MESOPOTAMIA NEWS : DER HITLER ATTENTÄTER VON DER AfD  – „Stauffenberg“-Vorabdruck : Ethos der Tat

ZUM 20 JULI 2019

Während Rotfront-Kämpfer & Rückgekehrte Spanien-Kommunisten sich nicht trauten: erwogen Claus von Stauffenberg + die der bündischen Jugend nahestehenden Geschwister Scholl –

Von Thomas Karlauf  – FAZ  – 9 März 2019

Wenn es einen geistigen Urheber des Hitler-Attentats am 20. Juli 1944 gab, dann war es Stefan George. Niemand hat Claus von Stauffenberg so geprägt wie der Dichter. Ein Vorabdruck.

Was geht in einem Menschen vor, der nach monatelangen sorgfältigen Planungen eines Komplotts im Moment der Ausführung feststellt, dass denen, mit denen gemeinsam er auf diesen Tag hingearbeitet hat, die Nerven versagen? Welches Loch tut sich vor ihm auf, wenn diejenigen, ohne die er vielleicht niemals in die Rolle des Attentäters gefunden hätte, ihn im entscheidenden Augenblick von der Tat abzuhalten suchen? Wie kommt jemand aus einer solchen Situation heraus, ohne den Glauben an die gemeinsame Sache zu verlieren, woher nimmt er die Kraft, es noch einmal zu versuchen?

Entscheidend für die Standfestigkeit Stauffenbergs in den zwei Wochen zwischen dem 6. und 20. Juli war die vollkommene Übereinstimmung mit Ludwig Beck. Der Generaloberst, für den es jetzt keine Alternative zur Ermordung Hitlers mehr gab, habe „die revolutionäre Dynamik und geradezu metaphysisch gegründete Entschlossenheit Stauffenbergs“ erkannt und ihm deshalb vertraut, so der Beck-Biograph Klaus-Jürgen Müller.

Ein Dreivierteljahr zuvor hatte Beck im Gespräch mit Ulrich von Hassell erklärt, „dass er nur eine Sache unternehmen würde, bei der er vernünftiger Weise einen Erfolg erhoffen könne“. Ein solcher Erfolg schien ihm im Juli 1944 durch Stauffenberg möglich. Im November 1943 war Beck von Hassell gefragt worden, ob es „nicht schon zu spät sei, so dass es richtiger wäre, die Katastrophe ablaufen zu lassen“. Becks Antwort registrierte Hassell mit Zustimmung: „Trotz allem ist es schon aus sittlichen Gründen für die deutsche Zukunft erforderlich, wenn auch nur irgendwelche Möglichkeit und Aussicht besteht, noch vorher den Versuch zu machen.“

Der Akt der Erhebung als solcher

Dieser Aspekt des Sittlichen gewann jetzt auch für Stauffenberg zunehmend an Bedeutung: Wenn es den Deutschen gelang, sich aus eigener Kraft von Hitler zu befreien – wenn sie zumindest einen ernsthaften Versuch unternahmen –, konnten sie auf eine bessere Behandlung durch die Sieger hoffen. Gegenüber Beck soll er Anfang 1944 seine Sorge zum Ausdruck gebracht haben, „wie das deutsche Volk sich von der Schuld reinigen könne, die es durch seine Identifizierung mit einer verbrecherischen Regierung auf sich geladen hatte“.

Wenige Tage nach der Invasion hatte sich Stauffenberg bei Tresckow erkundigt, ob ein Attentat überhaupt noch sinnvoll sei. Die Antwort muss jenseits des berühmten Satzes gesucht werden, den Schlabrendorff 1945 als Albumblatt für die Überlebenden formulierte – coûte que coûte. Die Antwort ist so passgenau, dass fast auch die Frage konstruiert wirkt. Aber Stauffenberg hat sie nicht gestellt, weil ihm Zweifel an Tresckows Haltung oder an der Ausführung des Attentats gekommen wären. Das stand zwischen den beiden nicht zur Diskussion. Zu entscheiden war vielmehr, ob die Verschwörer jetzt, da es für die Deutschen nichts mehr zu verhandeln gab, Verantwortung an sich ziehen sollten – mit allen damit verbundenen Risiken, auch dem, eine neue Dolchstoßlegende zu schaffen – oder ob sie nicht doch besser das Regime seinem selbstverschuldeten Untergang überließen.

