MESOP: “POSITIVER” RASSISMUS : VERFOLGT- & OPFERSEIN BIETET DIE GRÖSSTEN CHANCEN / WEISS-SEIN IST MINDERWERTIG – DIE HIERARCHIE-KRITERIEN DES SICHEREN ERFOLGS : SCHWARZ-FRAU-LBGTI

Amerikanische Aktivistin – Eine Frage der Hautfarbe / Von Patrick Bahners

Rachel Dolezal, Aktivistin für Bürgerrechte von Afroamerikanern, ist farbig. Das sagt sie selbst. Ihre Eltern sagen, sie sei weiß. Nun schlagen in den Vereinigten Staaten die Wellen hoch: Hat sie gelogen? Die Institutionen, für die Rachel Dolezal tätig ist, halten sich bedeckt und warten die förmliche Stellungnahme der Betroffenen ab, die sie für Montagabend angekündigt hat. Unterdessen wird in der amerikanischen Öffentlichkeit erregt über den Fall der Siebenunddreißigjährigen diskutiert, der vorgeworfen wird, sich als Schwarze dargestellt zu haben, obwohl sie ein Kind weißer Eltern sei.

Am Freitag sollte Rachel Dolezal auf der Abschlussfeier der Eastern Washington University eine Rede halten. An dieser Universität im Bundesstaat Washington ist sie Professorin in einem Fachbereich mit dem Namen „Africana Studies“. Wegen der Kontroverse um ihre Person sagte die Universität ihren Auftritt ab. Die „graduation ceremony“ ist ein uramerikanisches Ritual, das an allen Schulen und Hochschulen gefeiert wird. Zelebriert wird der meritokratische Glaube, die in der amerikanischen Gesellschaft verbindliche Vorstellung, dass jeder einzelne fähig ist, seine Lage im Leben zu verbessern, durch Fleiß, durch Eifer, durch Arbeit an der eigenen Persönlichkeit.

Dass Rachel Dolezal ausersehen war, zu den Absolventen der Eastern Washington University zu sprechen, hatte weniger mit ihrer akademischen Funktion als mit ihrem politischen Amt zu tun. Im Januar dieses Jahres wurde sie in der Stadt Spokane im Staat Washington zur Vorsitzenden der örtlichen Gliederung der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) gewählt. Die NAACP ist die wichtigste schwarze Bürgerrechtsorganisation der Vereinigten Staaten.

Spiegel online meldete über Rachel Dolezal: „Sie macht sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Schwarzen stark und gilt in den USA als bekannte Aktivistin.“ Die erste Hälfte dieses Satzes gibt Rachel Dolezals Selbstverständnis wieder, die zweite Hälfte ist falsch. Vor Donnerstag hatte jenseits der Gegend um Spokane im Grenzgebiet der Staaten Washington und Idaho noch niemand von Rachel Dolezal gehört. Spokane ist eine Stadt von knapp über 200.000 Einwohnern, sie ist dort die Ortsvereinsvorsitzende der NAACP. Auf lokaler Ebene war sie damit prominent, wenn man den Prominenzbegriff sehr weit fasst.

Ihre Funktion in der Bürgerrechtslobby brachte ihr die Berufung in ein städtisches Beratungsgremium ein, das sich um die Beziehungen der Polizei zu den ethnischen Gruppen in der Bürgerschaft kümmert. Die Universität führt sie zwar als Professorin, denn ein Fachbereich sieht desto attraktiver aus, je mehr Professoren er im Internet vorstellen kann. Der Sache nach wäre es aber richtiger, Rachel Dolezal als Lehrbeauftragte zu bezeichnen. Ihr Vertrag muss von Quartal zu Quartal erneuert werden.

Für ein Amt in der NAACP und einen Job in der Afrikanistik an der Eastern Washington University ist die Zugehörigkeit zur schwarzen Minderheit keine Voraussetzung, obwohl im Lehrkörper des Fachbereichs alle anderen Dozenten Schwarze sind. Wenn Rachel Dolezal in Wahrheit keine Schwarze sein sollte, wäre das kein Grund, sie zur Aufgabe ihrer Stellungen zu nötigen. Der Bürgerrechtsverein, die Universität und die Stadt werden allerdings prüfen, ob sie in Bewerbungsunterlagen und Vorstellungsreden falsche Angaben gemacht hat.

