MESOPOTAMIA CULTUR : WAS EIGENTLICH IST HASSREDE ? – CANETTIS ALPTRAUM
DIE FREUDEN DER WACHSENDEN SPRACHLICHEN DICHOTOMIE = „ALLES NAZIS – ODER WAS“!? – Von YANNIK WEBER
HASSREDE
I Einführung: Heute wird zunehmend in Floskeln und vorgestanzten Argumentationsmustern gesprochen, gestritten und wohl auch gedacht. Sprachhülsen offenbaren sich nur dem als inwendig leer, der sie hinterfragt, wozu in Diskussionen kein Anlass besteht, deren Ausgang meist von vornherein klar ist. Der offene Meinungsaustausch’ wird nahezu unmöglich, wenn die Sprache von politischen oder politisierten Begriffen beherrscht wird, die überwiegend nicht beschreiben, sondern bestimmen, also auf einen Zweck hin die Behandlung eines Themas vorformen sollen. In diesem Text sollen Ansätze zur Beantwortung der Frage gegeben werden, warum sich das politische Sprechen in Deutschland in den letzten knapp drei Jahren sehr deutlich verändert hat.
II Enthemmung/Verwirrung: Gegen eine Ordnung der Sprache spricht nichts. Lässt man ihre Zügel los, schießt sie ohne Rücksichten dahin und richtet womöglich Schaden an. Redaktionen, stilistische Ermahnungen, Sprachregelungen, Höflichkeit und in eng begrenzten Ausnahmefällen sogar staatliche Strafandrohung haben daher ihre Berechtigung. Die westeuropäischen Staaten gehen jedoch einen Sonderweg, allen voran Deutschland, das sich das Kuriosum einer amtlich geforderten, staatlich finanzierten und von regierungsnahen Medien unterstützten »Zivilgesellschaft« leistet. Un-/Erwünschte Begriffe und (öffentlich kundgegebene) Empörung spielen auf der republikanischen Bühne eine zentrale Rolle. Wir sehen eine massive und vor allem besorgniserregend schnelle Eskalation politisierter2 und sogar ideologisierter Sprache im (auch transatlantischen) >Westen«.
In Deutschland wurde das besonders deutlich an der Bezeichnung der seit 2015 in großer Zahl unter Umgehung der (für Asylbewerber bis dahin) geltenden Regeln gekommenen Personen vom Balkan, aus überwiegend moslemisch geprägten Teilen Asiens und aus Afrika. Diese, in allergrößter Zahl keine »Flüchtlinge« nach der Genfer Flüchtlingskonvention3, wurden je nach ideologischer Präferenz von den verschiedenen politischen Lagern sofort in kreativer Weise benannt. Auf der »linken« Seite des Spektrums sprach man entweder — bei vielen, gerade afrikanischen Migranten auf der Suche nach Arbeit und westlichen Karrieren: eindeutig kontrafaktisch — dennoch von »Flüchtlingen« oder (weil das Suffix »-ling« vermeintlich abwertet) von »Geflüchteten«, teils auch emotionalisierend von »Schutzsuchenden«.4 Auf der anderen Seite des sogenannten Verfassungsbogens kamen Begriffe wie »Asylbetrüger« auf für Personen, denen das für Unrechtsbewusstsein und damit für ein »betrügerisches Handeln« nötige Wissen um eine noch dazu komplexe Rechtslage eindeutig fehlte. Nach massenhaften sexuellen Übergriffen und zunehmenden Berichten überVergewaltigungen von Frauen durch Einwanderer wurde zum Nachteil einheimischer Frauen wurde auch der Begriff »Rapefugee« verwendet.
