MESOPOTAMIA NEWS : DAS NEUE DEUTSCHE SPIESSERTUM UNTER DER PRIDE FLAG

Die neue deutsche Humorlosigkeit –  DIE WELT  14 Aug 2020  /  –  Von Reinhard Mohr

Reinhard Mohr ist sich nicht immer sicher, was Harald Schmidt „in diesen nervösen Zeiten“ ironisch meint und was nicht  –  Die einstige „Spaßgesellschaft“, deren flirrende Ikone Harald Schmidt war, wandelt sich zur Aufpasser-Republik. Die Gedankenpolizisten reagieren auf jedes „falsche“ Wort mit Hasstiraden und Boykottaufrufen. Verständlich, dass Schmidt zeitgemäß „die Beschaulichkeit sucht“.

Die Zeiten sind nicht einfach. Corona zieht sich hin, Hitze, Klima, dazu die Katastrophen in aller Welt, die uns schon als teilnehmenden Beobachtern auf die Seele drücken. Umso wichtiger wäre, neben 1,50 Meter Abstand an der Edeka-Kasse, auch etwas geistiger Abstand zu den Dingen – Ironie und Sarkasmus mit einem Schuss Zynismus bei der Betrachtung des rasenden Weltwahnsinns. Das hilft dem Denken auf die Sprünge und schafft Erleichterung rund ums Herz. Und warum nicht: Ablenkung und Unterhaltung.

Doch leider geschieht am Humorstandort Deutschland gerade das genaue Gegenteil. Die einstige „Spaßgesellschaft“, deren flirrende Ikone Harald Schmidt war, wandelt sich zur spießigen Aufpasser-Republik, in der unzählige Gedankenpolizisten auf jedes „falsche“ Wort mit einem Pawlowschen Reflex reagieren: übelste Hasstiraden, Boykottaufrufe und Veranstaltungsabsagen: „Cancel Culture“, auch für den Duden ein neuer Anglizismus, obwohl hier eher Erinnerungen an die Reichsschrifttumskammer von 1933 wach werden.

Selbst ein 35 Jahre alter „Otto“-Film gerät nun ernsthaft unter Rassismus-Verdacht, während der Antisemitismusvorwurf zur allerbilligsten Münze von Leuten verkommt, die zu dumm sind, Texte zu verstehen. Vom Wesen der Satire haben sie absolut keine Ahnung, weil ihnen schon ihre Eigenart fremd ist: das Schillernde und Spielerische, das Absurde, Provokative und, ja, auch das Riskante, Unabgesicherte.

Die neue deutsche Humorlosigkeit zeichnet dagegen vor allem eines aus: ein primitiver moralischer Manichäismus zwischen Gut und Böse, falsch und richtig. Alles muss eindeutig sein. Abweichungen werden nicht geduldet. Es kommt einzig auf die korrekte Haltung an. „Sag mir, wo du stehst!“ sang 1967 die DDR-Gruppe Oktoberklub. Alles andere war Krampf im Klassenkampf. Der Andersdenkende wurde zum Feind erklärt. Punktum.

Und so entwickelt sich auch mitten in unserer zivilen, „weltoffenen“ und „bunten“ Gesellschaft ein Klima der emotionalen Verbiesterung und des geistigen Verbarrikadierens, in dem eine ganze Generation ängstlicher und humorloser Duckmäuser aufzuwachsen droht. Motto: Bloß nichts Falsches sagen!

Lautete einst das geflügelte Wort im kritisch-linken Kabarett, das Lachen solle einem „im Halse stecken bleiben“, so wird heute alles umstandslos heruntergeschluckt – ganz ohne Gelächter. Deshalb ist es durchaus verständlich, dass Harald Schmidt auf Anfrage von WELT eine zeitgemäße Antwort gibt: „Die Zeiten sind aber nervös, da ziehe ich doch die Beschaulichkeit vor.“ Oder sollte das doch ironisch gemeint sein?