MESOPOTAMIA NEWS : „ALLES SCHÖNREDEN DAS IST DIE GANZE POSTMODERNE“ – WER DAS WORT HAT – HAT DIE WIRKLICHKEIT !

„Integrationskommission hat Arbeitsauftrag bewusst ignoriert“

Von Marcel Leubecher  – Politikredakteur  DIE WELT  27 an 2021  –  Annette Widmann-Mauz (CDU), Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration im Kanzleramt

Begriff „Migrationshintergrund“ ersetzen: Der zentrale Rat der Regierungskommission zur Integration löst Unmut aus. Unionspolitiker und Forscher rügen: Widmann-Mauz (CDU) und ihre Kollegen hätten nicht untersucht, wie viel Zuwanderung Deutschland dauerhaft verträgt.

Mehrere CDU-Bundestagsabgeordnete und Migrationsexperten haben scharfe Kritik an der Integrationskommission der Bundesregierung geübt.

Das Gremium mit 25 Mitgliedern hatte vergangene Woche nach zweijährigen Beratungen, die federführend von der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) begleitet worden waren, seinen Abschlussbericht vorgelegt und als zentrales Ergebnis empfohlen, künftig auf den Begriff „Migrationshintergrund“ zu verzichten.

Der CDU-Innenpolitiker Christoph de Vries kritisierte: „Die Fachkommission hat ihren Arbeitsauftrag nicht nur bewusst ignoriert, sondern sich stattdessen ungefragt zu allgemeinen integrationspolitischen Fragestellungen relativ einseitig positioniert. Das ist schon ein starkes Stück und ein sehr ungewöhnlicher Vorgang.“

Arbeitsauftrag an die Kommission sei es gewesen, „darzulegen, wie viel Zuwanderung Deutschland unter welchen Rahmenbedingungen mit Blick auf die Integration dauerhaft verträgt“, sagte de Vries WELT. Ausgangspunkt der Kommission sei die Festlegung der schwarz-roten Koalition auf einen „Zielkorridor“ von maximal 220.000 Zuwanderern jährlich gewesen.

Der Innenpolitiker bemängelte, dass die Kommission „Integration als Aufgabe des Staates und der Mehrheitsgesellschaft beschreibt und nicht vornehmlich als eine Bringschuld der Migranten“. Bestehende Integrationsdefizite würden „weitgehend ausgeblendet und Integrationsfähigkeit als Kategorie abgelehnt, obwohl es wissenschaftlich anerkannte Indikatoren wie Erwerbsbeteiligung, Bildungsabschlüsse oder Delinquenz“ gebe, um den durchschnittlichen Integrationserfolg von Gruppen zu erheben.

Migrationskrise

„Eine Million Zuwanderer in Hartz IV“ – hat Friedrich Merz recht?

De Vries: „Verbalakrobatik über Migrationsbegrifflichkeiten anstelle einer substanziellen Auseinandersetzung mit Integrationsdefiziten hilft aber weder den Migranten noch der Mehrheitsgesellschaft.“

„Glaube, dass man durch neue Wörter neue Wirklichkeit schaffen kann“

Der Integrationsforscher Ruud Koopmans sagte WELT: „Leider folgt die Integrationskommission der akademischen Mode, mehr über Begriffe als über die ihnen zugrundeliegenden Phänomene zu diskutieren.“ Der Berliner Professor kritisiert: „Der Glaube, dass man durch neue Wörter eine neue Wirklichkeit schaffen kann, ist stark. Dabei würde jeder neue Begriff für Migrationshintergrund nach fünf Jahren wieder als stigmatisierend empfunden.“

Lesen Sie auch

Linda Zervakis

„Die Dimensionen der Cancel Culture sind wirklich extrem“

Hintergrund sei, „dass im migrantischen Teil der Bevölkerung leider die Erwerbsbeteiligung niedriger und die durchschnittliche Straffälligkeit höher“ sei. „Diese negativen statistischen Merkmale zu beseitigen, durch kluge Migrationssteuerung und Integrationspolitik, ist das vorrangige Ziel, die Begriffe spielen eine untergeordnete Rolle.“

„Die Kommission hat ihr eigentliches Ziel, Vorschläge für eine bessere Integration von Migranten zu unterbreiten, völlig verfehlt“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Bernstiel. Der Bericht lese sich „an vielen Stellen wie ein Protokoll eines akademischen Debattierklubs“, der sich „darauf konzentriert, Begriffe anzuprangern“. Die Frage „ob der Begriff Migrationshintergrund diskriminierend ist“, sei von nachrangiger Bedeutung.