In beiden Fällen, bei den als Verharmlosung einer sozialen Konfliktlage begreifbaren Bezeichnungen wie bei den pauschal verunglimpfenden, wird ein Generalbegriff gefunden für eine ausgesprochen heterogene Gruppe. Wer nicht mehr differenzieren kann zwischen tatsächlichen Bürgerkriegsflüchtlingen (etwa aus Syrien), afrikanischen Glücksrittern (die, je nach Sichtweise, ein ihnen zu Unrecht verwehrtes »besseres Leben» beanspruchen oder als »Siedler« die europäischen Völker verdrängen sollen) und organisiert einreisenden balkanischen oder maghrebinischen Kriminellen, der kann die Problemlage nicht mehr benennen. Dies macht eine sachlich angemessene Diskussion nahezu unmöglich — was freilich weniger an den politischen Diskutanten, sondern an den exekutiv Verantwortlichen liegt, die eine solche quantitativ durchaus überfallartig zu nennende Einwanderungsbewegung gleichzeitig aus ganz verschiedenen Ländern und Kontexten steuerungslos haben geschehen lassen. Verwaltungs- und Regierungshandeln bzw. -nichthandeln kann kaum mehr hinterfragt werden, da schon die verwendeten Begriffe verkehrt sind, also jede Befassung mit dem Thema sich in politischen und sogar weltanschaulichen Konflikten verstricken muss. Und vielleicht war das ja auch genau so gewollt.
Die innen- und pressepolitische Auseinandersetzung um die Einwanderungsbewegung, die bis heute anhält, zeigte weitere begriffliche Eskalationsspitzen. Aus Minister- und sogar Präsidentenmund war man Volksbeschimpfungen wie »Pack« und »Dunkeldeutschland« bislang nicht gewohnt; zugleich gehörten von größeren Gruppen skandierte »Volksverräter«-Rufe herkömmlich nicht zur Geräuschkulisse bei Besuchen von Regierungsvertretern. Die sichtbar gewordene Verrohung der öffentlichen Sprache, ihre Enthemmung ist kein Seitenphänomen eines Stilwandels »durch das Internet«, sondern Ausdruck einer zunehmenden Repolitisierung und damit Polarisierung der Bürgerschaft.
III Polarisierung: Man kann die deutsche öffentliche Sprache seit der letzten Jahrhundertwende nicht kennzeichnen, ohne die polarisierenden Hohlformeln zu erwähnen. Dabei schien ihr Einsatz bisher eher von »oben» auszugehen, also von denjenigen, die über die Meinungsmacht durch Zugang zu Informations- und Bewertungsmittlern großer Reichweite verfügen. Eine statistische Erhebung ergäbe mit großer Wahrscheinlichkeit, dass in den Presse- und Funkprodukten mit der größten Reich-weite Formulierungen wie »umstritten«, »Parolen«, »Hetze«, »Extremisten« und »Populisten« ganz überwiegend, wenn nicht ausschließlich, zur Beschreibung »rechter« Akteure verwendet werden, dagegen »engagiert«, »kritisch« bzw. »Kampf gegen …«, »Gesicht zeigen«, »auf die Straße gehen« zur Beschreibung als »links« eingeschätzter Einstellungen und Verhaltensweisen.5
Die nach der Zahl erreichter Menschen einflussreichste Polarisierung dürfte hierbei durch Nachrichtenmedien geschehen. Es wäre müßig, hier konkrete Fallbeispiele aufzuhäufen. Man betrachte an einem beliebigen Abend Aufbau und Präsentation von Nachrichten, soweit diese geeignet sind, politisch-weltanschaulich zu polarisieren. Vom betont besorgten Gesichtsausdruck der Nachrichtensprecher bei politischer Kriminalität, Extremismus oder auch nur kontroversen politischen Positionierungen über die Auswahl des berichtenswerten nach Skandalisierungspotenzial bis hin zur Ausblendung (einen dargestellten Konsens störender) abweichender Haltungen wird durchgängig sichtbar, dass selbst Spitzenjournalisten Schwierigkeiten haben, ihren Neutralitätsanspruch zu wahren. Besonders deutlich wurde dies bei der Berichterstattung über den Wahlkampf des heutigen US-Präsidenten Trump, als Skandale seiner Widersacherin Clinton kaum, Trumps Peinlichkeiten aber mit hämischem Unterton wieder und wieder präsentiert wurden, sodass Clintons Niederlage für den Deutschen, der sich nur aus europäischen Medien informiert hatte, völlig überraschend kommen musste. Nur wer die (in Europa wie in den USA gleichermaßen) einseitige Berichterstattung der großen Nachrichtensender und vieler Zeitungen mit den (gleichermaßen propagandistisch bis zur Lächerlichkeit agierenden) »freien« Trump-Unterstützern im Internet verglich, konnte ein halbwegs zutreffendes Lagebild erhalten.
