MESOPOTAMIA NEWS : ALLGEMEINER MENSCHENRECHTS REPORT TÜRKEI

Meldungen des DTF im Februar 2019 – Demokratisches Türkeiforum

Die folgenden Nachrichten wurden im Februar 2019 vom DTF erfasst und teilweise gekürzt oder zusammenfassend übersetzt.

 

EGMR verurteilt Türkei wegen erschwerter lebenslanger Haft – BIA News Desk, 12.02.2019

Im Fall von Civan Boltan, einem Verurteilten mit Behinderungen, der geklagt hatte, dass zu erschwerter lebenslanger Haft Verurteilte lebenslang im Gefängnis bleiben sollen ohne der Möglichkeit auf Entlassung, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Türkei erneut verurteilt.

Der EGMR entschied, dass die Türkei gegen Artikel 3 der Europäischen MenschenrechtsKonvention (EMRK), das Verbot von Folter und Misshandlung, verstoßen habe und beschloss, dass die Türkei 1.500 Euro bezahlen muss um die Ausgaben von Boltan für Gerichtskosten zu erstatten.

Der 28-jährige Boltan, der derzeit im Gefängnis Bolu inhaftiert ist, war 2012 verletzt worden, als er versuchte eine Bombe auf eine Gruppe von Soldaten zu werfen. Ein Arm musste amputiert werden und er verlor die Sehkraft seines linken Auges.

2014 wurde er in einem Verfahren wegen „Mitgliedschaft in der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. Seine Verurteilung wurde vom Kassationshof bestätigt.

Im Februar 2015 forderte Boltan, dass seine Haftbedingungen seinen Behinderungen angepasst werden, dass er z.B. nicht in einer Einzelzelle gehalten wird, wie es in seinem Urteil festgelegt wurde, so dass ihm von Mitgefangenen beim täglichen Leben geholfen werden kann.

Zwei medizinische Gutachten bestätigten, dass sein Gesundheitszustand die Unterstützung anderer erfordert, aber nicht, dass der Strafvollzug ausgesetzt wird.

Seine Forderung wurde im Oktober 2015 von dem Richter, der für den Strafvollzug zuständig ist, zurückgewiesen und von dem Gericht für schwere Strafsachen abgelehnt. Am 11. Dezember 2015 klagte Boltan beim Verfassungsgericht, dass seine Haftbedingungen bei seinen Behinderungen unverträglich seien.

Nachdem das Verfassungsgericht am 18. Mai 2016 seine Klage als verjährt zurückgewiesen hatte, reichte Boltan eine Klage beim EGMR ein, weil seine Unterbringung in einer Einzelzelle im Hinblick auf seine Behinderungen auf unmenschliche Behandlung hinauslaufe und dass eine Gefängnisstrafe bis zum Lebensende nicht im Einklang stehe mit Artikel 3 der EMRK. In seinem Urteil erklärte der EGMR, dass die Haftbedingungen zwar nicht Artikel 3 der EMRK

verletzten, dass aber dieser Artikel verletzt werde, weil die Haftstrafe bei erschwerter lebenslanger Haft nicht reduzierbar ist.

2014 hatte der EGMR erstmals das gleiche Urteil im Fall des inhaftierten Vorsitzenden der PKK Abdullah Öcalan erlassen. Das Gericht gab 2015 die gleichen Urteile in zwei weiteren Fällen (Gurban und Kaytan) ab.

Laut dem EGMR ist eine lebenslange Haftstrafe keine Rechtsverletzung während das Fehlen eines Mechanismus eine Verurteilung zu bewerten eine Rechtsverletzung ist.

 

BIA Medien-Überwachungsbericht 2018

Bianet gab am 20. Februar 2019 die Ergebnisse des Medienüberwachungsberichts für das Jahr 2018 und Vergleiche mit den Vorjahren bekannt. Folgende Ergebnisse wurden für das Jahr 2018 berichtet:

