MESOPOTAMIA NEWS „BLUT FÜR ÖL“? – Rohstoffförderer Aserbaidschan : Der Krieg einer Öl-Macht

Aserbaidschan liefert wichtige Rohstoffe nach Europa. Ein militärischer Konflikt mit Armenien könnte die Handelsbeziehungen nun gefährden. Die Türkei will das verhindern – aus eigenem Interesse.  – Von Andreas Mihm, Wien FAZ – 01.10.2020-18:07

Für die Wirtschaft gibt es Chancen über Chancen. So als wäre in der Region in den vergangenen Wochen kein militärischer Konflikt ausgebrochen, will keiner der Redner auf dem ersten Kaspisch-Europäischen Forum am Donnerstag auch nur eine einzige dieser Chancen auslassen: Der kirgisische Außenminister lobte die Ressourcen für grüne Energie, der kasachische Industrieminister hebt die Möglichkeiten der Wasserstoffproduktion hervor, der iranische Energieminister preist sein Land als Brücke von Asien nach Europa, Aserbaidschans Energieminister seines als zuverlässigen Öl- und Gaslieferanten Europas und künftigen Knotenpunkt auf der Glasfaserstrecke nach Asien. Eine „Region der Möglichkeiten“, sagt auch Michael Harms, der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft.

Doch die Realität holt die Teilnehmer der Konferenz im Berliner Hotel Titanic ein. Die internationalen Sanktionen gegen Iran verbauen seit Jahren Geschäftsmöglichkeiten, und vor allem der frisch ausgebrochene bewaffnete Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Nagornyj Karabach mit Dutzenden Toten zeigt, wie fragil die Lage ist. Von einer „großen Bedrohung für die Sicherheit und Prosperität der Region“ spricht der aus Baku zugeschaltete Parviz Shahbazov, viele Jahre Botschafter in Berlin und seit 2016 Minister für Energie im autoritär regierten Aserbaidschan. Er wirft Armenien vor, die neue Aggression begonnen zu haben – ein Vorwurf, der sich aus der Ferne nicht klären lässt.

Bewaffneter Konflikt beunruhigt deutsche Unternehmen

So wie sich die EU-Staats- und -Regierungschefs über die Gewaltexzesse in der Kaukasus-Region besorgt zeigen, drängen Wirtschaftsvertreter auf eine friedliche Beilegung des Streits. Man sei in großer Sorge, sagt Harms und fordert, „alle möglichen Instrumente und Gesprächskanäle“ zur Beilegung zu nutzen“. Der Konflikt in der Region Nagornyj Karabach führe bei den etwa 200 deutschen Unternehmen vor Ort zu Verunsicherung, sagt Volker Treier, beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag für die Außenbeziehungen zuständig.

In der langen Liste der deutschen Außenhandelspartner steht Aserbaidschan zwar nur auf den hinteren Rängen: Platz 59 der Importe und 85 der Exporte. Aber im Kaukasus ist es der wichtigste Partner der deutschen Wirtschaft. Das bilaterale Handelsvolumen erreichte voriges Jahr 1,7 Milliarden Euro. Die Exporte aus Deutschland nach Aserbaidschan, vor allem Kraftfahrzeuge und Maschinen, stiegen im vergangenen Jahr auf 450 Millionen Euro. Die Importe schrumpften um 6 Prozent. Die 1,3 Milliarden Euro wurden fast vollständig zur Begleichung der Rechnung für das Öl eingesetzt, das von Aserbaidschan per Pipeline ans türkische Mittelmeer exportiert wird. Die EU billigt Aserbaidschan als Gegengewicht zu Russland eine wichtige Rolle als Energielieferant zu. Noch in diesem Jahr soll vom Gasfeld Shah Deniz 2 im Kaspischen Meer über den südlichen Gaskorridor via Türkei Erdgas nach Europa geliefert werden.