Neben Polarisierung und Neutralitätsverlust tritt als drittes Problem der öffentlichen Kommunikation unter den Bedingungen von Verrohung und Verwirrung die Emotionalisierung oder Übersensibilisierung. Es fragt sich, was der »Hass» wirklich ist, der die »Hassrede« erst zu einer solchen macht.
IV Was ist Hass?: Eine gewalttätige, von starker Abneigung, Aggressionen und Verunglimpfungen geprägte Sprache gehört heute für sehr viele (nicht mehr nur junge) Menschen zur Alltagsgewohnheit.6 Ausdrücke und Themen, die andere schockieren, müssen vom Sprecher nicht mit dieser Intention geäußert worden sein. Sofern es zu Verbalinjurien gegen Einzelpersonen oder Gruppen kommt, sollte der Vorwurf statt »Hass« häufig besser »mangelnde Sensibilität« lauten.7
»Hassrede« ist ein politischer Begriff, auslegungsbedürftig, aber nicht präzise auslegungsfähig. »Hass« ist für sich genommen nicht justiziabel; Beleidigung, Bedrohung und der Aufruf zu Straftaten sind bereits als solche strafbar. Was also meint »Hassrede« in medienpolitischen Zusammenhängen, und welchem Zweck dienen die aufwendigen und millionenschweren Gegenmaßnahmen?
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg definiert: »Hate Speech sind Hassreden, die vor allein in sozialen Netzwerken gepostet, geliket und gerechtfertigt werden. Sie enthalten Äußerungen, die Personen zum Beispiel wegen ihrer Herkunft und ihrer sozialen Zugehörigkeit diskriminieren. Ziel ist, Hass auszudrücken und zu verbreiten.«8
Daraus lernt der Leser, wenn er die eingeschobenen Beispiele beiseitelässt, dass Hassreden eben Hassreden sind, deren Ziel es ist, Hass auszudrücken. Etwas präziser wird das Ministerkomitee des Europarates: »Erklärungen, insbesondere über die Medien, […] welche verstandesmässig [sic!] aufgefasst werden können als Hassrede oder als eine Rede mit der Wirkung, dass Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Diskriminierung oder von Hass, die auf Intoleranz gründen, gutgeheissen [sic!], verbreitet oder gefördert werden. Diese Ausdrucksformen müssen bei jeder Gelegenheit öffentlich verboten und verurteilt werden.«9
Um eine »Hassrede« handelte es sich demnach auch dann, wenn weder der sich Äußernde noch der Zuhörer Hass empfindet, wenn sie aber so aufgefasst werden kann, dass z.B. Fremdenfeindlichkeit gutgeheißen wird. Wenn A in einer nicht an Fremdenfeinde gerichteten Zeitung schreibt: »Gegen Fremde habe ich nichts, aber dass B, der sie auch nicht hasst, sie anders behandeln will als Einheimische, das gefällt mir«, so hat er sich nach der Definition des Ministerkomitees des Europarates bereits einer Hassrede schuldig gemacht, die verboten werden sollte.
Das Diskriminierungsverbotl° der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) umfasst Benachteiligungen, die »insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in der politischen oder sonstigen Anschauung, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet« sind. Diese Aufzählung ist bewusst unvollständig. Es fehlen gewichtige weitere Diskriminierungsgründe wie Alter, sexuelle Orientierung oder Krankheit bzw. Behinderung. Die erwähnte Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates dagegen nennt allein solche Motive, die klassischerweise der politischen Rechten zugeordnet werden. Es handelt sich somit weniger um eine rechtliche als um eine politische Wertung, die den »Empfehlungen« zugrunde liegt. Wobei im Banne der Linksrechts-Logik und der gegenwärtigen Polarisierung in den europäischen Gesellschaften nicht vergessen werden sollte, dass Ethnozentrismus nicht nur von Europäern, Fremdenfeindlichkeit nicht nur von Nationalisten und Judenfeindlichkeit nicht nur von autochthonen Rechtsextremisten ausgehen kann. Vielmehr könnte eine Regierung, die es auf eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft anlegt, mit all den »Ismen« sehr leicht die verschiedensten Gruppen gegeneinander ausspielen.
