MESOPOTAMIA NEWS : DAS EXTREME SPIESSERTUM DER MEDIOKREN „NEUEN WELTBÜRGER!“
Die neuen Eliten: Der Dinkelbrötchen kauende Dünkel
3. Februar 2020 | Von Stefan Laurin – Ruhrbarone
Berlin Prenzauer Berg: Hier soll die neue Elite gerne wohnen
In den vergangenen Jahren ist viel über „liberale Eliten“ diskutiert worden. Doch wie groß ist diese Gruppe? Wer gehört dazu? Wie stark sind sie? Und was macht sie überhaupt zu einer Elite?
Kurz nach der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten, der Schock, der viele Menschen ergriffen hatte, war noch ganz frisch und sollte sich nie wirklich legen, begann eine Debatte, die bis heute anhält. In ihrem Zentrum steht eine Schicht, die mal als „grüne“, „liberale“ oder „kosmopolitische“ Elite oder auch als „Anywheres“ und „Weltbürger“ bezeichnet wird.
Zwei Bücher, die vor der Wahl Trumps erschienen, prägten zu Beginn die Diskussion. Der französische Philosoph Didier Eribon zeigte in seinem Buch „Rückkehr nach Reims“, wie die in der Provinz lebenden Reste der Arbeiterklasse sich in den vergangenen Jahren nach und nach von den linken Parteien entfernt und dem Front National zugewandt hatten. Die amerikanische Soziologin Arlie Russell Hochschild beschrieb in „Fremd im eigenen Land“ das Leben der weißen Arbeiter- und Mittelschicht, die sich abgehängt fühlen und der Rechten angeschlossen haben. Diese Bücher beschäftigten sich mit den Menschen, über die Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 sagte: „Krass verallgemeinert: Man kann die Hälfte der Trump-Unterstützer da hineinstecken, was ich einen Korb von Erbärmlichen (basket of deplorables) nenne.“ Eine Aussage, die sie bereits kurz darauf bereute.
Diesen beiden, übrigens hervorragenden und unbedingt empfehlenswerten, Büchern schlossen sich alsbald zahllose Veröffentlichungen an, die mit der Politik der Linken hart ins Gericht gingen. Die habe seit der Ablehnung, die sie in den 60er und 70er Jahren durch die Arbeiterklasse erfahren habe, als die sich weigerte, den sozialistischen Träumen radikaler Studenten zu folgen, soziale und wirtschaftliche Fragen vernachlässigt. In das Zentrum linker Politik seien in der Folge postmoderne Ideen, verstärkt Fragen der Identitätspolitik, gerückt. Der Postmaterialismus habe die Linke von den Menschen entfernt, die bei ihrer Entstehung im Zentrum ihres Interesses gestanden hätten: der Arbeiterklasse, wie immer man sie auch zeitgemäß beschreiben mag. Relativismus und multikulturelle Ideologie hätten darüber hinaus zu einem Verrat an den Werten der Aufklärung geführt. Mark Lillas „The Once and Future Liberal: After Identity Politics”, Kenan Maliks „Das Unbehagen in den Kulturen“ und Francis Fukuyamas “Identität -Wie der Verlust der Würde unsere Demokratie gefährdet“ waren die herausragendsten internationalen Bücher zur Kritik der postmodernen Linken. Bret Easton Ellis beschrieb schließlich die unter Trump leidenden US-Liberalen sarkastisch in seinem Buch „Weiß“. In Deutschland erschienen ebenfalls mehrere Bücher, die sich mit diesem Thema auseinandersetzten. Erwähnt seien „Die sortierte Gesellschaft: Zur Kritik der Identitätspolitik“, in dem auch ein Beitrag des Autors enthalten war, und Nils Heisterhagens „Die liberale Illusion“, eine Kritik vor allem an der SPD.
Carlo Strengers „Diese verdammten liberalen Eliten. Wer sie sind und warum wir sie brauchen“ und „Die Gesellschaft des Zorns“ von Cornelia Koppetsch beschrieben die neuen Eliten, und Andreas Reckwitz erklärte in „Die Gesellschaft der Singularitäten“, wie der gesellschaftliche Wandel der vergangenen Jahrzehnte deren Aufstieg und bestimmende gesellschaftliche Rolle ermöglichte.
