MESOPOTAMIA NEWS DEBATTE : DIE REPRESSIVEN DISKURSWÄRTER WOLLEN WEITER DEN TON ANGEBEN ! / DIE NEUE DEUTSCHE IDEOLOGIE
Sara Shostakovich: 30 April 2020
“Ich habe für die FAZ einen Text über die Verwechslung empirischer Sozialforschung mit moralischen Urteilskriterien geschrieben.
»Überhaupt scheint das akademische Milieu, dem Koppetsch angehört, sich an ihrem Begriff der „kosmopolitischen Elite“ besonders zu stören. Dabei ähnelt Koppetschs Argumentation stark der, die von den französischen Sozialwissenschaftlern Luc Boltanski und Eve Chiapello bereits 1999 in ihrem hierzulande als weniger skandalös wahrgenommenen Buch „Der neue Geist des Kapitalismus“ entwickelt wurde. Darin analysieren die Autoren Zusammenhänge von ökonomischer Desintegration und staatlicher Integration, für die linke Gegner des „Neoliberalismus“ meist blind sind. Die von der Achtundsechziger-Bewegung im Namen der Gegenkultur proklamierten Ideale wie Autonomie, Emanzipation, Eigenverantwortung, Freiheit und Kreativität nahmen demnach unbewusst schon den Wandel vorweg, den der Spätkapitalismus seit den achtziger Jahren durchlaufen hat. Das postindustrielle Bürgertum passt sich laut Koppetsch diesem Wandel mit seinen Idealen der Selbstoptimierung, Flexibilität oder des lebenslangen Lernens an. Das nachbürgerliche Modell des „unternehmerischen Selbst“ setzt sich zum bürgerlichen Staat nicht in ein reflektiertes Verhältnis, sondern macht dessen Imperative zum individuellen Lebensentwurf.
Genau dieses Milieu ist es, das mittlerweile den Diskurs der Universitäten wie der Medien maßgeblich bestimmt. Identitäts- und symbolpolitisch besetzte Themen wie Klimagerechtigkeit, Genderpolitik, eine an ästhetischen Prinzipien orientierte Lebensführung und die Selbstverwirklichung „im Job“ bewegen Menschen, die in der kulturellen, nicht aber in der ökonomischen Elite angesiedelt sind. Die außeruniversitäre Mittelschicht der ländlichen wie städtischen Peripherie und des urbanen Prekariats werden durch solche Themen erst recht nicht berührt.
Mit ihrem Konzept der theoriegeleiteten Empathie nimmt Cornelia Koppetsch den Rechtspopulismus als gesellschaftstheoretische Herausforderung ernst, was notwendig voraussetzt, AfD-Wähler nach den Gründen ihrer Entscheidung zu fragen, ohne schon ein Urteil über sie gefällt zu haben. Der Faschismustheoretiker Roger Griffin erläutert den Begriff der theoriegeleiteten Empathie dahin gehend, dass der effektivste Weg des Umgangs mit Rechtspopulisten darin bestehe, qua methodischem Einfühlungsvermögen zu rekonstruieren, was die Ursachen ihrer Ressentiments seien. Unter methodischem Einfühlungsvermögen verstehen weder Koppetsch noch Griffin emotionale Identifikation mit Ausländerhassern und Antisemiten, sondern die Suche nach gesellschaftlichen Ursachen, die solche Haltungen begünstigen. Wie sich sozialwissenschaftliche Interviews mit Rechtspopulisten überhaupt bewerkstelligen lassen sollen, wenn man diese von vornherein nicht ernst nimmt, erklären Koppetschs Kritiker nicht. Ihre Hauptaufgabe scheinen sie darin zu sehen, wissenschaftlichen Ansätzen wie denen von Koppetsch – aber auch ähnlichen Theoremen wie dem der „Abstiegsgesellschaft“ (Oliver Nachtwey) oder „digitalen Gesellschaft“ (Armin Nassehi) – manipulative Absichten zu unterstellen.
Das Ansinnen, Forscher, die nach Erklärungsansätzen für den Rechtspopulismus suchen, als Teil des rechten Spektrums darzustellen, scheint seinerseits Ausdruck einer moralischen Empörung über alles zu sein, was nicht dem eigenen Weltbild entspricht. Mittlerweile gelten sogar erklärtermaßen feministische Forscherinnen wie die Sozialtheoretikerin Nina Power nicht mehr nur intersektionalen Poststrukturalisten als Rassistinnen. Die akademische „Cancel Culture“ macht es geradezu zum Prinzip, die öffentliche Thematisierung von Dissens und Widerspruch zu vermeiden. Jede Ordnung, sei es eine Wissensordnung oder die der Wirklichkeit an sich, wird als umkämpft, politisch und relativ aufgefasst. Als Konfliktlinien gelten nicht mehr Klassenkämpfe im marxistischen, sondern Macht- und Geltungskämpfe im hegemonialen Sinne.
Ein Grund hierfür liegt zweifellos im anarchischen Konkurrenzkampf innerhalb des universitären Milieus. Insbesondere Uhligs Empörung darüber, dass eine Frau ohne populismuskritische Haltungsfestigkeit einen Lehrstuhl für politische Soziologie, Ungleichheitsforschung sowie Familien- und Geschlechterforschung besetzt, lässt sich wohl kaum verstehen, wenn in ihr nicht das Distinktionsbedürfnis des Bildungsreferenten gesehen wird, der mit ordentlichen Professorinnen um die Deutungshoheit sozialer Phänomene konkurriert.«”
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