MESOPOTAMIA NEWS: DER ANTISEMITISMUS IN DEUTSCHLAND STEHT LINKS ! – Mai 2018 NEUKÖLLN – BERLIN / EIN SITTENGEMÄLDE

Über dem Karl Marx Platz in Neukölln weht die rote Fahne. Neben dem Urvater des Kommunismus sind Lenin und Mao auf ihr abgebildet. Wer glaubt, hier halten zur Mittagszeit gegen 13 Uhr ein paar versprengte Mit­glieder der K-Gruppen aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Veteranentreffen ab, der irrt. Junge Männer, zwischen Anfang zwanzig und dreißig, haben sich auf dem Platz ver­sammelt. Die Fahne haben sie an einem ebenso roten Pritschenwagen befestigt, den sie von einer Autovermietung gelie­hen haben. Neben Mao sind dort die klassische Kommunisten-Fahne mit Hammer und Sichel angebracht sowie die palästinensische Flagge. Eine vierte Fahne trägt die Aufschrift „Jugendwider­stand”. So heißt die linksradikale Split­tergruppe, die seit drei Jahren in Neu­kölln von sich reden macht.

Ein erster Redner, ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen, berichtet von den Arbeitern und Bauern, die heute auf der ganzen Welt auf die Straße gingen und Steine werfen würden, auf „die Bul­len” und auch auf „israelische Rollpan­zer”. Eine junge Frau im Publikum trägt eine grüne Jacke mit der Aufschrift „Boycott Israel”. Der Slogan stammt aus der Kampagne, die dazu aufruft, keine is­raelischen Waren zu kaufen und den jü­dischen Staat wirtschaftlich und poli­tisch zu isolieren. Man sei stolz, mit den Soldaten der Weltrevolution zusammen­zustehen in der antiimperialistischen Weltfront, sagt der Redner. „Wir sind die stolzen Söhne und Töchter der deut­schen Arbeiterklasse, wir sind die Erben Ernst Thälmanns, er ist unser unsterbli­cher Anführer!”, ruft er. Der Mann lobt die Kommunistische Partei der Sowjet­union und die noch immer existierende Chinas, die er „die hervorragendste kom­munistische Partei aller”Zeiten” nennt.

Der nächste Redner ist ein türkischer Genosse, er bringt das zweite Hauptthe­ma der Gruppe neben dem Kampf ge­gen den weltweiten Imperialismus zur Sprache: für Palästina und gegen Israel. „Kein Existenzrecht für faschistische Be­satzertruppen!”, ruft er. „Viva Palästi­na!”, skandieren die Umstehenden. Heu­te sei der deutsche Imperialismus der engste Partner des Erdogan-Regimes, fährt er fort, und so wie einst die deut­sche Industrie Adolf Hitler groß ge­macht habe, so stützten heute deutsche Rüstungskonzerne das Regime in der Türkei. Dann tanzen drei palästinensi­sche Männer in schwarzen Pluderhosen und zwei junge palästinensische Frauen einen Volkstanz, sie schwingen dabei eine kurze weiße Kordel durch die Luft. Es handele sich im Gegensatz zur Kul­tur der Bourgeoisie um „revolutionäre Kultur”, erklärt ein Sprecher dazu. Schwarzweiße und rotweiße Palästinen­sertücher sind auf der Kundgebung noch zahlreicher vertreten als rote Fah­nen. Die Aktivisten des „Jugendwider­stands” haben mittlerweile schwarze Schirmmützen aufgesetzt, auf denen Hammer und Sichel zu sehen sind.

Ein Kleiner, mehr ganz jugendlicher Mann mit Sonnenbrille spricht nun für die Gruppe „Free Palestine”. Die Rede handelt von der angeblich faschistischen israelischen Besatzung Palästinas. Nein, antisemitisch sei man nicht, nur antiimperialistisch und antizionistisch. Aber eine israelische Fahne würde in Neukölln niemals akzeptiert. „Was hat eine Besatzerflagge hier zu suchen?”, ruft der Mann. Vor einigen Tagen hatte ein syrischer Mann drei Demonstranten eine Israel-Fahne auf dem Neuköllner Hermannplatz entrissen.

Dann folgt revolutionäre Kultur, Teil zwei, diesmal die proletarische Variante: Rap. „Ich lebe einfach und stolz, ich gehe über Leichen fürs Volk”, reimt der maoistische Rapper, der gerade noch ein Redner war. Rapper Nummer zwei bringt einen Song, der „dem Volk dient und Soldaten für den Krieg erzieht”.
Eine Zeile lautet: „Meine Mädels werfen Steine auf Streifenwagen.”

Zum harten Kern der Gruppe „Ju­gendwiderstand” gehören nach Anga­ben der Sicherheitsbehörden etwa 20 Personen aus Neukölln. Es sind jun­ge Deutsche von Anfang zwanzig, aber auch arabisch- und türkischstämmige Jugendliche. Neben der Verherrlichung von Marx, Lenin, Stalin und Mao fallen sie durch israelfeindliche und anti­semitische Parolen auf. Die Recherche-und Informationsstelle Antisemitismus in Berlin macht die Gruppe für 14 anti­semitische Vorfälle wie Bedrohungen und Wandschmierereien in den letzten zwei Jahren verantwortlich. Die Grup­pe ist auch dafür bekannt, dass die Fäus­te bei ihr locker sitzen. In der linken Sze­ne Berlins sind sie verschrien. Denn sie schlagen auch auf Mitglieder anderer linker Gruppen ein, bevorzugt solcher, die als israelfreundlich gelten.

Um kurz nach 14 Uhr ziehen dann 120 Personen, flankiert von Polizisten, mit roten und palästinensischen Fah­nen durch die Straßen Neuköllns zum Hermannplatz. „Jugend — Zukunft — So­zialismus!”, skandieren sie und „Neu­kölln bleibt rot!”. Manche Sprüche sind martialischer, etwa: „Unser Gruß an die Bourgeoisie, neun Millimeter Schuss in die Knie.” CDU, SPD, Grüne und Linke werden in stalinistischer Manier ab­wechselnd als „Volksfeinde” tituliert. Vorbei geht es an Hauswänden, die von der Gruppe mit Slogans bedacht wur­den. „Dem Volke dienen” lautet einer. Das Volk sitzt derweil vor den Caf6s, den Bioläden, den türkischen Restau­rants — und wundert sich.

Im Bezirk Kreuzberg stoppte die Poli­zei später die sogenannte revolutionäre 1. Mai-Demo kurz vor 20 Uhr, als sie am Schlesischen Tor auf ein Straßenfest ein­biegen wollte. Es kam zu kleineren Ran­geleien. Einige Teilnehmet` trugen Fah­nen der in Nordsyrien kämpfenden kur­dischen YPG. Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK waren aber, anders als angekündigt, nicht zu se­hen. Bis zum späten Abend blieb es in der Hauptstadt weitgehend friedlich.

 

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