Das Thema ist immer noch mit Tabus belastet

Der Frage eines lokalen Fernsehreporters, ob sie eine Afro-Amerikanerin sei, ist Rachel Dolezal ausgewichen. Sie behauptete, die Frage nicht zu verstehen, und brach das Interview ab. Vorher hatte sie im gleichen Interview einen schwarzen Mann auf einem Foto als ihren Vater identifiziert, den sie auf Facebook in der Einladung zu einer Veranstaltung der NAACP in dieser Rolle präsentiert hatte. Dieser Mann ist nicht ihr Vater. Als ein Reporter ihn am Telefon fragte, ob er Rachel Dolezals Vater sei, sagte er, der Reporter kenne doch die Antwort.

In einem Fragebogen der Stadtverwaltung kreuzte Rachel Dolezal in den Angaben zur ethnischen Herkunft drei Kategorien an: weiß, schwarz und indianisch. Zur Rechtfertigung sagte sie jetzt, alle Menschen stammten aus Afrika. Ob Rachel Dolezal in einem Bewerbungsverfahren gelogen hat, sollte objektiver Beurteilung zugänglich sein. Viel schwieriger sieht es mit der Einschätzung ihres Sozialverhaltens aus. Vor dem Einreichen von Unterlagen empfahl sie sich ihren Kollegen und Mitstreitern als Person. Über Monate oder sogar Jahre lernte man sie kennen. Mit ihren gekräuselten Haaren gab sie sich als Schwarze. Aber gab sie sich als Schwarze aus? Ist ihr Verhalten als Täuschung zu bewerten?

Rachel Dolezal als frischgewählte NACCP-Präsidentin von Spokane, Washington.

Schon jetzt steht fest, dass nicht stimmt, was die „Welt“ behauptet hat: Rachel Dolezal hat nicht „alle belogen“. Scott Finnie, der Direktor des Africana-Fachbereichs, sagt, seine Kollegin habe sich ihm gegenüber nie ausdrücklich als Schwarze bezeichnet. Dass sie mit ihm den ethnischen Hintergrund teile, sei auf seiner Seite ein „Eindruck“ gewesen, „eine unausgesprochene Annahme“. So ist das Thema Rasse auch dort, wo es zum Gegenstand einer akademischen Disziplin gemacht wird, deren praktischer Zweck die befreiende Rede ist, immer noch mit Tabus, impliziten Schweigegeboten, belastet.

Blondes Mädchen mit Sommersprossen

Warum wurde Rachel Dolezal am Donnerstag mit einem Schlag im ganzen Land bekannt? Ihr Fall ist einmalig im Kontrast zum komplementären Phänomen des Abkömmlings schwarzer Vorfahren, der in der Welt der Weißen untertaucht und Karriere macht. Der Begriff für dieses Phänomen ist „passing“: Der Schwarze kommt durch, das heißt: kommt als Weißer durch, wird nicht enttarnt. Philip Roths Roman „Der menschliche Makel“ ist die berühmteste literarische Behandlung des Themas. Camouflage unter entgegengesetztem Vorzeichen ist so selten, dass das Sachbuch zum Thema, „Passing Strange“ von Martha Sandweiss, einen einzigen Fall behandelt: den des Geologen Clarence King, der vor seiner schwarzen Frau einen Bahnarbeiter spielte.

Das Sensationelle der Enthüllung Rachel Dolezals wurde verstärkt durch die Identität der Zeugen, die gegen sie aufgeboten werden. Ihre weißen Eltern haben im Fernsehen bereitwillig bestätigt, dass sie ihre Eltern sind, und bislang sind keine Anzeichen dafür namhaft gemacht worden, dass sie nicht die Wahrheit sagen könnten. Kinderfotos eines blonden Mädchens mit Sommersprossen, auch das Familienfoto, das am Tag von Rachel Dolezals Hochzeit mit einem Schwarzen aufgenommen wurde, sprechen für sich. Die Ehe wurde geschieden.