Türkei unterstützt das Land wirtschaftlich und militärisch

Dieses Jahr habe Aserbaidschan Russland als wichtigsten Gaslieferanten der Türkei abgelöst, sagt Energieminister Shahbazov in Baku. Für Präsident Recep Tayyip Erdogan ist die Intensivierung der Kooperation ein weiterer Schritt im lange verfolgten Bestreben, die Türkei zu einer Energiedrehscheibe auszubauen.

Das Land ist in der Region ein politisch wie wirtschaftlich potenter Spieler. Für Aserbaidschan ist es der zweitwichtigste Außenhandelspartner, nach Russland (als Lieferant) und Italien (als Abnehmer). Deutschland liegt jeweils auf Platz 5. „Die wirtschaftliche Verflechtung zwischen Aserbaidschan und der Türkei ist sehr stark“, sagt Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Die Türkei unterstützt das „Brudervolk“ Aserbaidschan diplomatisch und wohl auch militärisch. Nicht erst Präsident Erdogan weiß die Wirtschaftsmacht seines 82-Millionen-Einwohner-Landes auch negativ einzusetzen. Schon seit 1993 blockiert die Türkei den Handel mit dem Nachbarland. Armenien wiederum ist der flächenmäßig kleinste der fünf Teilnehmerstaaten der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion. Damit ist nach Syrien und Libyen eine weitere türkisch-russische Konfliktlinie im jahrzehntelangen Streit um die Zugehörigkeit von Nagornyj Karabach beschrieben.

Mit 3 Millionen Einwohnern und einem nominalen Bruttoinlandsprodukt von knapp 14 Milliarden Dollar (Deutschland: 3344 Milliarden Dollar) kommt Armenien nur etwa auf ein Drittel der wirtschaftlichen Stärke Aserbaidschans. Neben der Corona-Krise ist das von Öl- und Gasexporten abhängige Aserbaidschan stark vom Verfall der Rohstoffpreise betroffen. So hat sich in den ersten 7 Monaten der Wert der deutschen (Öl-)Einfuhr auf 466 Millionen Euro halbiert, der der Exporte ging um ein Fünftel auf 206 Millionen Euro zurück. Dass die deutsche Ausfuhr nach Armenien um 44 Prozent auf 133 Millionen Euro hochschnellte, hängt wohl mit zwei großen Industrieprojekten mit deutscher Beteiligung (Siemens, Krone) zusammen.

Deutschland könnte als Handelspartner abspringen

Aserbaidschans Regierung hatte einen Teil der Verkaufserlöse aus dem Öl-und Gasgeschäft in den vergangenen Jahren in einen Fonds eingezahlt. Der bunkerte Anfang dieses Jahres rund 43,4 Milliarden Dollar. Mit dem Geld soll die wirtschaftliche Diversifizierung des trotz seines Öl- und Gasreichtums armen Landes belebt werden. Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Digitalisierung, auch Tourismus und Landwirtschaft. Hier machen sich auch deutsche Unternehmen einige Hoffnungen.

Nach dem Einbruch im Frühjahr hätten sich die deutschen Handelsbeziehungen zu Armenien und Aserbaidschan gerade wieder erholt, sagt der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes. Das gelte auch für die Wachstumsperspektiven beider Länder. Jetzt ist er skeptisch: „Sollte der Konflikt im Kaukasus dauerhaft eskalieren, wird dies die Erholungstendenzen wieder zunichtemachen und die Rahmenbedingungen für ein wirtschaftliches Engagement in der Region extrem verschlechtern.“

Direkte Folgen für die deutsche Wirtschaft hat der Konflikt bisher nicht. Auf indirekte weist indes Treier vom DIHK hin: „Über Aserbaidschan hinaus hat der Konflikt in den letzten Tagen bereits zu einer Abwertung der türkischen Währung geführt. Das erschwert den Export deutscher Waren in die Türkei noch weiter.“

www.mesop.de