Egal, ob die „neuen Eliten“ kritisiert, verteidigt oder erklärt wurden – zwei Dinge wurden in der Regel unterlassen: Die Fragen, warum diese Gruppen als Eliten gesehen werden, welche anderen Eliten es neben ihnen gibt und ob die Beschreibung ihrer Größe, häufig werden 20 -30 Prozent der Gesellschaft angenommen, realistisch ist, wurden kaum gestellt. Ja, meistens wurde nicht einmal thematisiert, ob es neben hehren Zielen noch andere Gründe für die Ansichten dieser Eliten geben könnte, was verwundert, denn man kann den Strauß an Ideologien, Lebensstil und Überzeugungen von Gruppen eigentlich nicht beschreiben, ohne sich Fragen nach möglichen Vorteilen, Macht und dem Ziehen von Grenzen zu anderen Gruppen zu stellen.
Ohne Zweifel ist das Zentralorgan der neuen Eliten die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Woche für Woche predigen ihre Autoren neue Verbote, fordern mit protestantischem Eifer zum bescheidenen Leben auf und preisen die Freuden veganer Ernährung und des Verzichts auf das Auto. Vom Schauer der Forderung nach ökologisch korrekter Lebensweise erfüllt, können sich die Leser anschließend im Shop und im Reisebereich des Verlags erholen. Dort bietet „Die Zeit“ dann Uhren aus der eigenen Edition für weit über tausend Euro an, die wie das Modell „Zeit1“ mit „Understatement im hanseatischen Stil“ versuchen, die geneigten Käufer davon zu überzeugen, dass man mit der man ganz sicher auch auf einer der vielen angebotenen Reisen eine gute Figur macht. Ökologisch ganz unkorrekt geht es dann mit dem Flugzeug zur Safari nach Südafrika oder an Bord der Queen Mary II von Hamburg nach New York. Der Status des reisenden Weltbürgers, er darf nicht gefährdet werden, auch wenn die Reise der Reinigungskraft aus Gelsenkirchen nach Mallorca wohl nicht mehr gern gesehen wird.
Im November 2018 ging „Die Zeit“ der Frage nach, wie groß der Anteil der „Weltbürger“ an der Bevölkerung denn wohl sei, und kam zu beeindruckenden Antworten: Nach einer Studie der Universität Leipzig sei bei 20 Prozent der Europäer die Neigung zu einer kosmopolitischen Weltsicht „besonders stark ausgeprägt, sie bilden in Deutschland das Wählermilieu der Grünen.“ Der britische Autor David Goodhart schätz den Anteil in seinem Buch „The Road to Somewhere“ ebenfalls auf 20 Prozent. Carlo Strenger schätzt sie in „Diese verdammten liberalen Eliten“ auf 30 Prozent der Beschäftigten und orientiert sich dabei an von Richard Florida 2002 in „The Rise of the Creative Class“ genannte Zahlen.
Noch nie war eine Elite so groß und noch nie durften sich so viele ihr zugehörig fühlen. Nicht nur die viele Leser der „Zeit“, auch die Bewohner des Prenzlauer Bergs, Altonas und ein wenig auch die im Sommer in den Cafés der Rüttenscheider Straße die Sonne anblinzelnden Bewohner des Essener Südens, die vielen Lehrer, Sozialarbeiter, Barden, Ausdruckstänzer und Studenten – sie alle dürfen sich umarmt fühlen. Wer ein paar Brocken Englisch kann, eine ungelesene Ausgabe von Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ im Bücherschrank hat und einmal die Füße nach dem Abi im lauen Mittelmeer hat baumeln lassen, darf sich dazuzählen. Kann man den Herrschaftsanspruch einer solchen klugen, lockeren und herzensguten Truppe in Frage stellen? Gab es jemals eine Elite, die demokratischer war?
