MESOP REPORT : Interview zur Lage im Irak „Warten hat keinen Erfolg“ / Christoph Strässer: „Militärschläge der Amerikaner waren richtig und notwendig“
MESOP REPORT : Interview zur Lage im Irak „Warten hat keinen Erfolg“ / Christoph Strässer: „Militärschläge der Amerikaner waren richtig und notwendig“
25-8-2014 – FAZ – Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, spricht sich im FAZ.NET-Interview dafür aus, den Menschen im Irak zügig zu helfen – auch mit Waffen. Den Terror des „Islamischen Staats“ bezeichnet Strässer als Völkermord.
Herr Strässer, Sie sind gerade aus dem Nordirak zurückgekehrt. Greift die Hilfe?
Es geht weiter darum, die nackte Not zu bekämpfen. Wir wollten in erster Linie sehen, wo die deutsche humanitäre Hilfe ankommt, ob sie sinnvoll ist, und was noch getan werden muss. Die meisten Flüchtlinge leben in Zelten. Wenn der Winter in zwei Monaten kommt, können sie so nicht überleben. Deshalb gibt es von der kurdischen Regierung schon Anfragen nach Containern, die die Menschen gegen die Kälte schützen. Da sollten wir schnell Lösungen finden.
Berichte über Massenvergewaltigungen, Exekutionen und brutale Körperstrafen des Islamischen Staats reißen nicht ab. Ist das, was im Nordirak geschieht, ein Völkermord?
Nach allem, was ich gehört und gesehen habe, würde ich diese Frage bejahen – viele Anzeichen deuten darauf hin. Dem Islamischen Staat geht es darum, den Menschen zu sagen: Entweder ihr gebt euren Glauben auf und nehmt unseren an, oder wir töten euch. Das ist für mich eine ganz klare Ansage, die auch Folgen haben muss für die internationale Gemeinschaft in der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.
Viele der geflohenen Yeziden wollen nicht im Irak bleiben, weil weder die staatliche Armee noch die Peschmerga in der Lage waren, sie zu schützen. Muss Deutschland da großzügige Aufnahmeregelungen finden?
Das ist für viele dieser Menschen das dritte Mal, dass sie diese Erfahrung machen. Sie haben schlicht kein Vertrauen mehr, dass sie in dieser Region sicher leben können. Deshalb brauchen sie eine sichere Perspektive, und da gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten. Die eine ist die, dass vor Ort Sicherheitsstrukturen geschaffen werden, die ihnen das Vertrauen geben, das sie bleiben können. Wenn das nicht gelingt, müssen wir in der Tat aus meiner Sicht das Angebot machen, Flüchtlinge aus dieser Region aufzunehmen –in einem entbürokratisierten Verfahren, etwa in Zusammenarbeit mit dem UNHCR im Rahmen von Wiederansiedlungsprogrammen.
In der kurdischen Autonomieregion findet sich angesichts der Gräuel der Dschihadisten und der Marginalisierung durch Bagdad kaum noch jemand, der Teil des Iraks bleiben will. Sind Sie auch für die Unabhängigkeit Kurdistans?
Das ist mir persönlich zu hochgegriffen. Ich nehme allerdings wahr, dass die Kurden eine sehr ernsthafte Politik betreiben, auch zur Sicherung der Flüchtlinge. Man merkt an jeder Ecke, dass sie bereit sind, die Menschen aufzunehmen. Und zugleich sind sie bitter enttäuscht von der irakischen Zentralregierung, die ihnen zum Beispiel die verfassungsmäßigen Budgetmittel nicht auszahlt. Viele Mitarbeiter des öffentlichen Diensts arbeiten deshalb seit Monaten ohne Gehalt. Angesichts dieser Situation ist der Vertrauensverlust so groß, dass sich die kurdischen Politiker einen Verbleib im Irak kaum noch vorstellen können.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier glaubt, dass der Konflikt mit der Zentralregierung erst politisch gelöst werden muss, ehe die Kurden militärisch stärker aufgerüstet werden können. Ist das der richtige Weg?
Es wäre der richtige Weg, wenn es dafür Erfolg versprechende Ansätze gäbe. Nach meinen Gesprächen sehe ich die nicht. Zwar gibt es einen vorsichtigen Optimismus angesichts des bevorstehenden Wechsels im Amt des Ministerpräsidenten. Aber nach meiner Wahrnehmung fühlen die Kurden sich im Irak einfach nicht mehr aufgehoben. Darum glaube ich, dass das Warten auf eine politische Lösung am Ende nicht erfolgreich sein wird. Es muss gehandelt werden. Eine inklusive Lösung bleibt aber weiterhin erstrebenswert, auf sie sollte weiter hingearbeitet werden.
Das heißt, die Militärschläge der Amerikaner sind richtig.
Wenn ich sehe, mit welchen Mitteln Isis ausgerüstet ist und wie sie gegen die Bevölkerung vorgeht, weiß ich nicht, wie man sie sonst hätte stoppen sollen. Ich glaube, diese Mittel sind gerade noch rechtzeitig eingesetzt worden – und sie waren richtig und notwendig.
Präsident Massud Barzani verlangt auch Waffen aus Deutschland. Sollte die Bundesregierung diesem Wunsch nachkommen?
Ich finde, wir sollten insgesamt schauen, mit welchen Mitteln die Peschmerga, die ja nun die Hauptlast dieser Auseinandersetzung tragen, überhaupt eine Perspektive haben, gegen gut ausgerüstete und ausgebildete Isis-Kämpfer zu bestehen. Und wenn wir das wissen, dann müssen wir entscheiden, wer in der Lage ist, diese Ausstattung zu liefern, und dann muss das auch passieren.
Sie schließen nicht aus, dass Deutschland dann möglicherweise panzerbrechende Waffen liefert?
Ich persönlich schließe das nichts aus.
In Syrien wütet der Islamische Staat schon viel länger als im Irak, auch das Morden des Assad-Regimes geht weiter. Ist angesichts von 170.000 Toten eine Debatte über ein militärisches Eingreifen dort nicht noch viel dringender vonnöten als im Irak?
Das ist sicherlich eine Debatte, die geführt werden muss. Allerdings ist mir nicht klar, mit welchen Methoden, mit welchen Bündnispartnern und mit welchem Ergebnis dort vorgegangen werden soll. Die Lage in Syrien ist insgesamt so verfahren, dass mir dort eine militärische Lösung nicht einfällt.
Wären Blauhelme nicht eine Möglichkeit, die Konfliktparteien zu trennen?
Das würde ich mir sehr wünschen, da das Konzept der Blauhelme eines ist, das in der internationalen Gemeinschaft beschlossen wurde und hinter dem wir stehen. Dazu bedarf es eines Beschlusses des Sicherheitsrates, und ich finde, wir wären gut beraten, auf einen solchen hinzuwirken. Ob ein Blauhelm-Einsatz wirklich erforderlich ist, muss die Entwicklung noch zeigen. Aber ihn auszuschließen, halte ich für falsch. Die internationale Gemeinschaft muss ihre Handlungsfähigkeit beweisen, gerade wenn es um die Verhinderung eines Genozids geht.
Das Gespräch führte Markus Bickel. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/interview-zur-lage-im-irak-warten-hat-keinen-erfolg-13115340.html