Sein Parteikollege Marian Wendt sagte: „Statt Probleme und Lösungsvorschläge aufzuzeigen, beschäftigt sich der Bericht der Fachkommission lieber mit Begrifflichkeiten.“ Integration könne nur gelingen, wenn klar benannt werde, was von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland erwartet werde.

 

Migrationspolitik

So wollen die Grünen die „Einwanderungsgesellschaft“ zum Staatsziel machen

Lesen Sie auch

 

Neues Positionspapier

SPD-Migrationspolitiker wollen Familiennachzug ausweiten

 

Ali Ertan Toprak (CDU), Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland, kritisiert: „Der Bericht der Fachkommission Integrationsfähigkeit ist eine Riesenenttäuschung und hat auch die Arbeit der vorherigen Kommissionen und Beiräte im Bundeskanzleramt seit 2006 zunichtegemacht.“ Leider bewege sich die Regierungskommission gedanklich in einem „linksliberalen Zeitgeist, der an einem Tag eine Migrantenquote einführen und am nächsten Tag den Begriff Migrationshintergrund streichen will“.

Toprak fordert „eine Anerkennungskultur, die alle Staatsbürger als vollwertige Deutsche ansieht“. Integration könne nur im Einvernehmen mit der aufnehmenden Gesellschaft gelingen, nicht gegen sie. Wer den Einheimischen zu viel abverlange, gefährde den sozialen Frieden. „Das nützt nicht den Migranten, sondern stärkt allein die Rechten.“

„Integrationsfähigkeit“: Kommission stellt Begriff im eigenen Namen infrage

Hintergrund der Kommission war eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag von 2018. CDU, CSU und SPD wollten von einem Expertengremium die Integrationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft untersuchen lassen, etwa bezüglich der Knappheit von Kita-Plätzen und günstigen Wohnungen. Im Vertrag heißt es, man wolle „die Migrationsbewegungen nach Deutschland und Europa angemessen mit Blick auf die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft steuern und begrenzen“.

Teil des Maßnahmenpakets sei die Einsetzung einer Fachkommission der Bundesregierung, „die sich mit den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit befasst und einen entsprechenden Bericht dem Deutschen Bundestag zuleitet“.

Als der Bericht vergangene Woche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) übergeben wurde, war von einer Untersuchung der Integrationsfähigkeit nichts mehr zu lesen. In der Einleitung der 200 Seiten langen Informationssammlung erklärte die „Fachkommission Integrationsfähigkeit“, so ihr offizieller Name, im Zuge der Beratungen habe man „entschieden, vom Begriff der ,Integrationsfähigkeit‘ Abstand zu nehmen“, da dieser „eine Verengung“ darstelle.

Der Begriff vermittele, dass es „für Integration eine klare Grenze“ gebe, die „schon aus analytischen Gründen nicht existieren“ könne. Daher beschloss die Kommission, sich nicht auf Integrationsfähigkeit, „sondern auf die Frage zu konzentrieren, wie man die Integrationsprozesse so gestalten kann, dass sie in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht erfolgreich verlaufen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“.

Die zentrale Handlungsempfehlung bei der begleitenden Pressekonferenz war die Ersetzung des Begriffs „Migrationshintergrund“. Stattdessen solle künftig der migrantische Teil der Bevölkerung als „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ bezeichnet werden. Auch solle die statistische Kategorie „Migrationshintergrund“ ersetzt werden.