Strenger ist derjenige, der Wasser in den Biowein gießt. Schon die in seinem Buch vorgestellten Mitglieder der „verdammte liberalen Eliten“ haben nicht viel mit den Lehrern, Sozialarbeitern oder prekär lebenden Kreativen zu tun, die sich in Deutschland wohlig als Elite bezeichnen lassen. Sie sind Gründer internationaler Softwareunternehmen, HighTech-Investoren oder international bekannte TV-Journalisten. Menschen also, auf die auch ein ganz klassisches Merkmal von Eliten zutrifft: Sie gehören zum erlauchten Kreis der Top-Verdiener. Erneut bezieht sich Strenger auf Florida: „Innerhalb dieser größeren Gruppe identifizierte Florida einen kleineren Personenkreis (nach seinen Schätzungen etwa fünf Prozent der Erwerbstätigen), den er als »superkreativen Kern« jener Wissensökonomie bezeichnete, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet hat. Zu diesem Kern gehören etwa leitende Mitarbeiter in den Forschungsabteilungen der Hightech-, Biotech- oder Maschinenbaubranche, »Content«-Produzenten im Medien- und Kunstbetrieb, Natur- und Sozialwissenschaftlerinnen oder auch die Entwickler komplexer Finanzinstrumente.“
Ihr Leben werde von beruflichen Zwängen und postmaterialistischen Vorstellungen zugleich geprägt: „Sie kümmern sich liebevoll um die Erziehung ihrer Kinder, verbringen »Quality Time« mit ihren Nächsten – und blicken aus dem Augenwinkel doch stets auf ihre Smartphones, um zu sehen, ob eine neue Nachricht eingetroffen ist. Sie sehnen sich nach dem Gefühl, es endgültig geschafft zu haben und sich zurücklehnen zu können, aber das erweist sich immer wieder als Chimäre. Weil es stets noch spektakulärere Erfolgsgeschichten und Menschen gibt, die noch mehr verdienen – man denke an das berühmt-berüchtigte halbe Prozent am obersten Ende der Einkommensverteilung.“
Es sind also die Menschen, für die es tatsächlich einen internationalen Arbeitsmarkt gibt, deren Fähigkeiten so gefragt sind, dass sie Spitzeneinkommen erzielen können, und die ein Leben führen oder auch führen müssen, das mit dem der biederen klassischen Arbeitnehmer und Kleinunternehmer, die beruflich und lebensweltlich an einen Ort oder zumindest ein Land gebunden sind, wenig zu tun hat.
Nur zu diesen ortsgebundenen, durchschnittlich verdienenden Menschen mit nicht außergewöhnlichen Qualifikationen, denen der globale Arbeitsmarkt der Top-Talente verschlossen bleibt, gehören auch, folgt man Strenger, der größte Teil derer, die sich mehr oder weniger als Teil der neuen Elite in Deutschland fühlen. Das führt dann zu fast drolligen Fehleinschätzungen der eigenen Schichtzugehörigkeit. Kurz nach der Wahl Trumps im Herbst 2016 las ich folgendes, leider eher ernst als ironisch gemeintes, Posting auf Facebook: „Was macht man jetzt eigentlich so als Mitglied der arroganten Kultur-Elite, die für den Sieg Trumps verantwortlich ist?“ Der, der sich da kokett als Teil der Kultur-Elite sieht, schreibt ab und an eine Theaterkritik und tritt als Sänger vor allem in kleinen Kneipen auf.
Auf die meisten in Deutschland lebenden und arbeitenden Lehrer, Sozialarbeiter, studierten Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes, Journalisten, NGO-Aktivisten, Schauspieler und Kulturwissenschaftler wartet im Ausland jedoch niemand. Ein sich als Weltbürger empfindender Leiter der Abteilung zur Überwachung des ruhenden Verkehrs im Ordnungsamt einer Stadt wie Oer-Erkenschwick könnte schon Probleme haben, eine vergleichbare Stelle in Emden, Boppard oder Fürstenfeldbruck zu finden. In Palo Alto, New York, Tokio, Paris, London oder Shanghai wird wohl schon der Schülerpraktikant in der Poststelle seine Bewerbung aussortieren. Im Gegensatz zu traditionellen Handwerkern wie Bäckern, Metzgern und Schreinern werden große Teile der deutschen Hip-Eliten im Ausland trotz veganer Wurst auf dem Hirsebrötchen und strengem, betroffenen Blick nicht als Elite wahrgenommen. Wieso sehen sie sich selbst so?
