MESOP TOP : DIE TAGE VON TALABANIS PUK SIND GEZÄHLT

Machtverlust der Partei Jalal Talabanis / Ende eines Duopols im kurdischen Nordirak

Julia Joerin Gestern, 4. Mai 2014, Neue Zürcher Zeitung – In der Autonomen Region Kurdistan steht nach lang-wierigen Verhandlungen eine neue Regierung. Somit läuft die 22-jährige Ära des Barzani- Talabani-Machtduopols ab.

Nach sieben Monaten Verhandlungen haben sich führende Politiker der Autonomen Region Kurdistan in der vergangenen Woche zur Bildung einer neuen Regierung durchgerungen. Der langwierige Prozess wurde vom bisherigen Präsidenten Masud Barzani geführt, der sein Amt auch künftig behält. Ebenfalls für sich beansprucht hat die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) das Innen- sowie das Energieministerium. Das Amt des Parlamentsvorsitzenden sowie das Peshmerga-Ministerium (Verteidigung) gingen an die Gorran-Partei. Auch islamische Parteien wurden eingebunden. Jalal Talabanis Patriotische Union Kurdistans (PUK) boykottierte die Verhandlungen von letzter Woche, wird sich jedoch wohl oder übel mit dem Anteil begnügen, den ihr die KDP zugesprochen hat.

Barzani-Clan dominiert

Aus den Parlamentswahlen vom September 2013 ging die KDP mit 38 Sitzen gestärkt hervor, die PUK mit lediglich 17 Mandaten war hingegen schwächer denn je. Gorran wurde mit 24 Sitzen die zweitstärkste politische Kraft im 111-köpfigen Parlament und durchbrach somit das 22-jährige Machtduopol der Parteien KDP und PUK. Der Regierungschef Nechirvan Barzani, der Neffe des Regionalpräsidenten, kündigte am Dienstag das Ende des Machtteilungsabkommens zwischen der KDP und der PUK an.

Die Freude der irakischen Kurden über ihre Befreiung vom Joch Saddam Husseins 1991 war eine solide Grundlage für die Herrschaft der Parteiführer Barzani und Talabani gewesen. Doch mit der Zeit wurde die Zufriedenheit der Bevölkerung dadurch ausgehöhlt, dass diese kaum vom neugewonnenen Reichtum profitierte. In den Augen vieler Kurden degenerierte die Koalition von KDP und PUK zu einem korrupten Kartell, das nur noch dem Interesse der Machterhaltung diente.

Vor diesem Hintergrund spaltete sich Nawshirwan Mustafa von der PUK ab und gründete 2006 die Gorran-Partei, die «Bewegung des Wandels». Zu seiner Plattform machte er die Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft, was seine Partei vor allem unter der Jugend sehr beliebt machte und ihr schnell zu grossen Wahlerfolgen verhalf – zulasten der PUK. Mit dem Wind des «arabischen Frühlings» in den Segeln riefen die oppositionellen Parteien 2011 zu Protesten auf, welche nur in Suleimaniya, der Hochburg der PUK, stattfanden. In einer für die PUK ohnehin schwierigen Phase erlitt ihr charismatischer Führer Talabani im Dezember 2012 einen Schlaganfall. Seither lebt er in einem Spital in Berlin. Durch seine Abwesenheit sank die PUK in eine dauerhafte Krise. Als Gegengewicht zur KDP konnte sie sich nicht mehr behaupten. Übel nahmen der PUK viele traditionelle Wähler, dass sie im vergangenen Juli einer rechtlich umstrittenen Verlängerung der Amtszeit Barzanis zustimmte.

Wer sich im irakischen Kurdengebiet aufhält, bemerkt, dass man sich in Suleimaniya freimütiger über Politik unterhält als in den von der KDP dominierten Provinzen Erbil und Dohuk. Vor allem in Suleimaniya, wo man stolz ist auf eine verhältnismässig liberale Kultur, wurden in den letzten Jahren einige unabhängige Medien ins Leben gerufen, welche auch zur Veränderung der politischen Landkarte beigetragen haben. Übergriffe gegen Journalisten sind allerdings gang und gäbe. Wehe dem, der sich nicht nur allgemein über Missstände äussert, sondern mit dem Finger auf mächtige Beamte zeigt. Diese rote Linie überschritt jüngst der Journalist Kawa Germiyani, als er Korruptionsaffären von PUK-Politikern aufdeckte. Er wurde im vergangenen September vor seinem Haus in Kalar erschossen.

Manche Kurden sind der Ansicht, solche Fehlentwicklungen würde es nicht geben, wenn Talabani noch da wäre. Als ehemals legendärer Führer der kurdischen Widerstandsbewegung gegen die irakischen Militärherrscher bringen ihm viele Kurden Hochachtung und Respekt entgegen. Oft wird er liebevoll «Mam Jalal» (Onkel Jalal) genannt. Dass Talabani bis heute viele Anhänger hat und vermisst wird, kommt jeweils zum Ausdruck, wenn er ein Lebenszeichen von sich gibt. Dann brechen Menschenmassen in Suleimaniya und anderen kurdischen Städten in Jubel aus. Zweimal zuvor wurden Fotos von ihm gezeigt. Zuletzt veröffentlichte der Fernsehsender der PUK vor einer Woche ein tonloses Video, in dem man den gebrechlichen 80-Jährigen im Rollstuhl wählen gehen sieht.

Verstummter Patriarch

Zu Wort hat er sich seit Dezember 2012 nie gemeldet, was vermuten lässt, dass er nicht mehr sprechen kann und wohl auch nie mehr in seine Heimat zurückkehren wird. Doch bis jetzt scheint ihn der starke Wille seiner Anhänger, die Talabani zurückhaben wollen, am Leben zu halten. Auch für viele Leute im Rest des Iraks gilt der Kurdenführer, der seit 2005 auch das Amt des irakischen Präsidenten innehat, als Figur der Einheit, weil er oft sowohl zwischen Erbil und Bagdad wie auch zwischen Schiiten und Sunniten vermittelt hat.

Gleichzeitig mit den irakischen Parlamentswahlen gingen in der Autonomen Region Kurdistan am Mittwoch mit fünf Jahren Verspätung Provinzratswahlen über die Bühne. Die Wahlresultate stehen noch aus, doch allen Prognosen nach werden Erbil und Dohuk in den Händen der KDP bleiben, während in Suleimaniya ein Machtwechsel zugunsten der Gorran-Partei stattfinden wird. http://www.nzz.ch/aktuell/international/auslandnachrichten/ende-eines-duopols-im-kurdischen-nordirak-1.18295729