MESOP REPORT : Auslieferung Fetullah Gülens – Erdogan sollte das Kleingedruckte lesen

Der türkische Präsident Erdogan fordert die Festnahme des in Amerika lebenden Predigers Fetullah Gülen. Die Amerikaner fordern Beweise und wiegeln ab. – 05.08.2016, von Andreas Ross, Washington

Seit 1979 regelt ein umfassendes amerikanisch-türkisches Abkommen, unter welchen Umständen die Länder mutmaßliche Straftäter aneinander ausliefern. Unermüdlich verweisen amerikanische Regierungsvertreter auf diesen Vertrag, wenn es um Fetullah Gülen geht. Der türkische Prediger lebt seit 1999 mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung auf einem Anwesen in den Poconos-Bergen von Pennsylvania.

Er bestreitet die „lächerlichen“ Anschuldigungen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, dass er den Putschversuch von Teilen der türkischen Armee ausgeheckt und orchestriert habe. Die Prüfung eines türkischen Auslieferungsbegehrens geschehe „nicht über Nacht“, heißt es fast täglich aus dem State Department. Amerika verstehe das Bedrohungsgefühl in der Türkei nach dem versuchten Staatsstreich. Die Entscheidung im Fall Gülen werde aber „nicht von politischen Motiven und nicht von Emotionen“, sondern von der Beweislage abhängen.

Erdogan hat für das Kleingedruckte des Auslieferungsabkommens wenig übrig. „Was für Partner sind wir, dass ihr Dokumente fordert, wenn wir einen Terroristen verlangen?“, fragte der Präsident nach einem Bericht der Zeitung „Sabah“ kürzlich. Umgekehrt spielen die Amerikaner ihre Möglichkeiten herunter, den Ausgang des Verfahrens sehr wohl politisch zu beeinflussen. Denn das Abkommen bietet Interpretationsspielraum.

Entscheidung obliegt voraussichtlich den Vereinigten Staaten

Wenn die Mühlen der Justiz gemahlen haben, spricht der Außenminister das letzte Wort. Faktisch dürfte die Entscheidung im Weißen Haus fallen. Da Fachleute mit einem womöglich jahrelangen Verfahren rechnen, dürfte sie einer Präsidentin Hillary Clinton oder einem Präsidenten Donald Trump obliegen.

Nach türkischen Angaben hat Ankara der amerikanischen Seite bereits mehrere Konvolute von Dokumenten überlassen. Angaben des türkischen Justizministers legen nahe, dass dabei zunächst die Forderung im Mittelpunkt stand, Gülen unverzüglich in Gewahrsam zu nehmen, um eine Flucht in ein Drittland zu verhindern. Vertreter der amerikanischen Regierung wollten sich nicht dazu äußern, ob sie die Dokumente als förmliches Auslieferungsersuchen werten. Bislang reichten die Beweise den Amerikanern aber für eine Auslieferung nicht aus, berichtet das „Wall Street Journal“.

Formal hinge der Erfolg eines solchen Begehrens von mindestens drei Faktoren ab. Die Gülen zur Last gelegten Verbrechen müssten zu den 33 Straftatbeständen zählen, die das Abkommen vorsieht oder in beiden Staaten mit Freiheitsentzug von mehr als einem Jahr geahndet werden. Dabei dürfte die Tat nicht als „politisches Verbrechen“ eingestuft werden, was allerdings ein dehnbares Konzept ist.

Meinungsfreiheit ist in Amerika ein dehnbarer Begriff

Schließlich braucht Washington eine Garantie, dass Gülen in der Türkei nicht wegen anderer, im Auslieferungsbeschluss nicht aufgeführter Vorwürfe belangt wird. Anders als für europäische Staaten hängt eine Auslieferung nicht davon ab, ob dem Verdächtigen die Hinrichtung droht. Die Vereinigten Staaten setzen selbst auf die Todesstrafe, über deren Wiedereinführung in der Türkei derzeit diskutiert wird. Allerdings hat der amerikanische Außenminister die Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen zu beachten.

Hochverrat zählt nicht zu den Straftatbeständen, die das Abkommen von 1979 aufführt, wohl jedoch Verschwörung, schwere Sachbeschädigung, Brandstiftung oder Beihilfe zu alledem. Die Ausnahme für „politische Verbrechen“ soll verhindern, dass Personen ausgeliefert werden, deren Rechtsbruch auf zivilen Ungehorsam hinausläuft, weil sie nur ihre politische Meinung ausdrückten, insbesondere während eines Volksaufstands. Die Klausel ist nicht geeignet, um beispielsweise Terroristen (die politische Ziele vorgeben) vom Haken zu lassen.

Wie es die Obama-Regierung bereits deutlich gemacht hat, dürfte auch die amerikanische Justiz nicht der gewählten türkischen Regierung das Recht absprechen, Putschisten zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings definiert die amerikanische Justiz die Meinungsfreiheit weit. Öffentlich hat Gülen den Putsch von Anbeginn verurteilt. Sollte Ankara belegen können, dass der Prediger einen Sturz Erdogans in Wahrheit gutgeheißen habe, so machte ihn das in den Augen eines amerikanischen Richters noch nicht zwangsläufig zum Mittäter.

Verschlechterung der türkisch-amerikanischen Beziehungen

Wenn ein formales Auslieferungsbegehren eingegangen ist, hat zunächst das Justizministerium zu prüfen, ob das bilaterale Abkommen anwendbar ist und ob die Verdachtsmomente nach amerikanischem Maßstab hinreichend plausibel sind. Falls ja, müsste es die Auslieferung vor dem Bundesbezirksgericht in Scranton beantragen, das für Gülens Wohnsitz zuständig ist.Dort dürfte auch der Gesundheitszustand des heute 75 Jahre alten Gülen berücksichtigt werden. Sollte der Richter Gülens Auslieferung bestätigen, könnte der Prediger dagegen nicht Berufung einlegen, sondern allenfalls mit einer Habeas-Corpus-Beschwerde das Oberste Gericht bitten, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu prüfen. Der Außenminister soll in seiner abschließenden Entscheidung nicht noch einmal die Beweise wägen. Er könnte aber eine Auslieferung als vornehmlich politisch motiviert ablehnen.

Erdogan und mehrere türkische Regierungsmitglieder haben den Amerikanern offen mit schlechten Beziehungen gedroht, sollten sie Gülen nicht sofort einsperren und bald ausliefern. Für Obama ist das heikel, denn er ist auf die Türkei insbesondere im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ angewiesen. Unmittelbar nach dem Putschversuch hatte Außenminister John Kerry „authentische Beweise, die einer Überprüfung standhalten“, verlangt. Der Anspruch sei hoch. Wenn er aber erfüllt werde, dann habe Amerika keinen Grund, das Abkommen mit der Türkei nicht einzuhalten. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/amerika/strittiger-umgang-mit-guelen-in-amerika-14372381.html