Fehleinschätzungen bei der Schichtzugehörigkeit sind nicht neu und sie sind auch gewollt. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg gelang es besonders in Deutschland erfolgreich, den Arbeitern zu erklären, sie seien keine Arbeiter mehr. Schelsky sprach von der „nivellierten Mittelschichtsgesellschaft“ und viele, die in den 50er und 60er Jahren unter wirklich harten Bedingungen in der Industrie ihrem Broterwerb nachgingen, glaubten dieser Gesellschaftsbeschreibung nur allzu gerne. Ähnliches erleben wir heute bei den neuen Eliten. Nur, dass damals das Bürgertum darauf aus war, ganze gesellschaftliche Gruppen zu umarmen und ihm, wenn auch vor allem aus Angst vor Konflikten, das Gefühl zu geben, dazuzugehören. Mittlerweile ist die Zeit der Anerkennung verschiedener Lebensweisen und der Versuch, diese einzubeziehen, jedoch vorbei. Im November 2018 fragte sich Adam Soboczynski, der Feuilletonchef der „Zeit“, in einem Artikel, warum die neue Elite so unbeliebt ist. Sie werde ständig kritisiert und verlacht. Wenige Zeilen später schrieb er dann mit nahezu dankenswerter Offenheit, was er von der Arbeiterklasse und der traditionellen Mittelschicht hält: „Es gibt sie natürlich nach wie vor, aber sie sind unsichtbar. Keine satisfaktionsfähige Serie zeigt ihren Alltag (eher kommt eine Krasse 4-Blocks-Unterschicht ins Bild), kein Werbespot würde sie zum Handlungsträger machen, niemand in meiner Akademikerschicht sind sie noch ein über die Dienstleitung hinausgehender Bezugspunkt oder gar ein Vorbild, nach dem man sein Leben ausrichtet. Sie sind nicht arm, sie sind nur unbedeutend und out.“ Als Feuilletonchef der „Zeit“ gehört Soboczynski ohne Zweifel zur Elite, was die Arroganz seiner Aussage nicht sympathischer macht. Doch er gibt einen Sound vor, dem viele folgen. Für sie ist „Die Zeit“, was der „Playboy“ in den 70er und 80er Jahren für viele Kids aus der Arbeiterklasse war: eine Sammlung gedruckter Rollenvorbilder, die man nicht erreichen konnte. Konnte das Wissen aus Playboy-Artikeln zum Thema „Wie mache ich eine Barfrau an“ auch in Discos in Herne, Offenbach und Ingolstadt von Nutzen sein, so hatte die kritische Würdigung des neuesten Jaguars oder die lässige und stilvolle Beschreibung von Villen und Wohnlagen an den Gestaden des Mittelmeers mit der Lebenswelt vieler Playboy-Leser nicht viel zu tun. Aber das Blatt, das damals wirklich auch sensationelle Interviews, Kurzgeschichten und Reportagen veröffentlichte, vermittelte ein Lebensgefühl. Nicht anders „Die Zeit“: So sehr der Lehrer einer Gelsenkirchener Schule auch davon überzeugt ist, dass die Zeit der üblen Verbrennungsmotoren vorbei ist, will er von seinem Haus in Haltern zu seinem Arbeitsplatz kommen, hat er zum sparsamen Diesel keine Alternative. Der Kauf von ein paar Bechern Bio-Joghurt, die Wahl der Grünen und das „Zeit“-Abo geben ihm allerdings das Gefühl, ebenso zur neuen Elite dazuzugehören, wie es der Bunny-Aufkleber auf dem Ford-Capri des Jungproletariers in der von ihm verehrten Gruppe der Lebemänner tat. Nur habe ich den Eindruck, dass die Capri- und Mantafahrer jener Jahre über eine realistischere Selbsteinschätzung verfügten, wohingegen die Mitglieder der Möchtegernelite begierig den Bio-Kakao, durch den sie gezogen werden, auch noch trinken.
Aber es gibt natürlich gute Gründe, die grüne, die kreative und die Wasauchimmer-Eliten prächtig und groß erscheinen lassen zu wollen. Und dabei geht es um Macht, Identität, Hegemonie und Abgrenzung.
Es gibt nicht die Elite, es gibt mehrere Eliten. Zu den klassischen Eliten gehören die Spitzenkräfte in Politik, Wirtschaft und Medien. Führende Militärs gehören in Deutschland seit dem Ende des zweiten Weltkriegs nicht mehr dazu und auch der Einfluss von Bischöfen und Adel hält sich in Grenzen. Geld, Macht und Einfluss, am besten miteinander kombiniert, unterscheidet die Angehörigen der Eliten klassischerweise vom Rest der Bevölkerung. Der Lebenslauf von Politikern, die nach ihrer Karriere in Parteien, Parlamenten und Regierungen in die Wirtschaft wechseln, zeigen, dass das Geldverdienen auch erst nach dem Ende der Macht beginnen kann, Einfluss dabei jedoch wichtig bleibt.
Auch bei den neuen Eliten ist das nicht anders: Chefredakteure und andere führende Journalisten bei bundesweiten Medien mit hoher Reichweite gehören durch ihren Einfluss auf die Öffentlichkeit und die Macht, die ihnen ihre Position über große Publikationen gibt, zur Elite, ein gutes Auskommen macht sie in der Regel nicht unbedingt zu den Reichsten des Landes, aber allemal zu Wohlhabenden. Politiker sind ebenso Teil der neuen Elite, wie sie es schon bei der alten waren. Spitzenkräfte von NGOs wie Jürgen Resch sind neu in diesem Kreis.