V Canettis Albtraum: Aus der oben beschriebenen Fragwürdigkeit eines kampagnenartigen »Kampfes« gegen 5 übrigens verliert die Rechts-links-Dichotomie aus hier nicht auszubreitenden Gründen dramatisch an Bedeutung. In Deutschland mag man »rechts« und »links« zunehmend durch -oppositionell- und »regierungsnah« ersetzen, außenpolitisch eher durch »autoritär-nationalautonomistisch« bzw. »liberalintemationalistisch«.
BELICHTUNGEN
»Hate Speech« darf nicht der Schluss gezogen werden, alle in der Öffentlichkeit getätigten Äußerungen seien zu tolerieren. Wachsamkeit, Sensibilität11 und Sprachpflege sind berechtigt, aus einem optimistischen und einem pessimistischen Grund. Die Überempfindlich-keiten regierungsoffiziell protegierter Minderheiten sollten jedoch nicht der Urmeter sein, an dem Einschränkungen der Meinungsäußerungsfreiheit und der Zugang zu privaten Kommunikationsplattformen gemessen werden. Im Sinne einer republikanischen Bürgerlichkeit ist insbesondere an nicht protegierte Dissidenten zu denken. Deren Meinungen könnten schnell die Mehrheiten von morgen abbilden. Dies ist der optimistische Grund für einen sorgfältigen Umgang mit politischer Sprache.
Der pessimistische ergibt sich aus der Dynamik gleichgerichteter Kommunikation und gleichgerichteten Handelns in einer Massengesellschaft, wie sie Elias Canetti in der »Hetzmasse« unnachahmlich beschrieben hat.12 Das Ziel der Hetzmasse ist kein kommunikatives: »Die Masse geht auf Opfer und Hinrichtung zu, um den Tod all derer, aus denen sie besteht, plötzlich und wie für immer loszuwerden.«13 Unter den Bedingungen der weltweiten Vernetzung, die keine Äußerung vergessen lässt und kaum eine »Jugendsünde« unbemerkt, lässt sich Canettis Analyse weiterdenken. Der »gesellschaftliche Tod« droht jedem, der eine abweichende Meinung in Angelegenheiten vertritt, die als konstitutiv für die politische Ordnung gelten.14 Die potenzielle Hetzmasse will diesen »Tod« ablenken auf denjenigen, der durch Äußerung solcher Meinungen doch eigentlich den Freiheitsraum des Sagbaren für alle erweitern würde. Durch die Ausstoßung15 des Abweichlers wird die orthodoxe Gruppe, die dabei enger zusammenrückt, gefestigt. Insofern ist jede verbale Abgrenzung von Andersdenkenden vor Zuhörern, jede Ausladung von einer Veranstaltung und jede Verweigerung dessen, was bisher für alle galt, zunächst und zumeist ein archaischer Akt der Selbstvergewisserung.16 Deshalb sind öffentliche Diskussionen seit Jahren desto konsensualer und damit langweiliger, je öffentlicher (sichtbarer) sie sind. Eine im Fernsehen ausgestrahlte Diskussion kann heute in aller Regel nicht mehr als »Diskussion« bezeichnet werden.17 Was hat dieses (offenkundig nicht ausgestorbene) Hetz-massenverhalten nun aber mit »Hassreden« zu tun?
Hören wir Canetti weiter, wenn er beschreibt, wie im Zeitungs-zeitalter jeder in bequemster Weise an Hinrichtungen teilnehmen kann: »Man sitzt in Ruhe bei sich und kann unter hundert Einzelheiten bei denen verweilen, die einen besonders erregen. […] Man ist für nichts verantwortlich […]. Im Publikum der Zeitungsleser hat sich eine gemilderte, aber durch ihre Distanz von den Ereignissen um so verantwortungslosere Hetzmasse am Leben erhalten, man wäre versucht zu sagen, ihre verächtlichste und zugleich stabilste Form. Da sie sich nicht einmal zu versammeln braucht, kommt sie auch um ihren Zerfall herum, für Abwechslung ist in der täglichen Wiederholung der Zeitung gesorgt «18 Im Internet hat sich die Zahl der potenziellen Hetzmassenmitglieder ebenso potenziert wie die Zahl möglicher Objekte von Verbalattacken und die Zahl der Gelegenheiten zur Konfrontation. Und dies alles soll gehegt werden durch halbstaatliche Maßnahmen gegen »Hass«. Canetti hätte Albträume bekommen.
