MESOPOTAMIA NEWS : DAS SYSTEM VON DER LEYHEN ALS LETZTES KAPITEL DER EU

Impfstreit zwischen Europa und den Britischen Inseln«EU zeigt ihr wahres Gesicht», frohlocken Brexit-Anhänger

Schockiert haben britische und irische Pro-Europäer erlebt, wie ihnen Brüssel den argumentativen Teppich unter den Füssen wegzog.

Peter Nonnenmacher aus London –  Publiziert: 31.01.2021, 17:23

Zweifel und Kritik nehmen zu: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. – Nicht nur Lockdown-Überdruss, stockende Impfstoff-Verteilung und die ersten hier und da aufflammenden sozialen Unruhen müssen die EU zu Beginn dieser Woche beunruhigen. Jenseits der kontinentalen Küsten, in Grossbritannien und im EU-Staat Irland, hat die Union just eine Menge Unheil angerichtet und viel Vertrauen eingebüsst.

Kaum abschätzen lässt sich noch, wie gross der Schaden ist. Britische Brexiteers verkünden nun jedenfalls triumphierend, endlich habe die EU «ihr wahres Gesicht gezeigt». Tory-Hardliner fordern eine Revision der Brexit-Verträge, um Nordirland künftig «vor Brüssel in Schutz nehmen» zu können. Die Verträge seien eh unbrauchbar, haben Nordirlands Unionisten erklärt.

Schockiert haben britische und irische Pro-Europäer miterlebt, wie ihnen vorige Woche die von ihnen stets leidenschaftlich verteidigte EU den argumentativen Teppich unter den Füssen wegzog. Erst liess die EU-Kommission den EU-Streit mit dem Pharmakonzern AstraZeneca auf fahrlässige Weise zu einem Konflikt zwischen Brüssel und London eskalieren.

Dann ängstigte sie die Bevölkerung des Vereinigten Königreichs mit Exportkontrollen. Was zur Folge hatte, dass viele Briten glaubten, ihnen solle der Impf-Hahn abgedreht werden – nur weil die Nachbarn voller Neid nach Grossbritannien schauten, wo man über einen klaren Impf-Vorsprung verfügt.

Schliesslich beschloss man in Brüssel ohne alle Rücksprache mit Dublin oder London, die Grenze Irlands zu Nordirland buchstäblich über Nacht in eine «harte Grenze» umzuwandeln, um dort Ausfuhrkontrollstellen für Impfstoff einzurichten. Und das, nachdem dieselbe EU um des nordirischen Friedens willen jahrelang zäh ums Offenhalten dieser Grenze gerungen hatte.

Barnier ist entsetzt

Auch in EU-Kreisen war man regelrecht bestürzt über diese Aktion. Entsetzt forderte der ehemalige EU-Chefunterhändler Michel Barnier die Kommission auf, diesen Schritt um Himmels willen und so schnell wie möglich zurückzunehmen. Zornige Proteste aus Dublin folgten. Binnen Stunden musste Brüssel einräumen, dass die Sache «ein Irrtum» gewesen sei.

Für die britische Rechtspresse war das am Wochenende alles nur Beweis für den «Grössenwahnsinn» von Brüsseler Bürokraten. Aber auch ein so nachdrücklicher Verfechter europäischer Zusammengehörigkeit wie der liberale Londoner «Observer» klagte, die EU habe sich «von ihrer schlechtesten Seite» gezeigt.

Dieses jüngste Fiasko habe bereits bestehende Zweifel an der Führung der EU und speziell an Kommissionschefin Ursula von der Leyen «noch verstärkt», urteilte das Blatt. Zugute kam der Streit unterdessen vor allem einem Politiker – nämlich Boris Johnson. Denn wenn die Briten eine «Bedrohung» von aussen wittern, sammeln sie sich stets hinter ihrer Regierung. Monatelang angefeindet im eigenen Land, fühlt sich Johnson jetzt moralisch überlegen gegenüber der Opposition und den EU-Nationen.   – Publiziert: 31.01.2021, 17:23