Bei Wissenschaftlern ist die Lage etwas komplizierter. Die, die ohne Frage zur Elite gehören, weil sie Nobelpreise und andere Auszeichnungen gewonnen haben, Leibniz- oder Max-Planck-Institute führen, können einen geringeren Einfluss haben als Wissenschaftler, die auf dem Buchmarkt erfolgreich und gern gesehene Gäste in Talk-Shows sind, und somit vor allem, unabhängig ihrer wissenschaftlichen Leistung, die Erwartungen des Publikums bedienen. Ein Richard Precht hat auf das Bewusstsein der hiesigen Öffentlichkeit einen deutlich größeren Einfluss als Joachim Frank, der 2017 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde und ohne jeden Zweifel ein bedeutenderer Wissenschaftler als der Philosoph Precht ist. Naturwissenschaftler und Ingenieure, die letztendlich Entwickler und Erfinder sind, waren immer Teil der Elite und oft auch erfolgreiche Unternehmer: Werner von Siemens, Emil Rathenau oder Hasso Plattner waren und sind Teil der traditionellen Elite.
Zur neuen Elite in Deutschland gehören sie nicht. Kann man in den USA durchaus Menschen wie Tesla-Gründer Elon Musk oder die Führungsriege von Konzernen wie Apple, Facebook und Alphabet dazu zählen, die sich zum größten Teil zumindest verbal positiv über Identitätspolitik, Diversity und Ökologie äußern und aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs und ihres technischen Wissens auch Teil traditioneller Eliten sind, fehlen solche Persönlichkeiten in Deutschland fast vollkommen. Die führenden Köpfe der neuen Elite sind Politiker, Journalisten, Führungskräfte von NGOs, Professoren in Fächern mit geringer wirtschaftlicher und technologischer Bedeutung wie Kulturwissenschaft, Gender-Studies und Soziologie und der Mittelbau und die Spitzen von Verwaltungen. Sie alle haben eines gemeinsam: Der Kampf um ihre wirtschaftliche Existenz ist eng verbunden mit dem Kampf um den Zugriff auf öffentliche Mittel und die Förderung durch die Politik und durch sie unterstützende Gesetze. Sind Teile der klassischen Eliten Teil der klassischen Eliten, weil sie wohlhabend sind, müssen zumindest in Deutschland, und das unterscheidet sie zum Teil stark von entsprechenden Personen in den USA, auch die führenden Vertreter der neuen Eliten die Politik und die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit ihrer Existenz und der Finanzierung ihres wirtschaftlichen Status erst überzeugen
Eine Ausnahme sind auch in Deutschland die wirtschaftlich erfolgreichen Künstler. Viele von ihnen teilen die Werte der neuen Eliten und sind ein Teil von ihnen. Oftmals folgen sie jedoch den Einstellungen ihres Publikums und so verwundert es nicht, dass sich zum Beispiel die Gangster-Rapper aller Länder weit weniger um den Klimawandel sorgen und für Diversity eintreten als Musiker, die ein eher linksintellektuelles Publikum ansprechen. Letztendlich ist es wie immer bei Menschen, die man persönlich nicht gut kennt, schwer zu entscheiden, was Überzeugung und was Opportunismus ist.
Außer einem hohen Maß an wirtschaftlicher Abhängigkeit von der Politik, die auch bei den Journalisten der öffentlich-rechtlichen Sender gegeben ist, verbindet die Mitglieder der neuen Eliten noch ein weiterer Punkt: Die in allen Berufen außerhalb der Politik normalerweise bestehende Grenze zwischen professioneller Tätigkeit und Aktivismus wird überschritten. Sie versuchen nicht nur, die Politik für ihre eigenen Interessen zu nutzen, sondern sie treten als politische Akteure auf, was man durchaus als ein Zeichen von Deprofessionalisierung werten kann. Der wichtigste Wissenschaftler ist nach dieser Logik nicht derjenige, der die besten Forschungsergebnisse vorweisen kann und weltweit die höchste Anerkennung seiner Fachkollegen genießt, sondern der, der die Medien passend bedient.