Ende 2018 waren 123 Journalisten inhaftiert, 47 von ihnen waren verurteilt, gegen 34 liefen Gerichtsverfahren und gegen 30 liefen Ermittlungen. In 12 Fällen waren die Verfahren am Revisionsgericht anhängig. 157 Journalisten wurden 2018 gefeuert oder gezwungen aufzuhören. Der Bericht stellt fest, dass abgesehen von ein paar Urteilen in den ersten Monaten von 2018 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Verfassungsgericht funktionslos geworden sind. In den letzten beiden Jahren wurden 7 Journalisten zu insgesamt fünfmal lebenslanger Haft und 45 Jahren Gefängnis verurteilt wegen „Putschversuch“ und „Angriff auf die Sicherheit des Staates“. 64 Journalisten wurden zu insgesamt 480 Jahren und 2 Monaten Gefängnis verurteilt wegen „Leitung einer Terror-Organisation“, „Mitgliedschaft in einer TerrorOrganisation“ und „Unterstützung einer Terror-Organisation“. 52 Journalisten wurden nach dem Anti-Terror-Gesetz zu insgesamt 122 Jahren, 6 Monaten und 3 Tagen verurteilt (14 Jahre, 10 Monate und 7 Tage der Haftstrafen wurden ausgesetzt). 123 Journalisten waren hinter Gittern wegen ihrer beruflichen und politischen Aktivitäten. 47 Journalisten wurden in Polizeihaft genommen, 19 Reporter und ein MedienUnternehmen wurde angegriffen, 20 Journalisten, Reporter und Kolumnisten wurden wegen ihrer Nachrichten-Artikel und Kritik wegen „Beleidigung des Präsidenten“ verurteilt. Mindestens 2.950 Nachrichten-Artikel im Internet wurden blockiert aufgrund von Entscheidungen des Strafgerichts des Friedens.  Die 73 Journalisten, die nach dem Putschversuch von 15. Juli 2016 bei Operationen gegen die „Fethullahistische Terror-Organisation/ Paralleler Staat Struktur“ festgenommen worden waren, waren am 01. Januar 2019 noch im Gefängnis.  38 Journalisten und Medien-Angestellte waren am 01. Januar 2019 im Gefängnis unter Anklagen im Zusammenhang mit Organisationen wie der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), der Union Kurdischer Gemeinschaften (KCK), der Demokratische Union Partei (PYD). Mindestens 19 Journalisten und ein Medien-Unternehmen wurden 2018 angegriffen. 70 Journalisten und 4 Medien-Unternehmen erhielten Drohungen.

Verurteilungen wegen „Beleidigung“ Mindestens 20 Journalisten wurden zu insgesamt 38 Jahren, 5 Monaten und 4 Tagen Haft (von denen 6 Jahre, 10 Monate und 12 Tage zur Bewährung ausgesetzt wurden) und zu Geldstrafen von 35.000 TL (6600 USD) verurteilt wegen Kritik an und Beleidigung von Präsident und AKP-Vorsitzendem Recep Tayyip Erdoğan . Artikel 299 des türkischen Strafrechts, der seit der Wahl von Erdogan zum Präsidenten im August 2014 extensiv angewandt wird, war die Grundlage für die Verurteilung zu Haftstrafen Bewährungsstrafen und Geldstrafen von mindestens 54 Journalisten. Das Urteil des Verfassungsgerichtes 2017 – trotz der Kritik der Gerichtsbarkeit, dem Minister-Komitee des Europarates, der Venedig-Kommission und der Europäischen Union – , dass der Artikel 299 „nicht die Verfassung verletzt“ ebnete den Weg für weitere Menschenrechtsverletzungen.

Blockieren von Äußerungen in den Medien und Zensur 2018 wurden mindestens 2.950 online-Artikel, 77 Tweets, 22 Facebook-Posts, 5 FacebookVideos und 10 Websites blockiert. Drei Verbote von Sendungen wurden erlassen, eine von ihnen war temporär. 8 Zeitungen, 2 TV-Kanäle, 2 Briefe, 1 Bericht, 1 TV-Serie und 1 Interview wurden zensiert. Wikipedia, die bekannteste Internet-Enzyklopädie der Welt, war während des ganzen Jahres zensiert.

Verurteilungen wegen “Spionage”, “Terrorismus”, “Beleidigung” 2018 wurden 5 Journalisten wegen „Putschversuch“ zu erschwerter lebenslanger Haft verurteilt. 59 Journalisten wurden zu insgesamt 419 Jahren, 8 Monaten und 8 Monaten verurteilt wegen „Mitgliedschaft in einer Terror-Organisation“, „Leitung einer TerrorOrganisation“ und „Unterstützung einer Terror-Organisation“ verurteilt. 7 Journalisten wurden zu insgesamt 7 Jahren, 2 Monaten und 7 Tagen (2 Jahre, 2 Monate und 7 Tage davon ausgesetzt) verurteilt wegen „Beleidigung von Staatsinstitutionen“. Ein Journalist wurde zu 10 Monaten Haft verurteilt wegen „Verletzung des privaten Lebens“, 1 Journalist wurde wegen „Aufstachelung zu einer Straftat“ zu 5 Monaten Haft verurteilt. 7 Journalisten wurden wegen „Beleidigung“ nach dem türkischen Strafrecht zu insgesamt 4 Jahren, 9 Monaten und 17 Tagen Gefängnis verurteilt, von denen 2 Jahre, 8 Monate und 15 Tage ausgesetzt wurden. Ein Illustrator und ein Medien-Unternehmen wurden zu insgesamt 18.000 TL Geldstrafe verurteilt.