Auf den Internetseiten der amerikanischen Medien stehen nun überall Texte, die hin und her wenden, was der Fall einer eben noch völlig unbekannten Provinzaktivistin für die Rassenbeziehungen in den Vereinigten Staaten bedeuten soll. Sarkastisch bemerken konservative Kolumnisten, wenn Rasse keine natürliche Tatsache, sondern ein kulturelles Konstrukt sei, müsse doch auch Rachel Dolezal das Recht haben, sich ihre Herkunft zu konstruieren. Sehr häufig stellen Kommentatoren dieser Couleur eine Verbindung zu Bruce Jenner her, einem ehemaligen Spitzensportler und Fernsehstar, der als Frau behandelt und angesprochen werden möchte. Ein Illustriertentitelbild, das Jenner als Frau geschminkt und verkleidet zeigt, gilt als Ikone einer neuen Bürgerrechtsbewegung.Unerfreulich für die schwarze Bürgerrechtsbewegung

Bevor sich gemäß der Logik der Kulturkriege die Internetdebatte um Rachel Dolezal verselbständigte, war ihre Geschichte ein Stück professioneller journalistischer Aufklärung. Ihre irreführenden Hinweise zu ihrer Herkunft sind nur deshalb aufgeflogen, weil Lokalreporter dem Verdacht nachgingen, es stimme etwas nicht an ihrer Behauptung, sie sei wegen ihres Aktivismus ständigen rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Sogar auf der Biographie auf der Fachbereichsseite findet sich die Angabe, sie sei acht Mal Opfer eines Hassverbrechens geworden. Als sie bekanntgab, dass sie nach ihrer Wahl zur lokalen NAACP-Vorsitzenden wieder Drohbriefe erhalten habe, stellte sie eine Solidaritätsdemonstration vor dem Rathaus auf die Beine.

In diesem Aspekt des Skandals liegt das eigentlich Unerfreuliche für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Sollte sich herausstellen, dass Rachel Dolezal sich selbst die Drohbriefe geschickt hat, wird es Kommentare des Tenors hageln, so habe sie sich mit ihrer Maskerade eine ganze Opferbiographie angedichtet – und genau diese Bewirtschaftung ausgedachten Unrechts sei dann eben doch wieder authentisch schwarz.

Am bisherigen Debattenverlauf fällt auf, dass die Eltern nicht nur als Zeugen zum Sachverhalt dienen, sondern an prominentester Stelle, so in der „Washington Post“, auch als Stichwortgeber für die kulturellen Deutungen herangezogen werden. Erneuert Rachel Dolezal die Jahrmarktstradition der „Blackface“-Sketche, für die weiße Komiker sich schwarze Farbe ins Gesicht schmierten? Diesen brutalen Vorwurf hat Rachel Dolezals Bruder Ezra erhoben.

Familienverhältnisse mit abenteuerlichen Details

Nachdem die Eheleute Dolezal ihre Tochter großgezogen hatten, adoptierten sie vier Kinder, die auf dem Hochzeitsbild alle schwarz aussehen. In der Patchworkfamilie muss es zu Konflikten gekommen sein. Ein Ergebnis war, dass Rachel Dolezal zum Vormund ihres Bruders Izaiah bestellt wurde. Angeblich gibt sie diesen Bruder heute als ihren Sohn aus. Ihren akademischen Abschluss hat Rachel Dolezal an der Howard University, der bekanntesten früher rein schwarzen Universität, im Fach Bildende Kunst gemacht. Sie malt und wirbt wie andere Maler, indem sie in Lokalzeitungen vom großen Interesse wohlhabender Sammler erzählt. Eine handelsübliche Übertreibung. Vielleicht hat sie ja wirklich schon im New Yorker Hauptgebäude der Vereinten Nationen ausgestellt. Ihre Mutter sagt, Rachel sei eine begabte Künstlerin. Das soll nun aber heißen, dass in jedem „artist“ ein „con artist“ steckt, ein Hochstapler.

Rachel Dolezal autobiographische Selbstauskünfte enthalten viele abenteuerliche Details, die wenigstens in der Massierung unglaubwürdig wirken. Je mehr die bizarren Umstände ihrer Karriere mit der individuellen Konstellation in ihrer Familie zu tun haben, desto vorsichtiger sollte man damit sein, aus ihrem Fall allgemeine Schlüsse über die Rassenbeziehungen in Amerika abzuleiten. Was die Eltern über die gewaltsame Emanzipation der Tochter vom Elternhaus berichten, klingt schlüssig. Gemäß der Natur von Familienverhältnissen kann es aber nicht die ganze Wahrheit sein.

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