Die Nähe zur Politik bedingt die Übernahme der Karrieremechanismen der Politik. Wer weiterkommt und wer nicht, entscheidet sich nicht anhand erfolgreicher Arbeit – man denke nur an Ursula von der Leyen -, ausgefallenen und gut durchdachten Ideen. Auf keinem anderen Feld ist die richtige Mischung aus einem hohen Maß an Anpassung garniert mit bewusst kalkulierten Regelverstößen, die für Aufmerksamkeit sorgen, so entscheidend wie in der Politik. In den meisten Bereichen, in denen die Mitglieder der neuen Elite (mit Ausnahme von Teilen der privaten Medien) tätig sind, gilt das ebenso: Anpassung, nicht der Wille und die Fähigkeit zur Disruption, die einen Musk auszeichnet, wird belohnt. Auch in Teilen der Geisteswissenschaften und im NGO-Sektor geht es um Hegemonie, nicht um Wissen und Streit um Fakten. Derjenige, der die Hegemonie erlangt, nicht derjenige, der die besseren Argumente hat, setzt sich im Angst- und Relativierungsgeschäft durch und darf auf öffentliche Zuschüsse und die besten Plätze in den öffentlich-rechtlichen Medien hoffen.
Ein jede wirtschaftliche Realität ausblendender Postmaterialismus gibt im wirtschaftlichen Bereich das Denken vor, auch wenn es nicht allzu großer Mühe bedarf zu erkennen, dass die angestrebten Modelle, in denen „Kreislaufwirtschaft“ und „Postwachstumsökonomie“ propagiert werden, nur Modelle sind, die auch nur theoretisch in hermetisch abgeschlossenen nationalen Gesellschaften funktionieren können, denn ab dem ersten Tag, an dem die Visionen in die Tat umgesetzt würden, würden sich Millionen Facharbeiter, Handwerker, Ärzte und Ingenieure auf den Weg ins Ausland machen, wo sie deutlich besser verdienen würden. Übrig blieben ein paar freie Journalisten, der Bodensatz der kreativen Klasse, der auf dem Weltmarkt keine Chance hat, Geisteswissenschaftler und kranke und alte Menschen, die ihr Schicksal verfluchen würden, sich nicht den Trecks über die Grenze anschließen zu können.
Wer solche Träume träumt, hat entweder so viel, dass er sich Not nicht vorstellen kann und die ihn deswegen nicht schrickt, erhält sein Geld vom Staat und hat keinerlei Vorstellung davon, wie es erwirtschaftet wird, oder ist neidisch und hofft auf ein jüngstes Gericht, das die Lebensverhältnisse für alle angleicht – unabhängig von Leistungen und Qualifikation.
Diejenigen, die zur ersten Gruppe gehören, die so wohlhabend sind, dass sie sich wirtschaftliche Not nicht nur nicht vorstellen können, die über einen Reichtum verfügen, ein Erbe, Immobilienbesitz, gut und international angelegtes Vermögen, gehören zur Elite. Sie können es sich leisten, von einem bescheidenen Leben in einer Postwachstumsökonomie zu träumen, müssen eine deindustrialisierte Gesellschaft nicht fürchten und wissen insgeheim, dass sie mit ihrem Wissen und Vermögen jederzeit ins Ausland gehen können. Bei den beiden anderen Gruppen sieht es indes anders aus. Sie spielen das Spiel der wirklichen neuen Eliten mit, ohne dazuzugehören, und bilden so etwas wie ihre Fußtruppen. Sie tragen zu der Simulation bei, die neuen Eliten bestünden aus 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung. Mag sein, dass es in Wirklichkeit fünf sind, der Rest redet sich ein, er würde dazugehören und in der Champions-League der Klugen, Schönen und Guten mitspielen. Aber warum tun diese Menschen das?
Zum einen ist es ein zum Teil erschreckender Mangel an wirtschaftlichem und historischem Wissen. Viele haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie das Leben in einer postindustriellen Gesellschaft ohne Wachstum aussehen würde, dabei war das über Jahrtausende der Normalzustand aller menschlichen Gesellschaften. Erst mit dem Siegeszug von Aufklärung, Naturwissenschaft und Kapitalismus setzte auch das Wirtschaftswachstum ein und beendete, was die Menschen seit dem Beginn der Sesshaftwerdung begleitete: den Mangel und den Hunger. Die weltweite Verbesserung der Lebensumstände in den vergangenen 200 Jahren ist die größte Erfolgsgeschichte seit dem Bestehen unserer Art. In wenigen Gesellschaften außerhalb des deutschsprachigen Raums ist man bereit, diesen Pfad zu verlassen. Im Gegenteil: Milliarden Menschen in Afrika, Asien und Südamerika träumen davon, ihn zu beschreiten und weiter zu verfolgen, und haben dazu jedes Recht.