Verurteilungen nach dem Anti-Terror-Gesetz 2018 wurden mindestens 21 Journalisten unter den Anklagen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ oder „Veröffentlichung von Erklärungen terroristischer Organisationen“ zu Haftstrafen von insgesamt 67 Jahren, 7 Monaten und 4 Tagen verurteilt, 8 Journalisten wurden freigesprochen.

Rückzug des Verfassungsgerichtes Das Verfassungsgericht verurteilte 2018 die Türkei zu Kompensationszahlungen von 135.881 TL in 18 verschiedenen Verfahren, 10 der Verfahren waren von Journalisten eingeleitet worden, eins von einer Zeitung, eins von einem Online-Portal. Nach dem Beschluss des Verfassungsgerichtes im Januar 2018, die Journalisten Şahin Alpay, Mehmet Altan und Turhan Güney frei zu lassen, zog sich das Gericht in die Stille zurück. .

Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 2018 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei zu Wiedergutmachungszahlungen von 73.000 Euros an 12 Personen, darunter 6 Journalisten und zwei Verleger, wegen Verletzung der Meinungsfreiheit.

157 Journalisten wurden arbeitslos 2018 wurden 157 Journalisten und Medien-Angestellte entlassen, zur Kündigung gezwungen oder wurden arbeitslos nach der Kündigung des Programms, bei dem sie mitarbeiteten.

Verbote von Sendungen 2018 verbot der Hohe Rat für Radio und Fernsehen (RTÜK) vorübergehend die Sendung von 67 TV-Programmen, erließ 85 Geldstrafen und eine Verwarnung an TV-Netzwerke. 5 RadioProgramme wurden vorübergehend verboten und eine Geldstrafe wurde verhängt. Insgesamt verhängte RTÜK Geldstrafen in einer Gesamthöhe von 11.951.153 TL.

İstanbul – BİA Haber Merkezi 20 February 2019, Wednesday Erol Önderoğlu

 

Offener Brief von führenden NGOs in der Türkei

Türkei, 27. Februar 2019

Wir stehen zusammen gegen die Versuche, die Zivilgesellschaft zu zerstören

In Reaktion auf die absurden Vorwürfe, die gegen Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu, die sich in Untersuchungshaft befinden, sowie gegen 14 weitere zivilgesellschaftlich engagierte Personen – alle angeklagt des “Versuches, die Regierung zu stürzen“ – rufen wir, die unterzeichnenden Menschenrechtsorganisationen, dazu auf, die immer weiter zunehmenden Angriffe auf die Zivilgesellschaft und deren Kriminalisierung zu beenden.

In den letzten fünf Tagen ließen die etablierten Medien in einer organisierten Desinformationskampagne angebliche Einzelheiten aus der Anklageschrift gegen diese 16 Aktivisten der Zivilgesellschaft durchsickern. Gemäß diesen kolportierten Informationen aus der Anklageschrift, die noch nicht einmal von den Rechtsanwälten der Angeklagten eingesehen werden konnte, konzentrieren sich die Anschuldigungen auf die Gezi-Park Proteste aus dem Jahr 2013, eine ganz überwiegend friedliche Protestbewegung, die von der Regierung mit massiver Polizeigewalt niedergeschlagen wurde.

Im Rahmen desselben Ermittlungsverfahrens werden die Ermittlungen gegen eine noch weit größere Gruppe zivilgesellschaftlich engagierter Personen weiter fortgesetzt. Die angeklagten Personen und die, gegen die noch ermittelt wird sind weder verantwortlich für die Gezi-Park Proteste, die als legitime Form der freien Meinungsäußerung zu betrachten sind, noch haben sie irgendeine Straftat begangen. Das Gericht sollte eine Anklageschrift zurückweisen, die auf absurden Verschwörungstheorien beruht und keine relevanten Fakten enthält. Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu, die seit 16 bzw. 3 Monaten inhaftiert sind, müssen unverzüglich freigelassen werden.

Gleichzeitig mit diesem erneuten Angriff auf die Zivilgesellschaft sind Menschenrechtsverteidiger und andere zivilgesellschaftliche Aktivisten in immer stärkerem Maße mit Festnahmen, Anklagen und Inhaftierung konfrontiert – allein dafür, dass sie Menschenrechtsverletzungen angeprangert und Wahrheit, Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung gefordert haben.