1 Dieser ist bereits eine Schwundstufe des problemlösungsorientierten oder erkenntnisfördernden Austausches von Argumenten und Informationen. Die Verständigung über Fakten war Thema meines letzten Aufsatzes in TUMULT, Herbst 2017, S. 74 ff.
2 »Politisiert« sei hier nicht als »auf die Polis hin ausgerichtet« verstanden, sondern als »partikularen oder nur persönlichen Zwecken in einem Machtkampf dienend«.
3 Art. 1 Ziff. A.2. Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 in Verbindung mit Art. 1 Ziff. 2 Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967.
4 Solche moralischen Begriffsfindungen präjudizieren die öffentlich zum Bezeichneten noch einnehmbaren Haltungen derart umfassend, dass ich geneigt bin, von Propagandabegriffen zu sprechen.
6 Das betrifft Musik. aber auch Hör- und Sprechgewohnheiten prägende Spielfilme und Serien.
7 Burkhard Liebsch weist darauf hin, dass die Beschäftigung mit subtilen Formen der Gewalt ein Luxus ist, »den sich allenfalls Gesellschaften leisten können, denen eine weitgehende innere Befriedung durch das Recht bereits gelungen ist«. Burkhard Liebsch: »Das verletzbare Selbst. Subtile Gewalt und das Versprechen der Sensibilität«, in: Sybille Krämer/Elke Koch (Hg.): Gewalt in der Sprache. Paderbom 2010, S. 141 E.
8 Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: »Hate Speech« — Hass-Offensive im Internet«, 2016, Rückseite.
9 Europarat, Ministerkomitee, Anhang zu Empfehlung Nr. R (97) 20, 1. Grundsatz.
10 Ob ein solches Staaten gegenüber ausgesprochenes Ungleichbehandlungsverbot in der Anspruchsdimension, die es im Wortlaut der EMRK hat, überhaupt vertretbar, sinnvoll, friedenstiftend und durchsetzbar ist, wäre eine andere Frage.
11 Vgl. Liebsch, a.a.O., zum Umschlagen übergroßer Sensibilität gegenüber subtilen, »nicht sichtbaren« Gewaltformen in Oberforderung und letztlich wieder Gewalt bis hin zu »effektiver Unterbindung jeglicher Artikulationsmöglichkeit« (S. 145 f., 156).
12 Elias Canetti: Masse und Macht, München — Wien u.a. 1994, S. 54 ff.
13 Ebenda, S. 55.
14 Und sei diese Angelegenheit nur eine liberale Konsensualität als Grundhaltung.
15 Canetti, a.a.O., S. 55. Eine genauere Untersuchung könnte ergeben, dass unter den Funktionsbedingungen des weltweiten Netzes die beiden Verhaltensmöglichkeiten von Hetzmassen, die Canetti nennt, nämlich das »Ausschließen« und das »Zusammentöten«, zusammenfallen.
16 Dass diese Andersdenkenden oder -glaubenden von Zeit zu Zeit und von Ort zu Ort unterschiedliche Gestalt annehmen, versteht sich von selbst, denn es geht hier nicht um ein (damit korrigierbares) »Fehlverhalten« von rechts oder links, von Liberalen oder Illiberalen, von Christen oder Moslems usw., sondern um ein menschliches Verhalten. Für das massenmediale Zeitalter neu ist allerdings, dass sich durch das Zerfallen der großen Öffentlichkeit in kleine Neben-, Gegen-, individuell gefilterte und Ausschnittsöffentlichkeiten der Prozess von Ausschließung und Selbstvergewisserung auch von »unten« nach »oben« verlaufen und der Vertreter der gesellschaftlichen Vormachtsmeinung sich plötzlich auch außerhalb geschlossener dissidenter Gruppen in der Defensive des Infragegestelltwerdens wiederfinden kann.
17 Es lohnt sich nachzuschlagen, was das lateinische »discutere« ursprünglich bedeutet.
18 Canetti, a.a.O., S. 58 f.
Aus TUMULT Frühjahr 2018