Niko Paech, eine der Ikonen der Postwachstumsökonomie und ein Vertreter der Umweltschutzbewegung, sieht das anders. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ schrieb Paech: »Kulturen, die an traditionellen, zumal religiösen Maßstäben ausgerichtet sind, verlieren jeden Schutz davor, ihren Modernisierungsrückstand vorgeführt zu bekommen. Der Kulturvergleich, dem in Afrika, Asien und Lateinamerika infolge billiger Smartphones und Flugreisen niemand mehr zu entgehen vermag, pulverisiert stabile Orientierungen. Was vormals sinnstiftend und materiell hinreichend war, wird entwertet und fühlt sich jetzt nur noch vormodern, ärmlich oder gar unmenschlich an.« Während Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest ihre Bewunderung für genau diese Fähigkeit des Kapitalismus ausdrückten, traditionelle »stabile Orientierungen« zu pulverisieren, singt Paech das Hohelied des Lebens in bescheidener Armut.
Wer Fortschritt und den Klimawandel in den Griff bekommen will, muss für Wachstum sein. Ingenieure und Wissenschaftler kennen die Antworten auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen.
Doch diese eher banale Erkenntnis wäre für die neuen Eliten in Deutschland, in den USA sieht das anders aus, fatal, denn sie würde ihnen jede Bedeutung rauben. Die Ethik des Verzichts ist eine wunderbare Möglichkeit, jene zu stigmatisieren und sich über sie zu erheben, deren Lebensstil nicht den Werten der neuen Eliten entspricht. Zumal sie eine ästhetische Komponente hat, die sich nicht alle leisten können. Der in den besseren Kreisen beliebte Wabi-Sabi-Trend verbindet Minimalismus mit Exklusivität. Wenige edle und teure Stücke mit Gebrauchsspuren weisen den Besitzer als Kenner und Ästheten aus, der mit der Wegwerfgesellschaft gebrochen hat. Die von Bourdieu beschriebene Inflation der Bildungstitel hat dafür gesorgt, dass Hochschulreife und Hochschulabschluss immer weniger dazu taugen, sich von der Masse abzugrenzen, denn die hat ja zumindest auch das Abitur – es ist längst der übliche Bildungsabschluss. Wenn man schon nicht mehr ein Papier besitzt, das einem bestätigt, dass man klüger als die meisten anderen ist, und man, im Gegensatz zu richtigen Elite, nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten hat, sich vom verachteten Plebs durch Wohnungen in teuren Altbauvierteln, exklusiven Fernreisen oder Privatschulen für die Kinder abzusetzen, bleibt einem nur übrig, durch Kopie der Elite ein wenig von ihrem imaginären Glanz abzubekommen und darauf zu hoffen, einen Posten im steuer- und abgabenfinanzierte Komplex von Unis, Verwaltungen und Sendern zu ergattern.
Da wird dann vegan gegessen, der Raucher und der Biertrinker werden stigmatisiert, der Autofahrer ebenso und der Arbeitsplatz in der Industrie gleich mit. Nicht nur ein wenig schwingt da beim Bodensatz der kreativen und wissenschaftlichen Klasse auch der Neid mit. Da hat man studiert und ein Diplom als Sozialarbeiter, Kulturwissenschaftler oder Experte für postkoloniale Studien, um dann festzustellen, dass nicht nur der Typ, der vielleicht das Bauhaus immer nur für eine Baumarktkette hielt, immer die falsche Musik hörte und sich nie empörte, sondern gut in Mathe und Physik war, das Dreifache des eigenen Gehalts verdient. Und schlimmer noch: Selbst der Kerl, der an Mopeds herumschraubte, nach der zehnten Klasse die Schule verließ und eine Ausbildung machte, verdient auch noch mehr und lebt nicht nur besser, sondern auch nicht prekär. Als Facharbeiter ist er selbst jetzt, wo die Krise hochzieht, begehrt, wohingegen viele Geisteswissenschaftler schon froh sind, wenn es ihnen gelingt, sich von einem mies bezahlten Unijob zum nächsten zu hangeln. Und bei Ausdruckstänzern, Poetry-Slammern und anderen hoffnungsvollen Talenten im Bereich der Kreativwirtschaft sieht es ja nun nicht besser aus. Wer in solchen Verhältnissen lebt, strebt das an, was Ökonomen eine Rente nennen, ein leistungsloses Einkommen. Kein Wunder, dass in diesen Kreisen die Idee des Grundeinkommens so beliebt ist.
