Und Gott sei Dank habe ich ein unglaublich kompetentes und fleißiges Team: Eine Mitarbeiterin bewies detektivische Fähigkeiten und stellte schon lange vor der Enthüllung durch Anonymus fest, dass eine angebliche Sprachnachricht, die auf dem Kanal gegen 18.30 Uhr hochgeladen wurde, in Wirklichkeit aus einem alten Interview mit Reichelt stammt, das auf Youtube abrufbar ist. Damit haben wir den Betrug selbständig entlarvt und ihn auch gleich öffentlich gemacht.
In was für verrückten Zeiten wir doch leben! Wer spielt solche Spielchen? Ich kenne sie zwar aus Russland, wo das politische Klima nach Jahrzehnten KGB und Sozialismus völlig vergiftet und jedes Foul denkbar ist. Aber in Deutschland hatte ich immer noch ein gewisses Urvertrauen. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Ich schäme mich hier nicht für meine Gutgläubigkeit! Ich will mir nicht ein so verdorbenes Denken aneignen wie die Leute hinter solchen Aktionen. Und ich freue mich, dass meine Gutgläubigkeit mit ausreichend Skepsis versehen ist, so dass ich binnen rund 30 Minuten einen entsprechenden Warnhinweis im Artikel platzierte. Offen und transparent.
Obwohl die Fallensteller Böses beabsichtigten, und sich jetzt mit ihren Brüdern im Geiste auf die Schenkel klopfen vor Häme, haben sie doch Gutes bewirkt: Zum einen haben wir gezeigt, wie transparent wir mit Fehlern umgehen. Zum anderen haben sie uns allen eine Vorstellung davon vermittelt, was echte Solidarität unter kritischen Journalisten bewirken könnte: Wäre der Kanal echt, oder würde Reichelt so handeln, wie dort beschrieben – da könnte sich etwas sehr Kraftvolles entwickeln. Das zeigen die neuen, fast 50.000 Abonnenten während weniger Stunden. Die Menschen hungern förmlich nach kritischem, ehrlichem Journalismus. Umso trauriger, dass Reichelt selbst den ganzen Tag schwieg. Auch auf meine Mail-Nachfrage hin. Dabei hätte er dem Spiel leicht ein Ende bereiten können. So aber half er bei einer Steilvorlage für seine politischen Gegner mit. Bitter. Aber leider sehr häufig: Während die Kulturkämpfer des linksgrünlila Zeitgeists sich die Bälle zuspielen und jetzt schon den Kopf von Springer-Chef Döpfner fordern, weil er Parallelen zwischen Merkel-Deutschland und der DDR zog, sind die Kritiker des Zeitgeists in den Medien offenbar mehrheitlich zu sehr Individualisten, um sich gegenseitig zu unterstützen und Solidarität zu zeigen. Das ist besonders deshalb bitter, weil es in der Bevölkerung eben nicht so ist: Der Rückhalt und die Unterstützung, die man von sogenannten “einfachen” Menschen bekommt, sind überwältigend.
Boris Reitschuster |