hafiz, der unabhängiger sein wollte.

Im Februar 1966 kam es zum Showdown zwischen der alten Baath-Garde um den Sorbonne-Abgänger Michel Aflak und dem von Jadid angeführten Militärkomitee. Schwer bewaffnete Einheiten – zu deren Kommandanten auch Asads jüngerer Bruder Rifaat gehörte – griffen die Residenz des Staatschefs Hafiz an, der sich nach langen Gefechten ergeben musste. Hafiz, Aflak und andere Wegbereiter des Baathismus gingen ins Exil. Umran wurde 1972 im libanesischen Tripolis kurz vor einer geplanten Rückkehr nach Syrien ermordet.

 

Geschwächt durch interne Machtkämpfe hatte die syrische Armee den Israelis während des Sechs-Tage-Kriegs 1967 auf den Golan-Höhen wenig entgegenzusetzen.

Hulton / Getty

 

Der Sechs-Tage-Krieg 1967 endete mit dem Sieg Israels über die verbündeten arabischen Armeen und der Besetzung der strategisch wichtigen syrischen Golanhöhen.

Terry Fincher / Hulton / Getty

Asad beendet den Klassenkampf

Asad wurde nach dem Putsch Verteidigungsminister, erlebte aber bald einige seiner dunkelsten und prägendsten Tage. Geschwächt von den endlosen inneren Machtkämpfen, hatte die syrische Armee Israel im Sechstagekrieg 1967 auf den Golan-Höhen nichts entgegenzusetzen. In der Folge mehrten sich die Spannungen mit Jadid. «Asad war zur Zusammenarbeit mit allen arabischen Staaten bereit, auch den sogenannten reaktionären Monarchien Jordanien und Saudiarabien, um eine stärkere Position gegenüber Israel zu erhalten», erklärt der Syrien-Experte Nikolaos van Dam. Für Jadid kam dies nicht infrage: «Seine Leute wollten sich auf den Aufbau einer sozialistischen Ordnung in Syrien konzentrieren.»

Während das Regime den Klassenkampf vorantrieb, reiche Familien enteignete und ihre Mitglieder vom Staatsdienst entliess, brachte Asad als Verteidigungsminister seine Leute in die entscheidenden Positionen in der Armee. Unter Jadids Einfluss enthob ein Parteikongress Asad von seinen Funktionen. Doch kurz darauf liess der damals 40-Jährige seine Gegenspieler am 13. November 1970 in einem unblutigen Coup verhaften. Jadid blieb bis zu seinem Tod 1993 in einem Gefängnis in Damaskus. «Es war das Ende jener, die glaubten, die Partei sei wichtiger als die Armee», meint van Dam im Gespräch.

Asad fühlte sich stark genug, um auf einen sunnitischen Strohmann für das höchste Staatsamt zu verzichten. 1973 liess er sich vom Volk per Plebiszit zum Präsidenten erküren. Die Allmacht Asads und seines von Alawiten kontrollierten Sicherheitsapparates brachte Syrien während Jahrzehnten eine zuvor unvorstellbare politische Stabilität. Dazu trug auch bei, dass er sich mit der urbanen sunnitischen Mittel- und Oberschicht versöhnte, indem er eine liberalere Wirtschaftspolitik verfolgte. «Asad war pragmatischer als alle anderen Baath-Führer, kein Marxist oder Leninist», sagt der syrische Publizist und Aktivist Ayman Abdel Nur. «Er verstand die Vielschichtigkeit der Gesellschaft und gab jeder Gruppe etwas, was sie sich wünschte.»

Als flexibel erwies sich Asad auch in der Aussenpolitik. Mit sowjetischer Waffenhilfe baute er eine Armee von 400 000 Mann auf, ohne sich der kommunistischen Doktrin und Moskaus Befehl zu unterwerfen. Obwohl er sich als arabischer Nationalist und als Reinkarnation des mittlerweile verstorbenen Nasser verstand, ging Asad nach der islamischen Revolution 1979 in Iran eine Allianz mit dem antiisraelischen Mullahregime und später mit der schiitischen Hizbullah-Miliz in Libanon ein. Als die Sowjetunion unterging, näherte sich Asad dem Westen an und beteiligte sich im Golfkrieg 1990 an der Koalition gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein.

Der Tod von Hafez al-Asad im Jahr 2000 bedeutete einen Einschnitt für Syrien, aber nicht das Ende der Herrschaft der Asad-Familie im Land.

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Nachdem sein älterer Bruder Basil bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, übernahm der in Grossbritannien ausgebildete Augenarzt Bashar al-Asad die Macht.

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Sohn Bashar verspielt das Erbe

Als Hafez al-Asad im Jahr 2000 starb, übernahm sein jüngerer Sohn Bashar. Die von Hafez aufgebaute «schiitische Achse» von Iran bis Libanon erwies sich nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs 2011 für das alawitische Regime als überlebenswichtig. Hätte Asad Senior noch gelebt, wäre es womöglich aber gar nicht erst zum Krieg gekommen, glaubt Abdel Nur. Das Netzwerk des Vaters sei viel breiter gewesen als dasjenige seines Sohns Bashar. «Es umfasste alle Religionsgruppen und alle wichtigen Geschäftsmänner, insbesondere von Damaskus und Aleppo. Jeder kriegte seinen gerechten Anteil.» Nur mit ihrer Unterstützung sei es Asad Senior 1982 gelungen, den erneuten Aufstand der Muslimbrüder in Hama niederzuschlagen. Das Gemetzel forderte bis zu 20 000 Todesopfer.

Im Gegensatz zu seinem Vater fiel Bashar die Macht in den Schoss. Der Augenarzt wurde im Jahr 2000 nur zum Nachfolger, weil sein älterer Bruder Basil – ein Fallschirmspringer und Kommandant in der Republikanischen Garde – bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Bashar habe das Erbe verspielt, wie es die Söhne reicher Eltern üblicherweise tun, meint Abdel Nur, «er wurde zu gierig.» Die ganze Wirtschaft sei unter seinem Cousin Rami Makhluf konzentriert worden. «Deshalb sind die Syrer ausgeflippt.»

Bei allen Vorzügen gelte auch für Hafez al-Asad: «Er ist ein Mörder wie sein Sohn. Aber er hatte politische Erfahrung.»

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