MESOP : RASPAILS „HEERLAGER“ – DIE ANTIZIPATION DES EUROPÄISCHEN ZERFALLSPROZESSES

Antizipierte 800 ooo Flüchtlingen kommen an Ostern in Europa an. Und das Abendland geht diesmal wirklich unter.

So malte es sich der französische Schriftsteller Jean Raspail 1973 in seinem Roman „Das Heerlager der Heiligen” (Verlag Antaios, Schnellroda 2015) aus. Unlängst feierte er, der Royalist und katholische Reaktionär, seinen neunzigsten Geburtstag. Raspails Buch ist so wenig realistisch wie Huxleys Dystopie „Schöne neue Welt” (die allerdings die Vorlage aller Kulturkritik an der genetischen oder drogenchemischen Verbesserung des Menschen bis heute abgibt) oder wie Orwells „1984″, ein Roman, der in manchen Diagnosen des Abhörens von der Wirklichkeit längst überholt wurde, sich andererseits aber das Schreckensszenario nur stalinistisch-brutal und nicht kapitalistisch-sanft vorstellen konnte.

Raspails Vision war eine Dimension der Zuwanderung, die weit über das damals rational prognostizierbare hinausging, und insofern hat sein Roman in der Tat prophetische oder albtraumhafte Qualitäten.

Allerdings „irrte” er, wenn man das bei visionären literarischen Werken überhaupt sagen kann, indem er seiner Geschichte einen apokalyptischen Plot unterlegte.. Schon der Titel des Romans spielt auf die Offenbarung des Johannes an, und das vorangestellte Motto spricht es geradezu aus: „Und wenn die tausend Jahre vollendet sein werden, wird der Satan aus seinem Gefängnisse losgelassen und wird ausgehen und die Völker verführen, die an den vier Enden der Erde sind, deren Zahl ist wie der Sand des Meeres, und wird sie zum Kampfe versammeln. Und sie zogen herauf über die Breite der Erde und umringten das Heerlager der Heiligen.” Der Feind ist „das Tier” der Apokalypse.

Martin Lichtmesz, der verdienstvolle Übersetzer der neuen Ausgabe, hat auf diese apokalyptische Erzähltechnik hingewiesen — mit einer überraschenden Pointe. Wenn Raspail die Menschen der indischen Armada, die an der Südküste Frankreichs anlanden, in der Art von Zombies schildere, so nehme er doch nur einen Gedanken Jean-Paul Sartres auf, den dieser bei Gelegenheit von Frantz Fa-nons Dritte-Welt-Manifest „Die Verdammten dieser Erde” formuliert hatte. Sartre schrieb nämlich, in einer auch von Raspail kaum überbotenen obszönen Phantasmagorie grauenhafter End-Schlachten: „Europäer, ihr müsst dieses Buch öffnen und darin eintreten. Nach ein paar Schritten in der Dunkelheit werdet ihr Fremde sehen, um ein Feuer versammelt; tretet näher, hört hin, denn sie sprechen von dem Schicksal, das sie euren Handelszentren zugedacht haben, und den Söldnern, die diese schützen sollen. Sie werden euch sehen — vielleicht —, aber sie werden fortfahren, untereinander zu sprechen, und sie werden noch nicht einmal ihre Stimmen dämpfen. ,(.. .) Ihre Väter waren nur tote Seelen, ihr habt euch nicht die Mühe gemacht, mit solchen Zombies zu reden. Dreht und wendet euch, wie ihr wollt, in diesem Schattenreich, das eine neue Morgenröte ankündigt, werdet ihr die Zombies sein.”

Von einer „modernen Völkerwanderung“, die wir gerade erleben, sprach am vergangenen Wochenende auch Bundesinnenminister de Maiziere. Auch er sieht die völlig neue Dimension der Flüchtlingsbewegung. Der Unterschied liegt in der Bewältigung. Bei Raspail brechen die gewohnten Verwaltungsapparate zusammen, vielmehr sie lösen sich auf. Der Armee ist nicht mehr zu trauen, Truppen, die man nach Süden hatte schicken wollen, setzen sich in aller Stille ab. Das deutsche Wunder aber ist die — bislang noch —relative Stabilität der Verwaltungen.