Wenn diese Menschen von Postwachstumsökonomie träumen, träumen sie davon, dass der Facharbeiter und der Ingenieur, den sie eigentlich verachten – wer diese Arroganz bezweifelt, sollte sich die Debatte um die Frage, was denn zur „Bildung“ dazugehöre, zwischen Friedrich Schwanitz und Ernst Peter Fischer Anfang des Jahrhunderts anschauen – weil er nichts von dem versteht, was ihnen wichtig ist, aber vieles weiß, was Grundlage eines wirtschaftlichen und beruflichen Erfolges sein kann, wirtschaftlich auf ihr Niveau sinkt. Es ist ein Irrglaube, denn erst die Leistungsfähigkeit einer starken exportorientierten Wirtschaft schafft den Reichtum, der es der Gesellschaft erlaubt, ihre Existenzen, wenn auch oft nur auf prekärem Niveau, zu finanzieren. Sie sind sicher nicht die Sahne auf dem Kuchen, aber doch die zehnprozentige Büchsenmilch im Kaffee. Besser als nichts, wenn man bedenkt, dass es ohne staatliche Zuschüsse kaum eine Perspektive für sie gibt. Die Hoffnung, durch weniger Wachstum und weniger Materialismus die verachteten technischen und wirtschaftlichen Eliten auf den eigenen Lebensstaus herabzuziehen, ist natürlich naiv. Wohnen der Ingenieur und der Facharbeiter in einer ärmeren Gesellschaft in einem WG-Zimmer in Wedding, wird für den Ausdruckstänzer kaum mehr als ein Pappkarton am Ufer der Spree bleiben – und ziehen, wie oben beschrieben, Facharbeiter und Ingenieur, und Arzt und Naturwissenschaftler natürlich auch, den guten Jobs ins Ausland nach, kann es auch der Busch im Görli sein, denn auch Pappkartons müssen hergestellt werden.
Die neue Elite, sie ist bei Lichte betrachtet deutlich kleiner, als sie in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Ein kleiner, ökologisch und kosmopolitisch gesonnener Teil der alten, wohlhabenden Elite hat es geschafft, durch sein Lebensmodell etliche Menschen in der Kreativwirtschaft, dem Öffentlichen Dienst und den Geisteswissenschaften zum Vorbild zu werden. Unter der weitgehenden Verkennung der Tatsache, dass Elite in der Regel auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hat, wünschen sich viele in diese Elite hinein. So gelingt eine beeindruckende Inszenierung: Das Leben weniger wird zum Vorbild einiger und erscheint medial als breite Strömung, weil etliche Journalisten deren Überzeugungen teilen. Politiker glauben sich daran orientieren zu müssen, da sie eine neue Mehrheit sehen, die allerdings nicht existiert: Die Menschen fliegen weiter, kaufen Autos mit Verbrennungsmotoren, träumen von großen Häusern und Wohnungen, essen Fleisch und kümmern sich auch ansonsten nicht um die Lebensstilvorgaben der ja überschaubaren neuen Eliten und ihrem Fußvolk, dessen Größe sich auch in Grenzen hält. Eine Falle, in welche die SPD bereits getappt ist, auch weil große Teile ihrer Funktionäre zum Fußvolk der neuen Elite gehören. Die Union hält das allerdings nicht ab, den Sozialdemokraten zu folgen.
Auch wenn in Teilen der öffentlich produzierten Wirklichkeit niemand der neuen Elite eine Wirkmacht abstreiten kann. sollte man ihre Bedeutung für die meisten Menschen nicht überschätzen: Es werden so viele Autos gekauft wie noch nie, die Menschen fliegen und essen Fleisch. Ob Flug- oder SUV-Scham – der Ökopuritanismus wird propagiert, aber nicht gelebt.
Und die wirtschaftliche Basis der Eliten-Nachahmer ist häufig schwach, ihre Abhängigkeit vom Funktionieren anderer Teilbereiche der Gesellschaft so hoch, dass ihr Erfolg ihre eigene Existenzgrundlage vernichten würde. Kaum jemand, der sich den „liberalen Eliten“ zugehörig fühlt, ohne an ihrer Spitze zu stehen, verfügt über die Voraussetzungen, deren Leben zu führen. Vor allem in Deutschland haben wir es mit einer Rentiersgemeinschaft zu tun, welche die vermeintlichen oder tatsächlichen Regeln der liberalen Elite nutzt, um sich durch eine herbeiphantasierte moralische (und weder durch verwertbares Wissen noch Vermögen vorhandene) Überlegenheit von konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen abzusetzen. Es ist der alte, bekannte Dünkel, der da Dinkelbrötchen kauend in aufgepeppten Birkenstocksandalen um die Ecke kommt. Man muss sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen und ihm bei seinem Streben, die Hegemonie zu erreichen, in den Arm fallen. Denn auch sich selbst als liberal sehende Idioten können Schaden anrichten.
