MESOP : WADI e.V. GEGEN MENSCHENHANDEL IN KURDISTAN / IRAQ
Mit Menschenhandel finanziert der Islamische Staat das Kalifat / Hilfe für zurückgekehrte Jesidinnen – Das Geschäft mit den Geiseln – Birgit Svensson 11.09.2015 – WESERKURIER – Sie werden in orangefarbene Overalls gesteckt, wie die Häftlinge im US-Gefängnis Guantánamo auf Kuba, manchmal auch in gelbe, wie es in der südirakischen Haftanstalt Bucca bei Basra zu Zeiten der amerikanischen und britischen Besatzung üblich war. Ausländische Geiseln landen zumeist vor der Videokamera. Mit ihnen soll neben Lösegeld auch politische Propaganda erzielt werden. Jüngstes Beispiel: ein Norweger und ein Chinese, gefangen gehalten durch Kämpfer des Islamischen Staates (IS).
Die norwegische Regierungschefin Erna Solberg bestätigte am Donnerstag, dass es sich auf der Dschihadisten Webseite „Dabik“, auf dem Fotos der beiden Geiseln veröffentlicht wurden, um Ole-Johan Grimsgaard handelt, der Ende Januar, kurz nach seiner Ankunft in Syrien, verschleppt wurde. Bei der anderen Geisel soll es sich um den 50-jährigen chinesischen Berater Fan Jinghui handeln. Nun werden die beiden auf der Webseite zum Freikauf angeboten. Wer ein Lösegeld für die Freilassung der beiden bezahlen wolle, könne sich unter einer irakischen Telefonnummer melden, steht unter ihren Fotos geschrieben. Wer diese allerdings wählt, stellt fest, dass es sich um eine tote Nummer handelt.
Neben Öl und antiken Kulturschätzen dient der „Handel mit Menschen“ dem IS zur Finanzierung des Kalifats. Wie viel Geld er dadurch schon eingenommen hat, lässt sich nur erahnen. Sicher ist, dass es sich um mehrere Millionen handelt. Denn es sind bei weitem nicht nur Ausländer, die von der Terrormiliz gekidnappt und zu Geld gemacht werden, wenngleich deren Verschleppung erhöhte Symbolkraft und mehr Lösegeld versprechen. So ist der Erlös, der durch einen Ausländer – bevorzugt aus westlichen Ländern – erzielt werden kann, um ein Vielfaches höher als von Einheimischen. Folglich werden zumeist Gruppen von Jesiden, Christen, Schiiten oder auch unloyale sunnitische Einheimische entführt. Die Summe der Ablösungszahlungen für eine Gruppe deckt sich dann oft mit dem erzielten Preis für einen einzigen westlichen Ausländer. Akribisch wird darüber Buch geführt. Der Menschenhandel ist für den IS zum Wirtschaftszweig geworden. Kämpfer der Anti-IS-Allianz berichten über entsprechende Unterlagen, die sie in den vom IS zurückeroberten Dörfern gefunden hatten.
Besonders in die Schlagzeilen geriet die Verschleppung der Jesiden bei dem Angriff auf Sinjar im Nordirak, nahe der Grenze zu Syrien. Die mehrheitlich von der jesidischen Minderheit des Landes bewohnte 100 000 Einwohner zählende Stadt wurde Anfang August 2014 buchstäblich über Nacht von den Gotteskriegern überrollt. Wer nicht in die Berge fliehen konnte, wurde in andere vom IS kontrollierte Gebiete verschleppt, vor allem nach Mossul, Iraks drittgrößter Stadt. Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen waren darunter 5000 Mädchen und Frauen. Sie wurden mit IS-Kriegern zwangsverheiratet, mussten zum Islam konvertieren und wurden wie Sklavinnen gehalten. „Inzwischen sind 800 bis 900 zurückgekehrt, etwa jede zweite ist als Sexsklavin missbraucht worden.“ Thomas von der Osten-Sacken weiß, wovon er spricht. Der Frankfurter ist Chef der deutsch-irakischen Organisation Wadi, die schon seit über 20 Jahren im Nordirak arbeitet. Damals halfen er und seine Mitarbeiter die von Saddam Hussein mit Giftgas zerstörten Kurdengebiete wieder aufzubauen. Heute betreut die NGO jesidische Frauen, die schwer traumatisiert aus den Fängen der Terrormiliz IS entkamen. „Auch ältere Frauen mussten durch die Hölle, haben aber nicht das erlebt, was jüngere Mädchen durchgemacht haben.“ Von der Osten-Sacken berichtet sogar von Kindern, die vergewaltigt und missbraucht wurden.
Zwei Mitarbeiterinnen von Wadi arbeiten in den Flüchtlingslagern, in die die Jesidinnen zurückkehren. Seit Juli gibt es zudem ein Tagesbetreuungszentrum in Dohuk, wohin die Frauen mit Minibussen morgens gebracht werden und abends wieder ins Lager zurückkehren. „Sie sollen tagsüber eine schöne Umgebung vor Augen haben, nicht ständig das Elend der Flüchtlingslager“, erklärt von der Osten-Sacken den Sinn seines Engagements. Im Zentrum erlernen sie das Friseurhandwerk, machen Handarbeiten oder nehmen an Computerkursen teil.
Manche Jesidinnen seien einfach geflohen. Andere seien von ihren Familien freigekauft worden, erklärt von der Osten-Sacken die „Geschäftspraktiken“ des IS. Diese würden dann direkt vom IS kontaktiert und eine Summe ausgehandelt. Es gäbe aber auch Zwischenhändler in Mossul mit Kontakten sowohl zu jesidischen Familien als auch zum IS. Viele Mädchen wechselten mehrere Male „ihren Besitzer“, werden von einem zum anderen weiterverkauft. „Wenn sie dann nicht mehr brauchbar sind, landen sie zuweilen bei Arabern, die mit dem IS nichts zu tun haben und werden dann zum Rückkauf angeboten.“ Mittlerweile ist es ein offenes Geheimnis, dass auch die kurdische Regionalregierung in Erbil über Mittelsmänner verfügt, die diese Frauen dann freikaufen. Mehrere Tausend Dollar würden so mit einer Frau erwirtschaftet. Thomas von der Osten-Sacken sieht darin aber nicht nur ein Geschäft, sondern vor allem eine Symbolik. „Die Frauen sollen bewusst gedemütigt werden.“
Dies sei inzwischen zum festen Bestandteil des Kalifats geworden. Missbrauch von Frauen und Mädchen habe es in der Region schon immer gegeben, weiß der Wadi-Chef. Oft seien Mädchen viel zu früh verheiratet worden. „Manchmal waren sie noch Kinder.“ Unter dem Deckmantel der Ehe sei sexueller Missbrauch betrieben worden. Doch sei dies in der konservativ-islamischen Gesellschaft immer verheimlicht und unter den Teppich gekehrt worden. Der IS mache diesen Missbrauch nun öffentlich, „ja brüstet sich sogar damit“. Die Sklaverei werde im Kalifat reglementiert, der sexuelle Missbrauch legalisiert. Die Folge sei der psychische und moralische Kollaps der Gesellschaft. http://www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Das-Geschaeft-mit-den-Geiseln-_arid,1205990.html