Julius Leber war bereits am 15. Mai zu der Überzeugung gelangt, „dass sich eine Totalbesetzung Deutschlands nicht mehr abwenden lässt, ganz gleich, ob vorher noch ein Regierungswechsel erfolgt oder nicht“. In der ersten Junihälfte zeichnete sich auch in Stauffenbergs Denken eine Verschiebung ab. Immer häufiger wurde er jetzt getrieben von der Vorstellung, dass es für einen Anschlag zu spät sein könnte. Es ging für ihn nicht mehr um Details des Staatsstreichs oder Grundlagen der politischen Neuordnung, sondern – als Folge des enormen Zeitdrucks, unter dem die Verschwörung jetzt stand – nur noch um den Akt der Erhebung als solchen. „Der Wille zum Handeln wurde absolut gesetzt, er war nicht mehr an militärische und politische Bedingungen geknüpft.“

Die Dichtung als revolutionäre Kraft

Gleichwohl war „der absoluteWille zur Tat nicht völlig frei von Hoffnungen, die sich an diese Tat knüpften“. Man hat im Zusammenhang mit Stauffenbergs Anschlag am 20. Juli 1944 von einem Ethos der Tat gesprochen. Das Ethos der Tat lässt sich weder mit politischen noch mit moralischen Kriterien angemessen beschreiben; es ist wertfrei und unterscheidet sich kategorial von allem, was wir unter Haltung und Gesinnung verstehen. Es kann ebenso zur Charakterisierung von Tyrannenmord wie zur Begründung von Anarchie hilfreich sein. Brutus kümmerte es nicht, ob die Welt den Mord an Caesar mit Abscheu oder Bewunderung aufnahm, er sah die Freiheit Roms in Gefahr und erfüllte seine Pflicht als Bürger. Das Ethos der Tat sucht weder Ruhm noch Ehre, sein einziger Zweck ist die Tat um ihrer selbst willen.

Um zu verstehen, bis zu welchem Grad an Abstraktion Stauffenberg im Juni 1944 vorstieß, muss man ein letztes Mal jene Gedankenwelt aufrufen, die ihn jetzt, kurz vor dem Ende, auf geradezu unheimliche Weise in ihren Bann zog. „Wenn es einen geistigen Urheber des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gegeben hat, dann war es Stefan George. Niemand sonst hat Claus Schenk Graf von Stauffenberg so geprägt, intellektuell geformt wie jener Dichter, der die Tat forderte, um das Neue Reich zu verwirklichen.“

George verstand sich von Anfang an als ein Dichter der Tat. Verschwörung und Umsturz gehörten zu den zentralen Vorstellungen seines Weltbilds, die „Tat“ wurde zu einer entscheidenden Metapher seines Dichtens. „Wer niemals am bruder den fleck für den dolchstoss bemass / Wie leicht ist sein leben und wie dünn das gedachte“. George sei, schrieb einer der frühen Weggefährten, „eine ins Künstlerische geratene, um nicht zu sagen entgleiste Täternatur“. Nicht weniger radikal als Karl Marx, der verlangte, die Philosophen dürften die Welt nicht nur interpretieren, sie müssten sie auch verändern wollen, sprach George von der Dichtung als einer revolutionären Kraft, die das Potential habe, bestehende Verhältnisse umzustoßen.

Privilegien der Auserwählten

„Alles was George sinnt und singt, ist tat und geschieht um der tat willen“, hatte Friedrich Gundolf 1910 im „Jahrbuch für die geistige Bewegung“ deklariert und damit das Selbstverständnis Georges und seiner Gruppe auf den Punkt gebracht. Diejenigen, die von Georges Dichtung erfüllt seien, sekundierte Karl Wolfskehl, lebten heute schon in der Gewissheit einer Zeitenwende. In diesem Kontext war erstmals die Rede von einem „geheimen Deutschland“, das bereitstehe, in die geschichtliche Wirklichkeit zu treten.