Nächsten Monat wird die 17. Verhandlung in dem “Büyükada”-Prozess gegen 11 Menschenrechtsverteidiger stattfinden. Für die erfundenen Terrorismus-Vorwürfe, die ausschließlich auf der Menschenrechtsarbeit der Angeklagten beruhen, wurden keinerlei Belege vorgelegt.

Die Menschenrechtsverteidiger Şebnem Korur Fincancı, Erol Önderoğlu und Ahmet Nesin stehen vor Gericht unter dem Vorwurf, sie hätten „Terrorismus-Propaganda“ betrieben, indem sie sich an einer Solidaritätsaktion für die inzwischen verbotene Zeitung Özgür Gündem beteiligt haben. Journalisten, die für die Özgür Gündem gearbeitet haben, werden ebenfalls mit Prozessen überzogen. Vor zwei Monaten wurde Şebnem Korur Fincancı wegen „Terror-Propaganda“ zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, weil sie die „Friedenspetition“ unterzeichnet hatte. Die Bestätigung dieses Urteils ist noch vor dem regionalen Berufungsgericht anhängig. In vorausgegangenen Urteilen hat sich jedoch gezeigt, dass diese Berufungsgerichte nicht unabhängig von der Regierung sind.

Die Menschenrechtsverteidigerin Eren Keskin, die aus Solidarität die Funktion einer CoChefredakteurin der Özgür Gündem übernommen hatte, ist in über 100 Verfahren angeklagt. Inzwischen wurden 129 Personen aus der Bewegung “Akademiker für den Frieden” zu Haftstrafen verurteilt. 25 von ihnen steht unmittelbar die Inhaftierung bevor, wenn die Berufungsgerichte, an denen die Verfahren noch anhängig sind, die Urteile bestätigen.

Prozesse, wie die wegen der Solidaritätsaktionen mit Özgür Gündem und gegen die “Akademiker für den Frieden” sind ein Instrument der Regierung, um hunderte zivilgesellschaftlich engagierter Personen in der Türkei zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen. Diese Situation wurde dadurch hervorgerufen, dass die Gerichte immer härtere Urteile für ähnliche Formen legitimer und friedlicher oppositioneller Betätigung verhängt haben.

Internationale Konventionen und Verträge, die von der Türkei unterzeichnet wurden, heben die wichtige Rolle hervor, die Menschenrechtsverteidiger, die Zivilgesellschaft und eine freie Presse dabei spielen, die Wahrung der Menschenrechte und grundlegender Freiheiten sicherzustellen. Der wirksame Schutz der Freiheit, Sicherheit, Würde und physischer und psychischer Integrität von Menschenrechtsverteidigern ist eine Voraussetzung für die Verwirklichung des Rechts, die Menschenrechte zu verteidigen.

Das internationale Recht betont ebenfalls, dass es in der Verantwortlichkeit der Staaten liegt, Menschenrechtsverteidiger zu schützen. Der Staat ist dafür verantwortlich, sämtliche Rechte von Menschenrechtsverteidigern zu wahren: von dem Recht auf freie Meinungsäußerung bis zum Recht auf die friedliche Ausübung der Organisations- und Versammlungsfreiheit.

Wir, die unterzeichnenden Organisationen stehen zusammen gegen diese Versuche, die unabhängige Zivilgesellschaft in der Türkei zu zerstören, rufen dazu auf, die manipulierte

Kampagne der Einschüchterungen und juristischen Schikanen gegen zivilgesellschaftliche Aktivisten in der Türkei zu beenden und erinnern die Verantwortlichen an ihre völkerrechtliche Verpflichtung, Menschenrechtsverteidiger zu schützen.

Civil Rights Defenders Association for Monitoring Equal Rights (Eşit Haklar İçin İzleme Derneği) Memory Centre (Hakikat Adalet Hafıza Merkezi) The Rights Initiative (Hak İnisiyatifi Derneği) Human Right Association (İnsan Hakları Derneği) Human Rights Agenda Association (İnsan Hakları Gündemi Derneği) Reporters Without Borders (Sınır Tanımayan Gazeteciler) Human Rights Foundation of Turkey (Türkiye İnsan Hakları Vakfı) Citizens’ Assembly Turkey (Yurttaşlık Derneği) Amnesty International (Uluslararası Af Örgütü)

Demokratisches Türkei Forum e. V. Dellestraße 11, 22043 Hamburg

www.mesop.de