Im Stern des Bundes, den George in diesen Jahren als Erziehungsprogramm für seine jungen Freunde konzipierte, wurden Tat und Täter immer wieder ins Bild gesetzt: „Ihr sollt das morsche aus dem munde spein / Ihr sollt den dolch im lorbeerstrausse tragen / Gemäss in schritt und klang der nahen Wal.“ Wer den Geist dieser Dichtung verinnerlicht hatte, lebte in dem Bewusstsein, dass es zu den Privilegien der Auserwählten gehörte, die Entscheidung auch unter Einsatz des eigenen Lebens zu suchen.

Seit seinem 16. Lebensjahr war Claus von Stauffenberg in dieser Welt zu Hause. Er habe viel im Jahr der Seele gelesen, hatte er im Oktober 1924 an den Dichter geschrieben, „und je klarer das Lebendige vor mir steht, je höher das Menschliche sich offenbart und je eindringlicher die tat sich zeigt, umso dunkler wird das eigene blut, umso ferner wird der klang eigener worte und umso seltener der sinn des eigenen lebens…Meister, ich habe zu viel gelernt aus jenem gedicht: Ihr seid die gründung wie ich jetzt euch preise.“

Kerngedanken der Georgeschen Ethik

Das Gedicht, dessen erste Zeile Stauffenberg hier zitierte, um seinem Meister zu zeigen, wie weit er sich auf dem Weg in den innersten Bezirk bereits vorgearbeitet hatte, eröffnet die letzte Gedichtgruppe im „Stern des Bundes“. Es feiert die neue Gemeinschaft, die den Gesetzen von Raum und Zeit enthoben ist: „Ihr seid die Widmenden ihr tragt das reich / So ganz wie ungewusst auf andrem stern/Bald vor- bald nachher irdischer auftritt spielt.“ Was wir für Wirklichkeit halten, hat möglicherweise längst stattgefunden; dann wieder nehmen wir Geträumtes nur vorweg, indem wir es zur Wirklichkeit erklären. Weil sich die kosmischen Zusammenhänge nicht ergründen lassen, bleibt als einziger Bezugspunkt das Hier und Jetzt. Hier und jetzt habt ihr euch zu bewähren, so die in der letzten Zeile komprimierte Botschaft des Gedichts: „Und was ihr heut nicht leben könnt wird nie.“

Zwanzig Jahre später suchte Stauffenberg sich dieser Ursprünge zu vergewissern. Die Wirklichkeit wurde immer unübersichtlicher, die Parameter zur Beurteilung der politischen und militärischen Entwicklung verschoben sich jetzt fast wöchentlich. Anfang September 1943 hatten er und sein Bruder Berthold mit Hilfe von Rudolf Fahrner erstmals versucht, Kerngedanken der Georgeschen Ethik in die Konzepte für eine Nachkriegsordnung zu integrieren und so den Staatsstreich sittlich zu begründen. Zehn Monate später baten die Brüder Rudolf Fahrner noch einmal, nach Berlin zu kommen. Er sollte helfen, diverse Aufrufe, die für den Tag des Staatsstreichs vorbereitet in den Schubladen lagen, der aktuellen Lage anzupassen und auf das Wesentliche zu reduzieren. Am 29.Juni traf Fahrner in Berlin ein, wo er sechs Tage blieb und zwischen der Wohnung in Wannsee und Bertholds Koje bei Bernau hin und her pendelte.

Fahrner kam direkt aus Athen und brachte Manuskripte mit, die zur Veröffentlichung im Delfinverlag vorbereitet werden sollten: die noch von Frank Mehnert gemeinsam mit Cajo Partsch besorgte Nacherzählung „Agis und Kleomenes“, einen weiteren Gesang der Odyssee, den Fahrner und Alexander von Stauffenberg übertragen hatten, und eine umfangreiche Dichtung Alexanders, „Der Tod des Meisters“. Es war vor allem dieses Werk ihres Bruders, mit dem sich Claus und Berthold Anfang Juli intensiv beschäftigten. In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli lasen sie es zur Verabschiedung Fahrners noch einmal zu dritt.

Die Notwendigkeit, einzugreifen

Die zum zehnten Todestag Georges entstandene Dichtung, die bald nach Kriegsende im Delfinverlag erschien, beschwört in sieben hermetischen Gesängen die Empfindungen der Freunde, die sich Anfang Dezember 1933 in Minusio versammelt hatten, um den Dichter zu Grabe zu tragen. „Uns die verderben wenn dies leben endet / Die fassungslosen kommt ein fragen an: / Hob schon ein andrer kreis des lebens an?“ Geht mit George eine Epoche zu Ende oder beginnt mit ihm etwas Neues? Fahrner schenkte Claus von Stauffenberg in diesen Tagen einen goldenen Ring, auf dem in erhabenen Buchstaben die Worte umliefen: „FINIS INITIUM“. Das Ende als Anfang? Den Trauernden in Alexanders Dichtung blieb vorerst nichts als die Pflicht, das Erbe zu bewahren und weiterzutragen: „Und scheidend wussten wir: in unserem leben / Ein jeder atemzug und schmerzlich beben / Bleibt dienst an diesem grab mit geist und blut.“

Die Entwürfe zu den Aufrufen, die beim Staatsstreich verbreitet werden sollten, sind durch viele Hände gegangen. Die ersten Fassungen datierten aus dem Herbst 1943; inhaltliche Vorgaben kamen im Wesentlichen von Goerdeler, Hassell und Beck, auch die „Kreisauer“ und die Vertreter der Gewerkschaften hatten Stichworte beigesteuert. Überliefert sind ein „Aufruf an das deutsche Volk“ und eine „Regierungserklärung“, der Entwurf für eine Rundfunkansprache Goerdelers, der deutlich die Handschrift Stauffenbergs trägt, und zuletzt ein „Aufruf an die Wehrmacht“, der wohl auf gemeinsame Überlegungen Becks, Tresckows und Stauffenbergs zurückgeht.

Wie die Texte im Einzelnen zustande kamen und wer welche Anteile daran hatte, ist nicht mehr rekonstruierbar. Die Fülle der teilweise höchst disparaten Argumente, die zur Begründung des Staatsstreichs angeführt werden, lässt erahnen, wie schwer es gewesen sein muss, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Regierung Hitler habe „unter dem Deckmantel einer Neuordnung Europas die Unterwerfung fast des ganzen Erdteiles betrieben“, hieß es etwa in dem geplanten Aufruf an die Wehrmacht. „Die besiegten Völker wurden unterjocht und ausgebeutet“; besser wäre es gewesen, „Brücken zu einer dauerhaften Verständigung zu schlagen“. Die Notwendigkeit, einzugreifen, ergab sich jedoch erst aus den unvorstellbaren Opferzahlen – „Hunderttausende braver Soldaten büßten für Vermessenheit und Eitelkeit eines einzelnen“ – sowie aus der rapide fortschreitenden Zerstörung der deutschen Städte: „Niemals vorher hat sich so Furchtbares im deutschen Vaterland zugetragen.“

Ideale der Ständeordnung

Im letzten Teil wendete sich der Aufruf direkt an die Soldaten: „So darf es nicht weitergehen! …Wollt ihr, dass die Jugend uns einst dafür verdammt, weil wir den Mut zur Verantwortung, zur Rettung des Vaterlandes nicht rechtzeitig aufgebracht hätten? Vielleicht haben wir schon zu lange gezögert…Wir müssen handeln, weil – und das wirkt am schwersten – in Eurem Rücken Verbrechen begangen wurden, die den Ehrenschild des deutschen Volkes beflecken und seinen in der Welt erworbenen guten Ruf besudeln.“

Berthold und Claus von Stauffenberg hätten zahlreiche Formulierungen als Kompromisse empfunden, berichtete Fahrner nach dem Krieg. Deshalb seien sie die Entwürfe Ende Juni, Anfang Juli 1944 redaktionell mit ihm durchgegangen. Vor allem hätten sich die Brüder einen neuen eigenen Text gewünscht, der nur für sie und den innersten Kreis der Verschwörer bestimmt sein sollte. Der Text, den sie „Eid“ oder „Schwur“ nennen wollten, bestand aus drei Glaubensartikeln – „Wir glauben“, „Wir wissen“, „Wir bekennen“ – und drei Postulaten, die jeweils mit einem „Wir wollen“ anhoben. Bei der heroischen Schlussformel, die den kleinen Trupp zusammenschweißen sollte, fällt einem unwillkürlich das berühmte Gemälde von Jacques-Louis David ein, „Der Schwur der Horatier“, das zu einem Emblem der Französischen Revolution wurde: „Wir verbinden uns zu einer untrennbaren Gemeinschaft, die durch Haltung und Tun der Neuen Ordnung dient und den künftigen Führern die Kämpfer bildet, derer sie bedürfen./ Wir geloben / untadelig zu leben, / in Gehorsam zu dienen, / unverbrüchlich zu schweigen, / und füreinander einzustehen.“

Der „Eid“ ließ sich inhaltlich und sprachlich nur teilweise mit den für den Tag des Staatsstreichs geplanten Aufrufen in Übereinstimmung bringen. Obwohl die Stauffenberg-Brüder an deren Abfassung maßgeblich beteiligt gewesen waren, scheinen sie sich darin nicht wiedergefunden zu haben. Bereits am ersten Satz der „Regierungserklärung“, in dem „die Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts“ als wichtigste Aufgabe des neues Staates bezeichnet wurde, nahm Claus von Stauffenberg Anstoß. Man müsse der allgemeinen Gleichmacherei entgegentreten, lautete sein Ceterum censeo. Die Elitevorstellungen des George-Kreises und adeliges Selbstbewusstsein gingen Hand in Hand, wenn er in Diskussionen über die Nachkriegsordnung regelmäßig mahnte, „dass die überkommenen Güter nicht einfach über Bord geworfen würden und dass man die geschichtlichen Leistungen des Adels berücksichtigen solle“.

„Wir glauben an die Zukunft der Deutschen“

Entsprechend lautete die erste Forderung im „Eid“: „Wir wollen eine Neue Ordnung die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen.“ Auch die beiden folgenden Abschnitte waren an den Idealen der Ständeordnung orientiert. Ein „Volk, das in der Erde der Heimat verwurzelt“ ist und „im Wirken in den gegebenen Lebenskreisen sein Glück und sein Genüge findet“, werde, stolz auf die eigene Scholle, „die niederen Triebe des Neides und der Missgunst“ überwinden. Die Führer aber, „die aus allen Schichten des Volkes“ wachsen, sollen „durch grossen Sinn, Zucht und Opfer den anderen vorangehen“.

Mit den drei Bekenntnissen, die sie an den Anfang stellten, setzten sich die Brüder Stauffenberg noch deutlicher von den vorbereiteten Entwürfen ab. Sie dachten weit über den Friedensschluss und seine Bedingungen hinaus. Während in den meisten Konzepten der Opposition langfristig von einer europäischen Integration die Rede war, an der die Deutschen verantwortungsvoll mitarbeiten sollten, betonten die Stauffenbergs deren kulturelle Hegemonie. „Wir glauben an die Zukunft der Deutschen“ – so der erste Satz des „Eides“.

Begründet wurde dieser Anspruch mit jenen Leitbegriffen, die den Brüdern aufgrund ihrer Erziehung durch Stefan George selbstverständlich geworden waren. „Wir bekennen uns im Geist und in der Tat zu den grossen Überlieferungen unseres Volkes, das durch die Verschmelzung hellenischer und christlicher Ursprünge in germanischem Wesen das abendländische Menschentum schuf.“ Dieser besonderen Konstellation verdanke der Deutsche „die Kräfte, die ihn berufen, die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen“.

Als folgten sie anderen Gesetzen, als gälte für sie ein anderes Zeitmaß, blieben die Brüder Stauffenberg bis in die letzten Stunden hinein ihrer elitären Grundhaltung treu. Der „Eid“ war ihr politisches Testament. In sieben Artikeln legten sie nieder, worauf es ihnen ankam. Bis in die letzten handschriftlichen Korrekturen Claus von Stauffenbergs atmete der Text den Geist Stefan Georges. Auch wenn es schwerfällt, sich heute in solche Phantasiewelten hineinzudenken, führt kein Weg daran vorbei, dass hier, auf diesen anderthalb Seiten, die Antwort auf die Frage zu finden ist, woher Stauffenberg im Juli 1944 die Kraft nahm, fünf Tage nach dem Debakel in der Wolfschanze das Unmögliche noch einmal zu wagen.

Der Text ist ein Auszug aus dem am 11. März erscheinenden Buch von Thomas Karlauf: „Stauffenberg: Porträt eines Attentäters“. Karl Blessing Verlag, München 2019. 368 S., geb., 24,– €.